Foto: Dr. Antke Engel fotografiert von Tali Tiller

 

Wie gehen wir mit konfliktträchtigen Unterschieden und Machtverhältnissen um, ohne dass fliegende Teller Zerstörung anrichten? Antke Engel ist Leiterin des Berliner Instituts für Queer Theory und maßgeblich an der Planung und Durchführung des Projekts „Caring for Conflict“ und des Klirrr Festival – Queere Konfliktkulturen beteiligt. Engel erzählt im Interview, was es damit auf sich hat.

Von Sabine Rohlf

Was ist „Caring for Conflict“ und wer macht mit?
Ausgegangen ist das Ganze vom Institut für Queer Theory und dem Kunstraum District. Wir wollten etwas gemeinsam machen, was Kunst und theoretische Reflektion zusammenzubringt, und zwar in Bezug auf die Frage: wie eigentlich umgehen mit gesellschaftlicher Heterogenität.

Aber ihr macht das nicht allein, oder?
„Caring for Conflict“ ist ein Projekt mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wir hatten die Intuition, dass Kinder und Jugendliche mit einem hohen Maß an Konfliktfähigkeit oder Konfliktwissen ausgestattet sind – weil sie in ihren Schul- und Sozialkontexten mit vielfältigen Perspektiven konfrontiert sind.

Und wie sieht das konkret aus?
Es gibt Angebote, die von unserer Seite, das heißt, von Künstler*innen oder Sozialpädagog*innen organisiert werden (oft in Kooperation) und die dann in den Jugendeinrichtungen oder Schulen in die Praxis umgesetzt werden. Die, die in den Projekten arbeiten, und die Jugendlichen, die sie als ihren Ort begreifen, gestalten dies gemeinsam. Das läuft seit einem Jahr und wird ein weiteres Jahr mit ähnlichen Projekten weitergehen.

Was lässt sich aus eurer bisherigen Projektarbeit lernen?
Wir haben jetzt nicht das praktische Werkzeugpaket oder Kuchenrezept, mit dem sich Konflikte lösen lassen. Aber das ist auch nicht der Anspruch, dazu gibt es Mediation und Konfliktpädagogik und Regalmeter an Material und sehr sinnvolle Workshops. An all das knüpfen wir an, interessieren uns aber dafür, was aus queerfeministischer Perspektive zusätzlich einzubringen ist. Wichtig ist z. B., dass wir Konflikte als produktiv ansehen, dass es nicht darum geht, sie zu überwinden und einen konfliktfreien Zustand zu erreichen. Vielmehr möchten wir Formen des Umgangs mit ihnen entwickeln, die (strukturelle) Gewalt abbauen. Üblicherweise werden Konflikte entweder unter den Teppich gekehrt oder mit Polemik (Diffamierung, Hate Spech) und Gewalt beantwortet. Doch Konflikte können den kritischen Umgang mit Machtverhältnissen eröffnen.

Deswegen das „Caring“? Sollten wir deshalb Konflikte umsorgen?
Die feministische Care- oder Sorgepraxis weiß, dass wir alle aufeinander angewiesen sind, dass autonome Individuen eine Illusion sind. Es geht darum, miteinander Sorgeverhältnisse zu schaffen, die aufmerksam damit umgehen, dass Asymmetrien, Ungleichgewichte bestehen. Gleichzeitig geht Care immer mit Erschöpfung einher. Welche Kontexte braucht es, um das kollektiv abzufedern?

Queerfeministische Kontexte?
Klar! (lacht) Aber queere Sozialität stößt auch an Grenzen, weil wir damit konfrontiert sind, dass Rassismus, dass unterschiedliche Klassenherkünfte, dass unterschiedliche körperliche und sprachliche Befähigungen immer Hierarchien in unsere Beziehungen hereintragen. Aus queerer Perspektive versuchen wir mitzudenken, dass Beziehungen, Begehren, der Wunsch nach Kontakt in Konflikten eine große Rolle spielen. Der Wunsch nach Kontakt stolpert über den Wunsch nach Selbstbehauptung und umgekehrt. Während Selbstbehauptung und Bindung oft arbeitsteilig verantwortet werden, zeichnet sich queeres Begehren dadurch aus, dass diese Spannung ausgehalten und immer neu ausgehandelt wird.

Was erwartet uns beim Festival?
Viel mehr als ich hier aufzählen kann! Es gibt eine Ausstellung mit Arbeiten der Projektgruppen und Gäste, es gibt Performances, eine Comic Live Show und einen VIDEO CHANNEL mit Filmen aus unterschiedlichen Perspektiven, z. B. den einer geflüchteten Iranerin, die sich queer identifiziert, oder von einer Künstlerin, die sich mit den feministischen Bewegungen in Kurdistan befasst. Aicha Diallo moderiert eine Diskussionsrunde zum Thema „Wem gehört die Stadt“. Sie hat ein halbes Jahr in einer Schule dazu gearbeitet und greift mit den Schüler*innen den Streit darüber auf, wie und von wem öffentlicher Raum genutzt werden kann, welche Lebensweise bevorzugt, welche an den Stadtrand gedrängt werden.

Gibt es etwas, dass dich in einem Jahr „Caring for Conflict“ besonders beschäftigt oder überrascht hat?
Ja. Wir sind damit konfrontiert worden, dass Menschen mit unterschiedlichen Befähigungen in den queerfeministischen Szenen auch nicht mehr Teilhabemöglichkeiten haben als generell im pseudotoleranten Berlin. Um zumindest einige Möglichkeiten für den Austausch zu eröffnen, ist das Festival rollstuhlzugänglich und bieten wir für fast alle Veranstaltungen eine Übersetzung zwischen deutsch und deutscher Gebärdensprache an. Eine Gruppe Jugendlicher ist mit einem Video zu Tauber Kultur in der Ausstellung vertreten.