Von Leyla Yenirce
Meine Mutter erzählte mir mal von einer Erfahrung, die sie bei der Arbeit machte. Wer meine Texte verfolgt, weiß, dass ich viel schreibe über ihr Dasein als Putzfrau und das Leben einer kurdischen Frau in einer weißen Mehrheitsgesellschaft. Eine Zeit lang hat sie sich neben ihrem festen Job als Reinigungskraft in einem Unternehmen auch privat um den Haushalt einer weißen Familie gekümmert. Es handelte sich lediglich um zwei Stunden an zwei Tagen die Woche und es gab ein paar Groschen auf die Hand. Für meine Mutter ein kleiner Obolus zusätzlich zum Mindestlohn, den sie verdient. Jedenfalls erzählte sie mir von dem lauen Kaffee, den die Dame ihr servierte, für die sie putzte. Sie machte sich morgens zum Frühstück eine Kanne Kaffe fertig, die sie dann im Laufe des Vormittags trank. Die Reste aus der Kanne stellte sie dann ihrer Putzfrau hin.
Ist der kalte Kaffee doch nur als liebevolle Geste gemeint? Wohl kaum. © Tine Fetz
Ich erinnere mich an den Ton, in dem sie mir dies erzählte. Meine Mutter klang wütend, aber vor allem gekränkt. Sie fand es entwürdigend, so wenig Wertschätzung zu erhalten. Sie wollte lieber keinen Kaffe angeboten bekommen als die Reste aus der Kanne, nach denen sie nie gefragt hatte. „Ich habe den Kaffe nur einmal probiert, weil ich mich über die Geste gefreut hatte. Als ich wusste, dass es der kalte Rest vom Frühstück war, habe ich ihn nie wieder angerührt“, erzählte sie mir enttäuscht. 
Wahrscheinlich hat sich die Arbeitgeberin auch noch gut dabei gefühlt. Immerhin bekommt die Putze ja einen Kaffee, wenn dieser lau ist und schon scheiße schmeckt ist, es auch egal, weil sie wahrscheinlich eh einen so geringen Anspruch besitzt, dass für sie auch lauer Kaffee wie ein Geschenk vom Himmel ist. Die Dame war immer nett zu ihr, aber das Gefühl, das sie meiner Mutter mit ihren subtilen Handlungsweisen gab, hinterließ seine Spuren und sie entschied bald, dass es die 30 Euro für zwei Stunden nicht wert waren. Die Erinnerung aber blieb und ich hörte meine Mutter noch oft vom lauwarmen Kaffee in der Gegenwart ihrer Freundinnen sprechen und spürte immer wieder, wie sie ihre Wut am liebsten in die Welt rausgesprochen hätte, aber sie hat die Mittel dazu nicht. Ich habe sie aber, deswegen schreibe ich darüber.
Es lässt mich an einen Spruch denken, den ich auf diversen Memes und T-Shirts immer wieder lese: „The Future is Female“. No, it is not. Die Zukunft ist nicht weiblich, die Zukunft ist intersektional. Ich sehe die Frau, die meiner Mutter die Reste aus der Kanne anbietet, nicht an ihrer Seite kämpfen. Sie mögen zwar beide mit den strukturellen Diskriminierungen eines patriarchalen Systems zu schaffen haben, aber so lange der Kaffee aus der Kanne nicht heiß ist, sehe ich sie nicht nebeneinander stehen, sondern meine Mutter nur unter ihr. Und da unten steht sie mit vielen anderen Frauen, denen kalter Kaffee nicht schmeckt. Diese Frauen, mit denen sie sich den Platz teilt, sind aber nicht alle of Color, sondern jene Frauen, die ähnliche Erfahrungen machen und auch jene, die sich mit ihr solidarisieren und es nicht übers Herz bringen, einem anderen Menschen kalten Kaffee zu servieren, unabhängig davon, wie viel sie verdienen oder welche Hautfarbe sie besitzen. 
Eine Person kann intersektional ganz oben auf der Überlebensskala stehen: körperlich unversehrt, weiß, wohlhabend, hetero, aber sie kann trotzdem frischen Kaffee kochen. Dafür braucht man auch keinen Talk über Klassismus, Rassismus oder Sexismus. Es reicht ein wenig Empathie, Höflichkeit und Respekt. Aber diese Dinge scheinen am Ende doch oft an den ganzen -ismen zu hängen und leider auch an ihnen zu scheitern.
Mit diesen Zeilen verabschiede ich mich von meiner Kolumne und allen Leser*innen und bedanke mich für das produktive, positive und kritische Feedback. Ihr werdet weiter von mir hören, aber ich begebe mich erst mal in neue künstlerische Ausdrucksformen. Die Tastatur lege ich selbstverständlich nicht aus der Hand, dafür passiert ja immer noch genügend Bullshit, über den es zu schreiben gilt. So wie z. B. neulich, als ich bei einem Konzert war und ein Typ auf der Bühne eine Bierflasche vor seinen Schwanz hielt und damit ins Publikum spritzte, um die übermäßige Ejakulationsfähigkeit seines Glieds unter Beweis zu stellen. Im Anschluss des Konzerts tanzte er dann ziemlich unbeholfen um mich herum und versuchte offensichtlich, einen Flirt anzufangen, zu dem er sich nicht überwinden konnte, und starrte mich stattdessen einfach penetrant an. Das Bild, das bleibt, ist aber nicht das des schüchternen Möchtegern-Rappers, der nicht die Eier in der Hose hat, jemanden anzusprechen, sondern die vielen Videos, die im Netz kursieren und auf denen er machomäßig seine Männlichkeit demonstriert und dafür tosenden Applaus kassiert. The struggle continues. 
Love an alle Femmes, Queers und Allies da draußen, 
Leyla