When The Baby Sings The Blues
Von
Von Ava Weis
Wenn man Google nach der Postpartalen Depression fragt, erscheinen 63.500 Ergebnisse. Es finden sich viele Ratgeber-Seiten, eine handvoll Fachliteratur und vereinzelt der ein oder andere Artikel. Der Spiegel hat einen Beitrag gebracht, als 2014 das Buch „Wie kann ich dich halten, wenn ich selbst zerbreche?“ von Ulrike Schrimpf erschienen ist, beim stern gab es ein Jahr darauf eine Art Aufklärungsbeitrag, bei Elle Anfang diesen Jahres ein Interview mit Prof. Ulrich Hegerl,Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Auch der Deutschlandfunk beschäftigte sich vergangenes Jahr mit der Thematik. Dennoch – die Wenigsten wollen über ihre Erfahrungen sprechen.

Laut der Deutschen Depressionshilfe ist der Grund eine zu große Scham, Sorgen und Ängste Anderen gegenüber einzugestehen und etwa als schlechte Mutter beziehungsweise schlechtes Elternteil zu erscheinen. Das Bild der glücklichen, frisch gebackenen Mama – in diesen normativen Vorstellungen tauchen nicht-binäre oder transmännliche Schwangere nie auf –, die alles mit links erledigt bekommt, dabei gut aussieht, keinerlei Hilfe benötigt und selbst in stressigen Situationen einen kühlen Kopf bewahrt, ist allgegenwärtig.
Dabei entwickeln rund 10 bis 15% der Gebärenden nach der Geburt eine Postpartale Depression. Das ist nicht gerade wenig. Und doch, auf die Frage, wie das Leben mit Baby sei, wird fast immer gelächelt und von „neu“, „anstrengend“ und „gewöhnungsbedürftig“ geredet. Was alles stimmt. Aber nicht immer die volle Wahrheit ist.
Tatsächlich erleben 50 bis 80 Prozent aller gebärenden Elternteile in den ersten Tagen mit ihrem Baby eine kurze depressive Verstimmung. Dies hängt hauptsächlich mit den Hormonschwankungen und -veränderungen zusammen und ist nach wenigen Stunden oder ein paar Tagen überwunden.
Doch bei allen anderen bleibt das Tief. Hartnäckig.Zu den Symptomen zählen starke Stimmungsschwankungen, das Fernbleiben von positiven Gefühlen für das eigene Baby, nicht überwindbare Ängste, besonders Versagensängste, Schlafstörungen, Nervenzusammenbrüche, Stillprobleme und sogar negative, gar schädliche Gedanken dem Kind gegenüber.
Eine Postpartale Depression hat meistens schwerwiegende Folgen, wenn sie nicht behandelt wird, und kann sich sogar zu einer Psychose ausweiten. Zu oft werden aber erste Anzeichen wie Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen und Erschöpfungszustände als „normal“ angesehen und ignoriert. Hier versuchen Vereine wie „Schatten & Licht e.V.“ und „Bei aller Liebe e.V.“ oder die Marcé Gesellschaft für Peripartale Psychische Erkrankungen anzusetzen, indem sie Hilfe anbieten, vernetzen und durch Vorträge und Fortbildungen Aufklärungsarbeit leisten.
Hilfe für Betroffene gibt es etwa bei folgenden Anlaufstellen:
Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Bei aller Liebe e.V.
Schatten & Licht e.V.
Marcé Gesellschaft
Mutter-Kind-Behandlung.de
Denn eine Postpartale Depression (oder Angststörung) kann jede*n Schwangere*n treffen. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit durch psychische Vorerkrankungen steigt, ist niemand immun. Egal, wie groß die Freude auf das Baby ist. Neben den oben erwähnten hormonellen Veränderungen können auch eine traumatische Geburtserfahrung, fehlende Unterstützung während und nach der Schwangerschaft, sowie zu hohe Erwartungen, Perfektionismus und Druck zu einer Depression führen. Oft ist es eine Mischung aus Allem.
Vorbeugen ist dabei kaum möglich. Natürlich wären genügend Ruhe und Entspannung hilfreich, die Realität sieht aber meist anders aus. Viele Elternteile leben isoliert und anonym in Großstädten, ohne funktionierendes Netzwerk oder sind alleinerziehend. Die Elternzeit wird in vielen Beziehungen ebenfalls immer noch selten gerecht aufgeteilt und auch die Großfamilie, in der der Opa mal eben auf das Enkelkind aufpassen kann, existiert kaum noch. Ob Letzteres gut oder schlecht ist, darüber lässt sich natürlich streiten. Früher war schließlich nicht alles besser und Postpartale Depressionen gibt es ebenfalls schon länger. Doch wenn jährlich knapp 100.000 Elternteile betroffen sind, muss etwas getan werden.
Ein erster Schritt wäre, die Erkrankung als das anzunehmen, was sie ist: eine Erkrankung. Niemand ist Schuld daran. Schon gar nicht die Betroffenen. Als Nächstes muss darüber gesprochen werden. Auch und besonders in feministischen Kontexten. Zu verschweigen oder zu ignorieren, dass es vielen frischen Eltern einfach nur dreckig geht, hilft nicht. Ebenso wenig die Erwartung, dass alles perfekt sein muss oder die Aussage, selber Schuld zu sein, da das Kinderkriegen ja gewollt gewesen wäre. Beides ist kontraproduktiv. Betroffene versuchen entweder noch mehr der Idealvorstellung zu entsprechen oder ziehen sich weiter zurück. Es muss Raum geschaffen werden, um sich mitteilen und sich sicher fühlen zu können. Sowohl online, als auch offline.
Zu guter Letzt muss das Therapieangebot erweitert und der Weg dorthin erleichtert werden. Ärzt*innen sollten nicht abwinken oder verharmlosen, sondern die Betroffenen, die vor ihnen sitzen, ernst nehmen und ihnen helfen. Wie bei vielen Krankheitsbildern, die nicht alle Gender gleichermaßenbetrifft, muss die Forschung ausgebaut und nicht als unwichtig abgetan werden.
Nur so kann sicher gestellt werden, dass neuen Eltern auch die Hilfe zuteil wird, die sie brauchen, um im Idealfall die feministische Zukunft zu heranzuziehen, die wir uns so sehr wünschen, ohne daran zu zerbrechen.