„Auch schlimme Dinge wiederholen sich“
Von
Interview: Juli Katz
Özlem Özgül Dündar, geboren 1983 in Solingen, schreibt Theaterstücke, Lyrik und Prosa. Beim Ingeborg-Bachmann-Preis, der einmal jährlich verliehen wird und als eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum gilt, liest sie aus ihrem Text „und ich brenne“.
Özlem, dem Text, den du in Klagenfurt lesen wirst, dient der Brandanschlag von Solingen aus dem Jahr 1993 als Ausgangspunkt, bei dem fünf Menschen starben und 17 zum Teil bleibende Verletzungen erlitten.
Ich komme selbst aus Solingen und war zehn, als der Anschlag passierte. Fürs Studium zog ich in der Zeit nach Leipzig, in der viele Brandanschläge auf Flüchtlingsheime verübt wurden, und begegnete dort zusätzlich den Demos von Legida und Pegida, die mich an diesen spezifischen und weitere rassistisch motivierte Brandanschläge in den Neunzigerjahren in Deutschland erinnerten. Das Thema hat mich schon lange beschäftigt, aber ich wollte es auch von mir selbst fernhalten – aus Angst, dass es mir zu viel ist, und weil ich nicht wusste, wie ich dem literarisch überhaupt gerecht werden kann. Die ersten beiden Monologe lagen zweieinhalb Jahre in meiner Schublade, bis ich wusste, wie ich weiter an dem Text arbeiten kann, und eine Sprache für das gefunden hatte, was ich erzählen will – damit es nicht unpassend klingt, aber trotzdem künstlerisch funktionieren kann. Als Autorin übersetzt man immer die eigene Wahrnehmung und Stimmung mit.
Hilft das Fiktive, um darüber zu schreiben?
Ja, weil man nicht dokumentarisch abbilden muss, sondern sich die Freiheit nehmen kann zu zeigen: Diese Situation hätte überall passieren können, auch bei anderen Brandanschlägen. Wenn ich nicht aus Solingen käme und keine Türkin wäre, wäre das schwer einzuordnen, weil sich im weiteren Verlauf der Handlung Fakten und Fiktives vermischen. Denn mir geht’s nicht explizit um diesen einen Brandanschlag, sondern um die Wiederholung davon und dass sie scheinbar nicht aufzuhalten ist. Auch heute werden Flüchtlingsheime angezündet. Die Täter legen da nicht zum Spaß Feuer – sondern wollen Leute töten. Ich weiß nicht, wieso das so unterschätzt wird. Es ist Teil der Welt, in der wir leben.
Der Auszug bildet vier Frauenstimmen – mutter 1, 2, 3 und 4 – ab, die sich sprachlich dem Ereignis des Brands nähern.
Auch schlimme Dinge wiederholen sich. In diesem Auszug hab ich ausschließlich Mutterfiguren gewählt, weil es eine gewisse Symmetrie für mich hat. mutter 3 erzählt ihre Geschichte immer anders, sodass man manchmal gar nicht mehr weiß, welche Version man jetzt glauben soll. Wenn man mit Kind im Arm im brennenden Haus am Fenster steht, nimmt man sich nicht ewig Zeit; die hat man auch nicht, dennoch weiß man: Wenn ich springe, werde ich entweder krass verletzt weiterleben oder ich sterbe. Im Realen hat sie das Kind geworfen; im Text will ich den Figuren den Raum geben, alle ihre Gedanken frei zu erzählen, und ich will ihnen die Zeit geben, die sie sprachlich dafür brauchen, daher erzählt mutter 3 auch verschiedene Versionen. Es ist wichtig zu wissen, dass sie in diese Situation getrieben wird – das Feuer wurde von irgendwem aktiv gelegt und jemand zwingt sie zu diesen Entscheidungen.
Wieso arbeitest du gerade mit Frauenstimmen?
Ursprünglich war der Text ein Theaterstück; in diesem Auszug wollte ich bewusst nur Frauen abbilden, auch weil das Theater mehr Frauenstimmen zeigen sollte und dort mehr Raum für sie geschaffen werden soll. Aber dann wurde der Text zu lange und nun gibt es auch eine Prosaversion davon.
Vielleicht kannst du erzählen, inwiefern der Moment der Recherche dein Schreiben beeinflusst hat.
Ich hab viel recherchiert und mich wieder davon distanziert, weil ich keine realen Personen vor Augen haben wollte, sondern meine Figuren. Die haben zwar realen Background, aber darauf liegt nicht das Hauptaugenmerk. Schwierig ist für mich als Autorin vor allem, wenn man vor Fakten und realen Bildern steht. Meine Figuren sollen auch Dinge sagen und Sachen machen können, von denen ich gar nicht weiß, ob sie tatsächlich gemacht oder gesagt wurden. Je mehr ich schreibe, desto mehr löse ich mich von der ursprünglichen Ausgangssituation. Aber gerade dieser Text dreht sich um ein Thema, das mich seit Jahren begleitet. Die Erleichterung, darüber in dieser Art schreiben zu können, überwiegt gerade über den schrecklichen Inhalt und so kann ich auch daran weiterarbeiten, sonst würde mich das lähmen.
In einem anderen Interview hast du vor einiger Zeit zwei große Themen angesprochen, die dich beschäftigen: das autobiografische und das politische Schreiben.
Als ich mit zehn mit dem Schreiben anfing, dachte ich, man müsse als Schriftstellerin Geschichten erfinden und nicht über sich selbst schreiben – dagegen habe ich mich gesträubt. Zum Schreiben gehört für mich auch Fantasie und der Mut, Dinge zu erfinden und Figuren lebendig zu erzählen, die es so nicht gibt. Jetzt schreibe ich Sachen, die nicht direkt aus meinem Leben sind, aber mit mir zu tun haben – bei denen ich merke, dass da was aus mir raus muss, wo ich was zu sagen habe. Nicht jeder Text, den ich schreibe, ist politisch intendiert, aber viele können so gelesen werden. Ich hab mich lange dagegen gewehrt, weil das politische Arbeiten damit zu tun hat, was einen im Moment bewegt. Außerdem will ich, dass meine Texte literarisch funktionieren und nicht nur Leute ansprechen, die explizit nach Politischem suchen.
Bei deinem Vorstellungsvideo zum Bachmann-Preis verweist du auf folgendes Zitat eines Lektors: „Das Handwerk des Schreibens kann man lernen, den inneren Abgrund muss man aber selber mitbringen.“
Na ja, Bildhauerei und Geigespielen kannst du ja auch lernen. Nur beim Schreiben wird das infrage gestellt. Klar können alle schreiben – das heißt aber nicht, dass man automatisch literarisch oder in allen Textgattungen arbeiten kann. Dabei muss es nicht immer um den totalen Abgrund gehen – aber man muss Konflikte mitbringen und kann eben am besten über das schreiben, das man kennt und erfahren hat. Selbst wenn du nicht explizit über dich schreibst, bringst du immer was von dir selbst mit. Auch „und ich brenne“ behandelt menschliche Abgründe – nicht meine, aber welche, die zu meinen wurden. Dabei steht man auch immer vor dem Problem, dass man etwas schreibt und dann merkt: Das geht so irgendwie nicht. Das sind quälende Momente – weil ich merke, dass ich das Wissen dazu nicht habe und nicht weiß, wie ich daran kommen soll – wie z. B. aus der Perspektive von jemandem zu schreiben, der stirbt. Wie soll man wissen, wie das ist? Aber manchmal stehe ich auch einfach vor dem Problem, nicht die richtige Sprache für den Text zu finden. „und ich brenne“ ist jetzt ein etwas längerer Text als die beiden Monologe ganz am Anfang, doch es war lange nicht klar, ob ich es bis dahin überhaupt schaffe.
Angst vor dem Scheitern also? In deinem Vorstellungsvideo für den Bachmann-Preis sprichst du ja auch über das Schreiben als Qual.
Man bietet mit einem Text auch immer ein Stück von sich selbst an – und dann wird man oft abgelehnt oder kritisiert; das quält einen schon. Dazu kommt der Betrieb, der auch noch einigermaßen quälend ist, und am schlimmsten quält es, wenn man nicht schreibt, weil man es dann nicht rauslassen kann. Klar kann man es als Qual empfinden, immer auf neue Ideen kommen zu müssen, im Schreibprozess Entscheidungen zu treffen und sie dann auch umsetzen zu können. Es gibt Tausende Möglichkeiten, wie man was erzählt – aber welche ist für dich die überzeugendste, die passendste für diesen Stoff? Bevor man anfängt, lauert schon das Scheitern darin. Nebenbei arbeite ich momentan als Texterin und Übersetzerin. Das tut gut, weil ich so meine Fixkosten zahlen kann und nicht von Stipendien abhängig bin. Existenzangst ist für mich wirklich der Tod des Schreibens – wenn man sich fragt, wie man nächsten Monat seine Miete zahlen soll.