Von Debora Antmann

Die Welt ist ein nerviger Ort. So! Jetzt habe ich es gesagt! Zu meinem „Glück“ bin ich seit zehn Tagen krank und darf im Bett liegen und die Welt da draußen ignorieren. Bis zu dem Punkt, an dem der Pudel anmerkt, dass sie leider pinkeln muss. Das wäre gar nicht schlimm, wenn da draußen nicht so viele Menschen wären und die Anwesenheit eines Hundes nicht unweigerlich als Aufforderung für ein Gespräch verstanden würde. Das arme Tier wird konsequent als ein Angebot zur Kontaktaufnahme meinerseits fehlinterpretiert und als Einladung, ungefragt die sexistischen Stereotype auszupacken. Als Feministin mit einem Hund durch die Gegend zu laufen ist hart! „Der ist aber süüüüß! So ein munteres Kerlchen! Wie heißt der denn?“ Mäßig ambitionierte Antwort: „Lola.“ Völlige Irritation: „Ist das etwa ein Määäädchen? Aber ist ja alles blau!“ „Na, die ist ja ganz schön aufgedreht …“ Lehrbuch-Gender-Bullshit! Ich will eigentlich nur zurück ins Bett und stattdessen darf ich mir die sexistische Farblehre und die ebenso sexistische Charakterisierung des Pudels reinziehen. Ich wiederhole mich: Die Welt ist ein nerviger Ort!

Lola pisst zurück © Tine Fetz

Ich verstehe langsam auch, warum alle immer glauben, das feministische Haustier sei die Katze. Die Katze erspart einem die Cis-Typen-erklären-dir-dein-Tier-Gassirunden. Es ist erstaunlich, wie viel ausgewiesene Experten völlig selbstlos ihr Wissen mit dir teilen, sobald du als Nicht-cis-Typ mit Hund das Haus verlässt. Es ist berührend! Am laufenden Band belehren, äh, erklären mir cis Typen, wie ich mit meinem Hund umzugehen habe, was gut und richtig für das Tier sei und wie ich mich mit ihm zu verhalten hätte. Einfach so! Ohne, dass ich fragen muss. Und ich will zurück ins Bett. Was ich doch für eine Banausin bin … Und der Pudel ist auch noch ein kleines Tier! Das bedeutet, all die fremden Typen kommen auch noch ihrer Pflicht nach, mir aus dem Nichts zu unterstellen, ich hätte mir einen Schoßhund als Accessoire, ein Kuscheltier angeschafft und würde gar nicht begreifen, dass der Pudel ein echtes Tier ist. Das ist nett! So viel Sorge ums Tier! Und ich stelle auch noch laut die Frage, was das einen x-beliebigen Typen auf der Straße oder in der Bahn überhaupt angehe. Ich bin eine unwissende Tierquälerin UND Menschenverachterin. Ich habe den Pudel gar nicht verdient!

Allerdings ist das auch immer noch nicht das Ende der ganzen Erziehungs- und Aufklärungsarbeit, die all die aufopfernden cis Typen mit mir haben. Der Pudel springt. Am liebsten fremde Leute an. Ich in meiner grenzenlosen Unwissenheit versuche, das zu unterbinden, weil ich dachte, dass nicht alle Leute ständig angesprungen werden wollen, vor allem, wenn sie Angst haben oder der Pudel nass und dreckig ist. Aber zum Glück gibt es regelmäßig irgendeinen Typen, der mich darauf hinweist, dass der Pudel ja nichts tut. „Ach, der tut doch nix!“ Dabei ist egal, ob der Typ die Person ist, die gerade angesprungen wird, oder eine unbeteiligte dritte Person, die unter Umständen weniger begeistert ist. Es ist auch eine Entlastung, dass ich nicht mehr die sein muss, die einer entnervten Person, die nicht von einem fremden Hund angesprungen werden möchte, sagen muss, dass sie das über sich ergehen lassen muss, weil der Pudel ja nix tut. Das ist im Hundeexperten-Typen-Service inklusive und wird für mich übernommen.

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

Je länger ich diesen Text schreibe, desto weniger verstehe ich, warum ich so unbedingt zurück in mein Bett möchte. Ist ja eigentlich ganz nett hier draußen und alle sind so hilfsbereit! Ich lerne so viel, ohne danach fragen zu müssen. Und endlich geht mir ein Licht auf! Wer braucht schon Feminismus, solange es cis Typen gibt? Außerdem habe ich ja meinen Schoßhund zum Kuscheln, den kleinen Racker …