Von Katja Garmasch

Ihren Namen muss keine*r mehr googeln. Selbst ein Showbiz-Vollpfosten wie ich, der seit Jahren keinen Fernseher hat und diese Welt nur aus seiner Facebook-Blase kennt, kommt an ihr nicht vorbei.

Wenn man die Stand-up-Comedian Enissa Amani aber doch googelt, scrollt man lange durch Tittenkommentare unter ihren Videos und unglamouröse westdeutsche Orte, in denen sie demnächst auftritt. Bis man schließlich auf rätselhafte „Gala“- oder „Bild“-Links stößt mit Titeln wie „Enissa Amani ganz flach“. Hinter dem Link versteckt sich ein Paparazzi-Foto, das Amani in der Kölner Innenstadt zeigt. Der Skandal: Sie trägt Sneaker statt (wie gewohnt) High Heels. Die „Comedy-Prinzessin“ müsse wohl beim „Marathonbummeln“ gewesen sein. Manchmal sagt ein Schnappschuss eben mehr als tausend Worte: Enissa Amani kann allein mit ihren Füßen Boulevard-Schlagzeilen produzieren. „Läuft bei mir!“, würde sie sagen. Und es stimmt: Läuft bei ihr. Gerade ist ihre Stand-up-Show „Ehrenwort“ bei Netflix erschienen – Amani ist somit die erste Comedian Europas, die einen Exklusivdeal mit dem US-Streamingdienst hat.

© Julia Sellman

Ob sie sich allerdings darüber freut, dass die „Hurensöhne von ‚Bild‘“, wie sie die Zeitungsredaktion in ihrer Show liebevoll nennt, nicht die Höhe ihrer Gage interessiert, sondern die Höhe ihrer Absätze, ist zu bezweifeln. Denn Enissa Amani ist es leid, auf ihr Äußeres reduziert zu werden. Das sei vor allem ein deutsches Phänomen, erzählt sie im Missy-Interview: „Hier wird man als Frau, die sich gerne schminkt, völlig anders wahrgenommen. Ich finde das sexistisch, dass man dann direkt als Tussi bezeichnet wird. Das Wort habe ich früher auch benutzt. Aber heute ärgere ich mich, wenn das jemand in einem Artikel schreibt, weil es immer abwertend gemeint ist.“

„Die Tussi mit der Piepsstimme“, so hat sie sich selbstironisch bei ihren ersten Auftritten in „TV Total“ auf ProSieben vorgestellt. Doch Ironie funktioniert im Fernsehen selten und das Klischee blieb an ihr haften. In meiner Muttersprache Russisch oder in Amanis Muttersprache Persisch gibt es das Wort „Tussi“ gar nicht. Da ist es „normal“, dass Frauen aufgebrezelt sind. Und intelligent. Und Kinder haben. Und eine Karriere. In unseren Heimatländern gilt für Frauen das „Und“, in Deutschland das „Oder“: schön oder intelligent. Kinder oder Karriere. Lidschatten oder Lippenstift. Dekolleté oder Rockschlitz. Amani dagegen ist eine „Und“-Frau. Zum Interview kommt sie mit Lidschatten und Lippenstift und Dekolleté und Rockschlitz. Mit Riesenkoffer (der den Rockschlitz verdeckt), Bandscheibenvorfall (vom Riesenkoffer Schleppen) und High Heels (Mashallah!). Wir Russinnen zollen anderen Frauen selten Respekt – aber vor Amani habe ich sofort Hochachtung. Diese Frau ist einfach Bäm.

Amani war ein Jahr alt, als ihre Eltern 1982 als Kommunist*innen aus dem Iran fliehen mussten. Sie ist in Frankfurt am Main in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Für ihre Shows hat sie sich einen strengen inhaltlichen Rahmen gebaut. Amani ist sehr besorgt um ihr Image und stets bemüht, ihr Außenbild zu korrigieren. Eine Sisyphos-Arbeit im Showbiz und vor allem in der deutschen Comedy-Branche: „Ich mache keine sexuellen Themen. Ich mache keine vulgären Themen. Ich rede nicht darüber, was auf der Toilette passiert. Ich wollte Comedy machen, ohne dass ich meine Femininität, so wie ich sie definiere, aufgebe. Warum muss man immer vulgär werden, damit die Leute lachen? Im Endeffekt hab ich gemerkt: Das muss man gar nicht. Man muss nur authentisch sein und natürlich auch ein bisschen frech. Und Schimpfwörter benutze ich sehr selten, sehr pointiert.“

Während sie sich für das Missy-Fotoshooting über die bereits vorhandenen sieben Schichten Make-up mit Highlighter schminkt, erzählt sie etwas auf Persisch und wird dabei von einem Freund gefilmt. Sie hat eine Rubrik in einer Show von Omid Djalili, einem iranischen Comedian aus England, und muss dringend ihren Einspieler abschicken. „Es ist ein Riesenbonus, wenn man zweisprachig lustig sein kann!“ Amani kann sogar dreisprachig lustig sein. Vor Kurzem tourte sie durch Großbritannien, Kanada und die USA. Besonders stolz ist Amani darauf, dass sie in der Laugh Factory in Hollywood spielen durfte, der berühmtesten Comedy-Bühne der Welt. 

Ich frage mich, ob es der Glamour ist, der der deutschen Comedy im Allgemeinen fehlt. Oder ist es letztendlich doch der Humor? Amani sagt, es sei vor allem dieser Bäm-Effekt, der fehle. „Da kommt jemand superintelligent daher und hat 70.000 Kulturen studiert, aber dann fehlen eben diese fünf Prozent Showbusiness-Gen. Alles ist steif. Mach dich mal locker, Bruder, mach dich locker!“

Die „Piepsstimme“ hat Amani abgelegt, mittlerweile klingt sie tiefer als Stefan Raab. Kommt vielleicht davon, dass sie jetzt langsamer redet. Sie entscheidet alles selbst, auch wenn ihr Ruf darunter leidet: „Wenn ein Mann alles kontrolliert, wird er gefeiert. Wenn eine Frau sagt, ich will das Licht so und so haben, weil meine Haut dann schöner aussieht, gilt sie automatisch als kompliziert.“ Auf der Bühne lässt sie sich Zeit: hält Pausen. Spielt nicht mehr verlegen mit den Extensions im Haar. Lässt den Blick durchs Publikum schweifen. Sucht sich ein Opfer aus. „Wie heißt du? Fatih! Wo kommst du her, Fatih? Aus der Türkei! Und die Dame in der vierten Reihe, aus der intellektuellen Fraktion? Monika! Siehst du, mein Problem ist: Ich muss ein Set schreiben, was die Monika gut findet, was aber auch (Pause, Pause, Pause) Fatih gut findet!“ Alle lachen, am meisten Fatih.

Amani darf das. Sie ist selbst Kanakin. Frau. Tochter von Intellektuellen. Deutsche. Alles, was du willst. Und immer das Gegenteil von dem, was du erwartest. Für eine Comedian ist es wie ein Kartenspiel voller Asse, wie eine Handtasche voller Pässe, mit denen du auf jedem Terrain zu Hause bist und dich deshalb über jedes Thema lustig machen kannst. Das Spiel mit Identitäten und stereotypen Zuschreibungen war schon das Prinzip von RebellComedy, dem 2007 gegründeten migrantischen Comedy-Kollektiv, mit dem auch Amani oft aufgetreten ist. Um RebellComedy hat sich eine neue Generation von Perfomer*innen gruppiert, die im Gegensatz zu Comedy-Urgesteinen wie Kaya Yanar oder Bülent Ceylan nicht nur Kanakenwitze für ein vorrangig weißes Publikum reißen, sondern auch gezielt junge Migrant*innen ansprechen.

Als Kind hat Amani mit ihren Eltern Sperrmüll gesammelt, lange Zeit von Sozialhilfe gelebt. Heute postet sie auch mal ein Bild aus der Businessclass. Ein deutscher Kollege soll sie dafür kritisiert und zu mehr Bescheidenheit ermahnt haben, erzählt Amani verärgert: „Mein Lieblingssatz ist ein Zitat von Roberto Benigni, dem Regisseur von ‚Das Leben ist schön‘: ‚Das größte Geschenk, das mir meine Eltern gemacht haben, war Armut.‘“ Das empfindet Amani auch so. Der Kollege, der sie deswegen angegriffen habe, sei das, was sie als Kind einen Bonzen genannt hätte, aufgewachsen im Eigenheim im bürgerlichen Umfeld. „Wenn er ein Bild aus der Businessclass postet, wäre das peinlich. Aber es ist etwas anderes, wenn ich sage: Gucci-Anzug! Versace-Kette! Guck mal, das habe ich selbst erreicht und du kannst es auch! Für mich bedeutet dieses Protzen Demut. Es bedeutet, mir klarzumachen, das ist nicht normal und in drei Jahren vielleicht alles wieder weg, wenn ich nicht hart arbeite. Armut schafft Drive, diese Angst vor Gerichtsvollziehern, Angst vor Rechnungen. Und das ist etwas, was du niemals hattest, niemals haben wirst, also belehr mich nicht!“

Von einer integrierten Migrantin erwartet man in Deutschland, dass sie dieselben Werte, dieselbe Moral und denselben Lifestyle vertritt wie die Alteingesessenen, auch wenn sie ganz andere Erfahrungen gemacht und eine andere Erziehung genossen hat. Auch wenn ihr ein gewisses Qantum an Anderssein zugesprochen wird, soll sie eigentlich genau wie die Deutschen sein. Man darf zu Hause Muttersprache sprechen, draußen aber nur Deutsch ohne Akzent, Tzatziki zur Weihnachtsfeier mitbringen, aber morgens nicht nach Knoblauch riechen. Deswegen kann Amani Migrant*innen verstehen, die auf die Frage „Wo kommst du her?“ mit „Aus Duisburg!“ antworten. Wer diskriminiert wird, will sich schützen. Aber wenn alle gemeinsam da-rüber lachen, bewirkt Enissa Amani vielleicht mehr als die deutsche Integrationspolitik. Denn Amani ist mehr als Comedian, sie ist das, was man heute Influencer nennt: Tausende Menschen sehen ihr auf YouTube zu. Folgen ihr auf Instagram. Lesen ihre Texte über Trumps Einreiseverbot auf Facebook. Sie sitzt in TV-Runden wie „Hart aber Fair“ und streitet über das Kopftuchverbot. Migrant*innen und weiße Deutsche, Kids und Senior*innen, Fatih und Monika liken sie, mögen sie, gerade weil sie zwischen den Kulturen und Generationen wechseln und sie spiegeln kann. Integrationsmaschine Amani? Sie winkt ab: „Ich hasse das Wort Integration. ,Sie sind ein gelungenes Beispiel!‘ Halt dein Maul, gelungenes Beispiel! Das ist für mich schon latent rassistisch. Integration heißt in Deutschland, sich dem Alten anzupassen. Ich bin Deutsche, aber ich bin dieses Neue Deutsche. Heute will jeder Ausländer sein und dichtet sich ein bisschen Migrationshintergrund dazu: ein Viertel Baske, ein Drittel Ire … Ich habe deutsche Freunde, die viele arabische Wörter benutzen wie ‚Mashallah‘. Aber wie peinlich ist es, dass wir in Deutschland 2018 einen Innenminister haben, der sagt: ‚Der Islam gehört nicht zu Deutschland!‘ Er ist auch mein Innenminister. Hier leben Millionen Muslim*innen. Wach doch mal auf! Aber das ist wieder dieses Steife, jetzt muss man erst mal in 580.000 Talkshows über Integration reden.“

Es sei Zeit, so sagt sie, dass die eingestaubte deutsche Entertainmentbranche erneuert werde. In Musik, Mode und Film hat sich schon einiges geändert: „Als ich klein war, was gab es im HipHop oder Rap? Die Fantastischen Vier. Fertig. Jetzt gibt’s 50.000 neue Artists, die Rap auf Deutsch machen. Und viele davon sind Leute mit Migrationshintergrund.“

Interkulturalität, Street Credibility, Netzaffinität: Danach wird beim Fernsehen gerade händeringend gesucht. Auch deswegen wurde Amani in weniger als drei Jahren zum Star. Doch wenn die Fernsehsender solche Leute finden, tun sie sich extrem schwer mit ihnen. Sie passen einfach nicht in das System. Dann wird man passend gemacht, wie 2016 bei der ProSieben-Show „Studio Amani“, die Raabs Nachfolger werden sollte, aber nach einer Staffel eingestellt wurde.

„Mir wurde viel dreingeredet. Aber auch ich war künstlerisch nicht reif genug, um selber zu wissen, was ich will. Ich hatte bei meinen Shows selber oft das Gefühl: Das bin ich doch nicht! Heute ist das anders. Ich glaube, ich war nie so sehr bei mir wie jetzt. Und bei Netflix gilt die Devise: Artist first. Ich war anfangs sogar von meiner Freiheit überfordert. Dann hab ich das Ding komplett in die Hand genommen. Ich habe bei meinem Netflix-Special das Gefühl, das wird das geilste Ding, das ich die letzten vier Jahre abgeliefert habe. Und hoffentlich kommt es auch beim Publikum so an. Inshallah.“

Ich schaue zu, wie Enissa bei frühlingshaften fünf Grad für die Missy-Fotos posiert. Amani, sagt man, gibt selbst in Dingsbumskirchen vor einer halbleeren Halle hundert Prozent. Sie lächelt nach jeder Show so lange für die Selfies, bis der letzte Fan nach Hause geht. Diese Frau hat sich ihren Platz in der Businessclass hart erarbeitet. 

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/18.