Von Caren Miesenberger

Die Gefängnisdirektorin mit den glatten, blonden Haaren lächelt und bittet in ihr Büro: „Herzlich Willkommen!“ Ihren Namen verrät sie aus Sicherheitsgründen nicht. Eine Insassin, erkennbar am grünen T-Shirt der Gefängnisuniform, bietet Getränke an. Zwei weitere Frauen werden in das Büro geführt. Sie stehen mit dem Rücken an der weißen Wand, die Hände vor der Hüfte verschränkt, ihre Blicke wirken bedrückt. Sie sind die Insassinnen, mit denen ich später sprechen darf. Im Hintergrund surrt die Klimaanlage.

Dies ist der einzige klimatisierte Raum im Gefängnis Nelson Hungria, einer von vier Vollzugsanstalten für Frauen im Complexo Penitenciário de Gericino, dem größten Gefängniskomplex des Bundesstaates Rio de Janeiro. Er liegt im Stadtteil Bangu, vierzig Kilometer vom Stadtzentrum Rio de Janeiros entfernt. 26.000 Gefangene sind hier in verschiedenen Haftanstalten untergebracht, 1300 davon sind Frauen. Ein eigenes Viertel in der zweitgrößten Stadt Brasiliens, deren Kerngebiet doppelt so viele Einwohner*innen zählt wie Berlin.

Brasilien verzeichnet die drittmeisten Inhaftierten weltweit. 720.000 Menschen sitzen im größten Land Südamerikas hinter Gittern, die meisten wegen Drogendelikten. Der Weg vom Konsum zum Handel mit Rauschgift bis ins Gefängnis ist oftmals kurz: Gerichtsprozesse dauern häufig nur wenige Minuten. Anwaltlichen Beistand haben nur diejenigen, die ihn sich leisten können, auch Pflichtverteidiger*innen werden nur selten gestellt. Die Masseninhaftierung ist Schauplatz des Krieges gegen die Drogen, in dem der Staat die ohnehin schon marginalisierte Bevölkerung bekämpfe – Schwarze, Arme, Peripherisierte –, so kritisieren Anti-Haft-Aktivist*innen. Die Haftbedingungen sind extrem prekär: Die Kapazität der Gefängnisse wird bis zum Fünffachen überschritten. Der Staat kommt seiner Pflicht nicht nach: Hygiene und gesundheitliche Versorgung werden vernachlässigt.

Staub wirbelt auf, als sich zwischen Bananenstauden das große Tor des Gefängnisses Nelson Hungria öffnet. Abgeschottet und vergessen sitzen hier, ganz am Ende des großen Komplexes, die Frauen ein. Die Pressesprecherin der staatlichen Gefängnisbehörde SEAP

(Secretaria de Estado de Administração Penitenciária) empfängt mich.

Meine Interviewpartnerinnen wurden von der Gefängnisdirektorin ausgewählt. Ob ein Gespräch unter vier Augen geführt werden dürfe, frage ich. Die Pressesprecherin muss lachen. Natürlich nicht. Also nimmt Insassin Fabiola Da Silva Platz, um mit mir vor der Gefängnisdirektorin, der Pressesprecherin, einer  Mitinsassin und der mich begleitenden Fotografin über das Leben hinter Gittern zu sprechen. Eine einschüchternde Situation. Da Silva sitzt seit einem Jahr hier ein. „Ich war in einer Beziehung mit einem Drogenhändler. Er starb bei einer Schießerei. Zwei Monate danach wurde ich ins Gefängnis gesteckt, weil mein Telefon abgehört wurde“, erzählt sie. Da Silva ist 25 Jahre alt, Schwarz und wuchs in der Favela Retiro in Petrópolis, rund sechzig Kilometer von Rio de Janeiro entfernt, auf. Weshalb genau sie im Gefängnis ist, weiß sie…