Von Jacinta Nandi

Eltern können es nie richtig machen. Entweder: Sie sind zu arm, sie wohnen in Plattenbauten, ihre Kinder heißen Kevin oder Chantal oder Kevin-Chantal und wissen nicht, was ein Apfel oder ein Pferd ist, weil die Eltern sie nur mit der Xbox spielen lassen, sie schreien immer im Zug und … aaargh! Diese Kinder sind schrecklich, aber die Eltern sind noch schlimmer! Oder: Sie sind zu reich, sie wohnen in Prenzlauer Berg, ihre Kinder heißen Lieselotte oder Maximilian-Artur-Paulus und sind gegen alles allergisch, sie kriegen immer nur Bio-Äpfel zu essen und die Mama denkt, dass sie ADHS haben, aber eigentlich sind sie nur Arschlöcher, dabei haben sie schon mit eins Chinesisch gelernt, mit zwei Geige, mit drei Tai-Chi und mit vier mussten sie wegen Burn-out therapiert werden und … aaargh! Diese Kinder sind schrecklich, aber die Eltern sind noch schlimmer!

Armes Deutschland! Bescheuerte Eltern, nervige Kinder! Da will ich nicht mitmachen. In meinen Augen sind alle Entscheidungen, die Eltern treffen, erst mal richtig. Punkt. Oder: In einer fairen Gesellschaft wären alle Entscheidungen, die Eltern treffen, okay. Aber ich habe jetzt ein Baby, bin auf Facebook in Mama-Gruppen unterwegs und werde jeden Tag mit „Attachment Parenting“ konfrontiert. Manchmal frage ich mich, ob dessen Prinzipien wirklich dazu da sind, dem Baby zu helfen – oder ob es bloß darum geht, die Mütter zu erniedrigen? Das Baby zu tragen, es zu stillen, es bei dir im Bett schlafen zu lassen – ich finde alle diese Ideen hilfreich, um durch das erste Babyjahr zu kommen. Aber diese Besessenheit, mit der junge Mütter sich selbst und anderen Vorwürfe machen: Geht es dabei wirklich um das Kindeswohl?

©Josephin Ritschel

„Ich bin aufs Klo gegangen“, schreibt eine Mama auf Facebook. „Das Baby hat geweint, aber ich musste kacken. Als ich aus dem Badezimmer rauskam, hat es geschlafen. Jetzt fürchte ich, dass ich mein Baby habe schreien lassen.“ Schon kommt der erste Kommentar: „Du wolltest das vielleicht nicht, aber ja, im Grunde genommen hast du dein Baby schreien lassen. Für mich ist das dasselbe!“ Die Mutter überlegt, ihr schlafendes Kind aufzuwecken, damit sie zumindest sagen kann, ihr Baby habe sich nicht in den Schlaf geheult.

Ich glaube nicht, dass eine Mama immer fürs Kind da sein kann. Ich glaube, ein Baby muss manchmal allein sein. Ich glaube nicht, dass es okay war, dass unsere Eltern uns stundenlang haben schreien lassen, bis unsere Lungen nicht mehr konnten. Aber manchmal müssen Mamas kacken. Sonst explodieren wir irgendwann!

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/18.