Von Tove Tovesson

Meiner Erfahrung nach ist die beste Möglichkeit, sich über das eigene Geschlecht sicherer zu werden, zu experimentieren. Mit Kleidung, Make-up, Frisur, Namen, Pronomen, Stimmlage und was einem*einer sonst so einfällt. All das bestimmt nicht das Geschlecht von Menschen, aber es kann hilfreich sein, um herauszufinden, mit welchem Ausdruck ich mich wohler fühle. Es kann geschlechtliche Dysphorie lindern und sogar Momente von Gendereuphorie auslösen.

Das urteilsfreie Experimentieren kann Türen öffnen © Tine Fetz

Zu diesem ganzen Ausprobieren gehört für viele früher oder später auch ein sozialer Kontext, in dem das validiert wird. Das können enge Freund*innen sein, die dir Klamotten leihen, die Starbucks-Barista, bei der du einen neuen Namen ausprobierst, die Enby-Gesprächsgruppe, in der du Neopronomen benutzen kannst, eine trans Beratung, die auf deiner Seite ist.

Ich selbst neige dazu, alle Eventualitäten vorab im Kopf durchzugehen und alles absichern zu wollen. Das hat für mich in Bezug auf Geschlecht gar nicht funktioniert, weil ich ja nicht wissen kann, wie es sich anfühlt, wenn etwas validiert wird (durch mich oder andere), wenn ich es gar nicht zeige. Damit meine ich nicht, dass das Geschlecht von trans Personen nur Gültigkeit hat, wenn sie es im Außen verwirklichen, sondern dass es für die meisten von uns erstrebenswert ist, das tun zu können.

Zu einem Aspekt dieses Ausprobierens, nämlich dass ich feststellen kann, dass das, was ich ausprobiert habe, nicht passt, hat trans YouTuber*in Ash Hardell kürzlich ein Video gepostet. Es sich anders zu überlegen, ist in allen möglichen Bereichen eigentlich ganz normal. Für trans Leute oder Personen, die ihre Geschlechtlichkeit hinterfragen, ist das allerdings der Punkt, an dem von außen angesetzt wird, um sie zurück in die Cisgeschlechtlichkeit zu bugsieren: Du bist dir ja selbst nicht sicher, also lass das lieber.

Ich habe es mal recht eindrücklich bei einer Beratungsstelle erlebt, dass dort einfach nur meine Zweifel verstärkt und betont wurden. Immer ging es darum, wie ich vielleicht doch cis bin, als hätte ich diese Gedanken nicht selbst schon gehabt, als wäre das irgendwie hilfreich und diese Ambivalenz theoretisch aufzulösen. Um in Deutschland eine „offizielle Transition“ zu machen, wird von trans Menschen eine Sicherheit und Eloquenz in Bezug auf Dinge verlangt, die bei den meisten cis Menschen niemals auch nur Thema sind. Frage ich meine cis Freund*innen, was sie denn zum Mann oder zur Frau macht, kommt da nichts, was irgendwie zur Definition von Männern und Frauen hilfreich wäre. (Ich werde nie verstehen, warum ausgerechnet Radikalfeministinnen so wild darauf sind, Frauen auf Reproduktionsorgane zu reduzieren, aber ok.)

Auch weil cis Menschen sich so gerne auf Leute stürzen, die „doch nicht trans“ sind oder eine De-Transition machen, ist es schwierig für Menschen, die ihr Geschlecht hinterfragen, Unsicherheiten zu zeigen oder tatsächlich etwas zu revidieren, obwohl man das tun und immer noch trans sein kann. Dieses Stigma geht so weit, dass gar nicht darüber gesprochen wird, dass viele Schritte einer hormonellen/medizinischen Transition umkehrbar sind und nur wenig überhaupt in Stein gemeißelt sein muss. Auch der Einsatz von Pubertätsblockern bei trans Teenagern wird von dieser fatalistischen Verzerrung geprägt: Das ist eine folgenschwere Entscheidung, für immer!! Nein, im Gegenteil verhindern Pubertätsblocker, wie der Name schon sagt, genau das, nämlich den Beginn einer folgenschweren natürlichen Pubertät.

HRT und Operationen sind „schwer“, ja, aber das Schwerste an einer Transition sind die bürokratischen Hürden, der Paternalismus des Gesundheitssystems, in dem my body, my choice auch für trans Menschen nicht gilt, die Gewalt gegen trans Menschen und insbesondere gegen trans Frauen. All das beansprucht so viel Raum und gleichzeitig wird nur darauf gewartet, dass eine trans Person äußert, dass Teile ihrer Transition selbst belastend sind, um sofort einzustimmen und trans Personen zu untergraben.

Ich verstehe, dass es normal ist, auf ein Outing einer trans Person, die selbst noch viele Unsicherheiten hat, mit Skepsis und noch mehr Unsicherheit zu reagieren, aber bitte verwechselt das nicht mit Rationalität. Es ist mangelndes Wissen, mangelnde Erfahrung und (verinnerlichte) trans Feindlichkeit. Ein „zu unterstützendes Umfeld“ ist keine reale Gefahr für irgendwen, im Zweifel gibt es Menschen nur die Möglichkeit, schneller herauszufinden, was (nicht) gut für sie ist.