Von Tove Tovesson

CN: Ableism.

Als ich in der fünften Klasse aufs Gymnasium kam, ging es bergab. Meine Mutter sagte irgendwann, ich müsse nur noch bis zur mittleren Reife durchhalten und könne dann eine Ausbildung machen, „etwas Praktisches“. Ich sei eher praktisch begabt. Ich verstand es damals zum Glück nicht, aber das ist eine Chiffre für „dumm“, so wie im Zeugnis, wo nichts Schlechtes stehen darf und es deshalb heißt, ich war „stets bemüht“.

„Faul“ sein aus politischen Gründen? Das muss man sich leisten können. © Tine Fetz

Es war in meiner Familie klar, dass eine Ausbildung eine Art Versagen ist, es sei denn, man ist ein Mann und wird Meister in einem alten Handwerksberuf, das ist dann wieder okay. Mein Opa (Dipl. Ing.) adressierte sämtliche Briefe immer einschließlich des akademischen Grades oder der Berufsbezeichnung, sofern sie ihm gut genug erschien. Tischlermeister Soundso, Oberstudienrätin Soundso. Ich war Schülerin oder sogar Gymnasiastin Tove T. Als ich mich dann trotz Depression und Angststörung und nach einem Schulwechsel tatsächlich durchs Abitur geschleift hatte: Abiturientin Tove T. Die Umstellung auf Bachelor und Master an deutschen Unis hat mein Opa nicht mehr verstanden, also dachte er sich dann lateinische akademische Grade aus. Im Studium bin ich zum Glück irgendwann auf Max Weber gestoßen, der mir protestantische Arbeitsmoral und damit auch meine Familie erklärt hat. Die Hoffnung meiner Mutter, dass ich irgendeinen vernünftigen Beruf ergreife, in dem ich verbeamtet werden kann, damit meine latente Lebensuntauglichkeit me…