Von Carolin Philipp
„Pavlos lebt, Nazis haut ab!“ Die Rufe Tausender Demonstrant*innen schallen durch die Straßen von Piräus. Im September 2018, fünf Jahre nach dem Mord am Antifaschisten Pavlos Fyssas und den ersten massenhaften Verhaftungen von Neonazis, finden in ganz Griechenland zahlreiche antifaschistische Mobilisierungen statt. Überall schließen Parteizentralen der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte. Ist das Monster des Neofaschismus damit besiegt?
Rückblende: Wenige Tage nach dem Mord am linken Rapper Pavlos Fyssas in Keratsini, einem Viertel in der Hafenstadt Piräus im September 2013, wurden führende Politiker der Golden Morgenröte festgenommen. Nach monatelanger Beweisaufnahme wurden 69 Parteimitglieder angeklagt, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu sein.[1] Angeklagt sind auch 18 Parlamentarier*innen der Goldenen Morgenröte, die 2012 erstmals ins griechische Parlament einzog.
Die Beweislage ist überwältigend. Die Hauptanklagepunkte sind neben der Ermordung Fyssas Mordversuche an dem ägyptischen Fischer Abuzid Embarac sowie an Mitgliedern der kommunistischen Gewerkschaft PAME. Zusätzlich werden über hundert weitere Gewalttaten verhandelt. Alle Straftaten, so die Anklage, seien vorsätzlich begangen worden, gerechtfertigt durch die menschenfeindliche Ideologie und Praxis der Neonazis. Georgios Papageorgiou, ein Zeuge des Prozesses und ehemaliges Parteimitglied der Goldenen Morgenröte, sagte aus, dass es die Anweisung der Parteiführung gab, alle „Provokationen“ mit Gewalt zu beantworten. Im Stadtteil Nikaia, in dem Papageorgiou als Neonazi aktiv war, wurden Migrant*innen und Linke durch die Straßen gejagt und verprügelt, „es war eine regelrechte Armee“. Bei den Essenausgaben für Arme musste der Personalausweis vorgezeigt werden, um zu kontrollieren, dass die Nahrung auch nur an Griech*innen verteilt wurde. Papageorgio sagte auch aus, dass die Neonazis die Anweisung bekamen, „Pakistaner ins Meer zu schmeißen“, sollten sie es wagen, sich in die Schlangen einzureihen.
„Reihe gegen rechts“
Quer durch Europa bestimmen heute rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien die Politik mit. Nicht nur ihre Wahlerfolge, auch die fehlende Abgrenzung anderer Parteien haben vielerorts die politische Landschaft weit nach rechts rücken lassen. Trotz ihrer Unterschiede einen die Rechten gemeinsame, neue wie traditionell existierende Feindbilder, die sich u. a. in antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus sowie Antifeminismus äußern und die öffentliche Debatte prägen.
In der „Reihe gegen rechts“ werfen wir Schlaglichter auf den Status quo in verschiedenen europäischen Ländern und fragen nach, welche Gegenbewegungen es gibt und unter welchen Voraussetzungen diese agieren. Die Beiträge kommen aus Österreich, Schweden, Ungarn, Deutschland, Großbritannien und Griechenland. Illustrationen: Johanna Benz.
Für Eleftheria Tobatsoglou, die Anwältin der Familie des verstorbenen Fyssas, besteht die Besonderheit der extremen Rechten in Griechenland darin, dass sie zentral in einer Organisation organisiert ist – der Partei Goldene Morgenröte. Die Goldene Morgenröte ist neben Jobbik in Ungarn die einzige Partei in Europa, die offen nationalsozialistisch auftritt, sagt Alexandros Sakellariou von der Panteion Universität im Gespräch mit Missy Magazine. Sakellariou forscht über Rechtsextremismus in Griechenland und im internationalen Vergleich. „Diese neonazistische Ausrichtung hat die Goldene Morgenröte früher nie versucht zu verhehlen. In ihrer Ideologie und Praxis ist das zu erkennen. Wir haben Ansprachen, Musik und andere Dokumente analysiert, in denen z. B. das faschistische Deutschland oder Italien gepriesen wird. Ziel ihrer Organisationsstruktur ist klar der Aufbau von militanten, gewalttätigen Zellen.“
Es existieren unzählige Videoaufnahmen von Veranstaltungen der Goldenen Morgenröte, wo Hakenkreuz- und Wehrmachtsfahnen geschwungen und das Horst-Wessel-Lied, die Parteihymne der NSDAP, geschmettert werden. Ein früheres Parteisymbol der Goldenen Morgenröte war die Wolfsangel, Truppenkennzeichen einer SS-Division im Zweiten Weltkrieg. Später wurde es zunehmend durch die Mäander ersetzt, einem altgriechischen Symbol, das in seiner Form dem Hakenkreuz ähnelt.
Auch das Frauenbild der Partei ist klar nationalsozialistisch geprägt und preist die Mutterschaft sowie die griechische Familie. Die neofaschistische Jugendzeitschrift „Antiepithesi“ (übersetzt „Gegenangriff“) kritisiert, dass sich junge Frauen aufgrund des westlichen Schlankheitsideals gegen Kinder entscheiden und so den Erhalt ihrer Spezies gefährden. Geschlecht wird „auf dieselbe Weise rein genetisch und biologisch vorbestimmt wie die Rasse“ gesehen, heißt es in einer Ausgabe von 2013. Auf der Webseite der Frauenorganisation der Goldenen Morgenröte (whitewomensfront.gr, mittlerweile offline) wurden Feminismus und Homosexualität verdammt. Und die faschistischen Frauen kritisieren, dass der Kapitalismus Frauen in den Materialismus getrieben habe, sodass sie nur noch auf ihre äußere Erscheinung achten und ein Konsumdenken vorherrsche.
Generell versucht die Goldene Morgenröte, einen populistischen antikapitalistischen Diskurs zu führen und sich als Freund*innen der „kleinen“ – natürlich griechischen – Leute zu inszenieren. Allerdings, so Dimitris Psarras, Journalist und Experte für Antisemitismus und Neofaschismus in Griechenland im Missy-Gespräch, ist dieser Antikapitalismus genauso oberflächlich und opportunistisch, wie er es bei der NSDAP war. So hat die Goldene Morgenröte beispielsweise mit ihren Stimmen im Parlament griechische Reeder*innen darin unterstützt, Steuerschlupflöcher für diese zu erhalten. Griechische Oligarch*innen besitzen die größte kommerzielle Flotte der Welt, die sie allerdings ganz unpatriotisch meist unter den Flaggen von Steuerparadiesen wie Panama laufen lassen und die somit wenig Geld in die griechischen Staatskassen spült. Stattdessen bezahlten Reeder*innen die Goldene Morgenröte dafür, eine Gewerkschaft im Hafengebiet aufzubauen, die eine Konkurrenz zur kommunistischen Gewerkschaft PAME bilden sollte und die Psarras zufolge die Interessen der Arbeitgeber*innen unterstützte.
Innerhalb der Partei ist das Führerprinzip klar verankert. Besonders deutlich wurde dies auf der Pressekonferenz der Goldenen Morgenröte nach den Wahlen von 2012: Parteiordner forderten die Journalist*innen auf, sich respektvoll zu erheben, als der Parteivorsitzende und sogenannte „Oberste Führer“ Nikos Michaloliakos den Raum betrat. Wer der Aufforderung nicht nachkam, wurde des Raums verwiesen. Das Führerprinzip entkräftet auch die Verteidigungsstrategie der Goldenen Morgenröte, Parteimitglieder hätten die Gewalttaten auf eigene Faust begangen. Dies war schon beim ersten Mord unglaubwürdig, als der Pakistaner Sahtzat Loqman im Januar 2013 auf seinem Weg zur Arbeit von zwei Mitgliedern der Goldenen Morgenröte erstochen wurde. Unglücklicherweise erreichte die Ermordung Loqmans nie den Stellenwert wie der Tod des Griechen Fyssas. Dies macht einmal mehr deutlich, dass auch in der antifaschistischen Bewegung mit zweierlei Maß gemessen wird.
Wie Alexandros Sakellariou betont, sind faschistische Gesinnungen in Griechenland jedoch nichts Neues und auch nicht bloß ein Produkt der ökonomisch-politischen Krise, sondern tief in der Gesellschaft verwurzelt. Er führt die Diktatur von Metaxas ab 1936 an, die Kollaboration einiger Griech*innen mit den deutschen Besatzern von 1941 bis 1944, den rechten Terror im und nach dem darauffolgenden Bürgerkrieg, deren Gewalttäter*innen nie betraft wurden, sowie die Militärdiktatur zwischen 1967 und 1974. Die Goldene Morgenröte bezieht sich positiv auf die Diktaturen und die in ihnen angeblich herrschende öffentliche Ordnung.
Auch Dimitris Psarras hebt die lange Geschichte dieser Phänomene in Griechenland hervor. Die Ablehnung der türkisch-muslimischen Minderheit, der Roma-Gemeinschaft und antisemitische Geisteshaltungen waren auch nach dem Übergang Griechenlands in die Demokratie 1974 weitverbreitet. Diese Geschichte spielte laut Psarras beim Anstieg der fremdenfeindlichen und rassistischen Ideologien in den 1990er-Jahren eine zentrale Rolle und bildet die Grundlage für die späteren antialbanischen, antiasiatischen und antiafrikanischen Rassismen. Interessant ist hier, dass die 1990er ein Jahrzehnt der positiven wirtschaftlichen Entwicklung waren: Einkäufe, Importe und Exporte stiegen an, öffentlich wie privat, aufgrund der niedrigen Zinssätze. In den 1990er-Jahren expandierte die griechische Wirtschaft mit ihrem Telekommunikations-, Energie- und Bankensektor in die Balkanstaaten. Dies wurde die „machtvolle Griechenland-Strategie“ genannt. Die derzeitige politisch-ökonomische Krise kann also nicht als alleiniges Erklärungsmuster für den Neofaschismus herangezogen werden.
Seitdem Mitglieder der Goldenen Morgenröte vor Gericht stehen, täuscht die Neonazi-Partei einen moderateren Diskurs vor und ruft nicht mehr offen zu Gewalttaten auf. Allerdings gehen die Angriffe auf Linke, Migrant*innen und sonstige „Andere“ weiter, wenn auch nicht mehr explizit unter dem Label der Goldenen Morgenröte. Bei einem Angriff auf das soziale Zentrum Favela im Februar 2018, bei dem auch die Anwältin Tobatsoglou verletzt wurde, beeilte sich Parteichef Michaloliakos, einen Zusammenhang mit der Golden Morgenröte abzustreiten. In Athen und anderen Teilen Griechenlands wie in Thessaloniki und auf den Inseln formieren sich immer wieder neue, autonome faschistische Bewegungen, wie die bereits wieder verbotene Combat 88, die Mavros Krinos oder eben verdeckte Hit-Squats der Goldenen Morgenröte. Doch laut Tobatsoglou kann die Goldene Morgenröte gar nicht auf Gewalt verzichten – schließlich ist sie das, was die Mitglieder der Organisation zusammenhält.
Eleftheria Tobatsoglou sieht nach dreieinhalb Jahren Verhandlung das angesetzte Prozessende in 2019. „Natürlich wird ein eventuelles Verbot die Goldene Morgenröte nicht verschwinden lassen“, so die Anwältin auf einer Veranstaltung in Athen im September 2018. Die Organisation müsse auch im politischen Diskus und auf der Straße bekämpft werden. Ihr Stimmenanteil bei Umfragen liegt noch immer bei etwa sieben Prozent.
Carolin Philipp ist Politik- und Erziehungswissenschaftlerin, arbeitet in der politischen Bildungsarbeit bei glokal e.V. und in Forschungsprojekten am Zentrum für Gender Studies an der Panteion-Universität Athen. Sie berichtet für verschiedene deutsche Medien aus Griechenland.
In einigen Stadtteilen, die vor wenigen Jahren für gefährliche faschistische Bewegungen bekannt waren – wie etwa Agios Panteleimonas im Zentrum von Athen –, ist es durch erfolgreiche antifaschistische Aktionen gelungen, den Neofaschismus zurückzudrängen. Besonders zu Jahrestagen wie dem 18. September, dem Todestag von Pavlos Fyssas, gibt es zahlreiche antifaschistische Demonstrationen und Konzerte, Strategietreffen und öffentliche Diskussionen. Oft ist Magda Fyssas, die Mutter des ermordeten Sängers, eine zentrale Figur bei diesen Aktionen. Auch hier sind geschichtliche Referenzen zentral. Allerdings beziehen sich die Antifaschist*innen auf den massiven, meist kommunistischen antifaschistischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg.
Angesichts der faschistischen Bedrohung wurden in den letzten Jahren viele neue Koalitionen auf einem antifaschistischen Konsens gegründet, neue Sozialzentren geschaffen und viele Häuser von und für Geflüchtete besetzt. Aus dem bloßen Manöverkrieg, Muskeln gegen Faschist*innen einzusetzen, wurden Strategien, die auf die Veränderung der Vorstellungswelten der Menschen zielen. Neue Koalitionen wurden geschmiedet, Filmabende und Feste in den Nachbarschaften organisiert – damit genau die Leute zusammenkommen, die die Neofaschist*innen voneinander trennen wollen.
Anmerkung
[1] In Griechenland ist es verfassungsmäßig nicht möglich, Parteien zu verbieten. Denn in der Vergangenheit benutzten autoritäre Regimes in Griechenland wiederholt diese Strategie, um meist kommunistische Parteien zu kriminalisieren.
Literaturtipps/Zum Weiterlesen
Golden Dawn Watch: www.goldendawnwatch.org
Dimitris Psarras (2015): Golden Dawn on Trial (freier Download hier)
Alexandros Sakellariou (2018): Greece. In: Triumph der Frauen?/Triumph of the Women? The Female Face of the Populist & Far Right in Europe (Dt./Engl., freier Download hier)