Von Maria Hasan

„Ich bin Sexarbeiterin.“ Wegen eines eher unschönen Erlebnisses mit einem Kunden entscheide ich mich für das „Outing“ bei meiner Therapeutin. Gleich füge ich hinzu, dass ich Angst davor habe, von ihr verurteilt zu werden, und das deswegen vorher auch nicht geteilt habe. Zu meiner Erleichterung reagiert sie bemüht verständnisvoll.

Die kranke Hure ist ein Stigma, das nicht nur in den Köpfen von Therapeut*innen vorherrscht. © Tine Fetz

Einige Monate und einen Psychiatrieaufenthalt später setzt sie mir plötzlich ein Ultimatum: „Wir müssen uns überlegen, ob eine Therapie sinnvoll ist, wenn Sie weiterhin Sexarbeit machen.“ Ich halte dagegen, und sage, dass ich den Zusammenhang nicht verstehe. Sie erklärt: „Eine Therapie macht keinen Sinn, wenn Sie gleichzeitig selbstverletzende Verhaltensweisen an den Tag legen.“ Nach dem ersten Schock weise ich sie darauf hin, dass erstens Sexarbeit an sich kein selbstverletzendes Verhalten ist und dass ich zweitens anderes, tatsächlich selbstverletzendes Verhalten an den Tag lege, für welches mir allerdings kein Ultimatum gestellt wird. Im Laufe des Gesprächs lässt mich das Gefühl nicht los, dass sie Sexarbeit als solche als „selbstverletzendes Verhalten“ sieht; also Sexarbeit an sich pathologisiert.

Diese Pathologisierung scheint Teil eines Diskurses über Prostituierte zu sein, in dem sie entweder Schuldige, Opfer, etwas dazwischen oder irgendwie beides sind. Historisch waren Prostituierte vor allem medizinischen Kontrollen, wie dem „Bockschein“ bis 2001 oder seit 2017 dem Prostituiertenschutzgesetz, ausgesetzt. Diese Pathologisierung und staatliche Kontrolle bezieht sich auf sexuell übertragbare Infektionen. Gleichzeitig existiert spätestens seit dem späten 19. Jahrhundert das Bild der „gefallenen“ Frau oder zum Opfer erklärten Prostituierten, das fruchtbarer Boden für die Zuschreibung als „psychisch Kranke“ ist. Studien, die den Zusammenhang zwischen psychischen Traumata und Sexarbeit aufzeigen, konstruieren Sexarbeiter*innen, die prekär und „outdoor“ arbeiten, nicht selten als psychisch kranke „Opfer“. Dabei werden Gewalterfahrungen in der Kindheit herangezogen, um zu erklären, warum diese Personen Sex verkaufen oder in ungesundem Verhältnis zu Zuhältern stehen – die ökonomischen Zwänge und Unzugänglichkeit zu anderen Berufen oder legaler Sexarbeit bleiben eine Randnotiz. So wird Prostitution als Kontinuität von Gewalterfahrungen in der Kindheit und als Retraumatisierung gedacht.

Das Gerücht, dass Prostituierte allgemein häufiger von psychischen Krankheiten betroffen sind als Nicht-Prostituierte, lässt sich nicht belegen. Doch es lässt sich ein Unterschied zwischen verschiedenen Sexarbeiter*innen feststellen: Diejenigen, die illegalisiert oder prekär arbeiten („Straßenprostituierte“), erfahren mehr Gewalt und sind auch mehr von psychischen Problemen betroffen als Sexarbeiter*innen, die „indoor“ und/oder legal arbeiten. Auch wenn legale Sexarbeit ebenfalls stigmatisiert ist – was dazu führt, dass Gewalt wahrscheinlicher ist als in den meisten anderen Berufen. Außerdem spielt Rassismus eine Rolle, weil die meisten Frauen, die illegalisiert arbeiten und Gewalt erleben, Migrantinnen sind.

Eine Rettung aus der Sexarbeit oder eine „Abschaffung von Prostitution“ scheint weder sinnvoll noch realistisch oder erstrebenswert, weil sie voraussetzt, dass alle Sexarbeiter*innen „Opfer“ oder „Kriminelle“ sind. Stattdessen sollte auch ein feministischer Diskurs sich auf die äußeren Bedingungen konzentrieren, die wegen der Stigmatisierung gewaltvoller sind als die von anderen Arbeiter*innen. Das Stigma führt auch dazu, dass psychisch kranke Huren wegen einer angeblichen „Selbstverletzung“ weiter als Opfer behandelt oder als Kriminelle bestraft werden, statt Hilfe und Unterstützung zu bekommen.