„I don’t want to be a worker. I’m an entrepreneur.“ Eine US-amerikanische ehemalige Sexarbeiterin, die sich als „Heaux Mentor“ bezeichnet, hat sich in einem Instagram-Post und in ihrem Podcast „Sex work is dead“ von dem Begriff Sexarbeit distanziert. Ihr Geschäftsmodell besteht darin, anderen Sexarbeiter*innen Mentoring anzubieten, um aus ihnen Luxusescorts und Geschäftsfrauen zu machen. Ihre Kritik am Begriff Sexarbeit ist, dass er aus Sexarbeiterinnen Arbeiterinnen mache und sie mit „Blue collar“-Berufen oder körperlicher Arbeit gleichsetze. Ihre Distanzierung ist ein Indiz dafür, dass sie sich nicht der gesellschaftlichen Relevanz des Begriffs bewusst ist oder sich gar von Arbeiter*innen distanziert.

© Tine Fetz

Sexarbeiter*innen kämpfen mit Slogans wie „Sexarbeit ist Arbeit“ oder „Sex work is real work“ weltweit für eine Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit.(1) Der Begriff „sex work“ wurde zuerst von Carol Leigh verwendet. Ende der 1970er ersetzte sie auf einer feministischen Konferenz den Begriff „Sex Use Industry“ durch „Sex Work Industry“. Sie begründete das so: Der Begriff „Sex Use Industry“ mache Sexarbeiter*innen zu Objekten und verneine ihre Agency.

Das heißt selbstverständlich nicht, dass das Verhältnis zwischen Sexarbeiter*in und Kunden „gleichberechtigt“ sein muss. Lohnarbeit ist im Kapitalismus immer ein Ausbeutungsverhältnis. Das Argument, dass bei Sexarbeit zwei Erwachsene ihre Zustimmung geben, woraufhin eine Transaktion folgt, wird vor allem verwendet, wenn andere den Sexarbeiter*innen ihren freien Willen absprechen. Mit diesem Argument wird in den Diskursen um Zwangsprostitution und Menschenhandel ein humanisierendes Bild von Sexarbeit gezeichnet, in dem Sexarbeiter*innen keine Opfer sind.

Die Wirklichkeit lässt sich natürlich nur in Graustufen abbilden: Sexarbeit ist, wie jedes andere Arbeitsverhältnis, den materiellen Zwängen, denen die Sexarbeiter*innen ausgesetzt sind, unterworfen. Doch erst wenn Sexarbeit als richtige Arbeit verstanden wird, lässt sich den prekären Arbeitsbedingungen etwas entgegensetzen.

Maria Hasan

Maria Hasan lebt in Frankfurt und ist Sexarbeiterin und Feministin. Sie beschäftigt sich mit Gender und Alltagsthemen, Sexarbeit und Popkultur.

Chi Adanna Mgbako beschreibt in ihrem Buch „To live freely in this world. Sex worker activism in Africa“, dass Sexarbeiter*innen, obwohl sie natürlich von äußeren Faktoren wie Armut und dem Fehlen anderer Möglichkeiten beeinflusst sind, die Entscheidung treffen, dieser Arbeit nachzugehen, wie sie sie unter denselben Umständen auch bei einer anderen Tätigkeit treffen würden. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sexarbeiter*innen ihre Arbeit gerne machen. Ob Leute ihre Arbeit gerne machen oder nicht, sollte nicht ausschlaggebend dafür sein, ob jemand seiner Arbeit in Sicherheit nachgehen darf und kann. Denn ganz ehrlich: Wer arbeitet schon gerne? Jetzt mal von protestantischen Deutschen mit Arbeitsfetisch abgesehen.

Dabei hängt es selbstverständlich nicht an diesem einen Wort, ob Arbeiter*innen sich organisieren oder nicht. Dennoch kann es zu einer Bewusstseinsänderung führen, wenn (auch) von Sexarbeiter*innen gesprochen wird: Das liegt zum einen an der Verortung in der Arbeiter*innenklasse und zum anderen an der Entstigmatisierung durch die Bezeichnung „Arbeit“. Als Arbeiter*innen ist eine Identifikation und Organisierung für bessere Arbeitsbedingungen einfacher; es geht also um einen kollektiven Kampf gegen allgemeine Probleme.

Abgrenzungen, wie die von „Heaux Mentor“, von Arbeiter*innen und prekärer Sexarbeit erschweren eine Solidarität unter Sexarbeiter*innen. Denn wenn jede*r als „professional“ für ihr*sein eigenes „business“ und „branding“ zuständig ist, werden auch für Sexarbeiter*innen, die prekär arbeiten, ihre Arbeitsbedingungen zu einem individuellen Problem. Das Abgrenzen folgt einer im schlechtesten Sinne liberalen Logik, in der es jede*r Sexarbeiter*in „schaffen“ könne, wenn er*sie sich anstrengen würde oder, im Fall von „Heaux Mentor“, das richtige Mentoring-Programm besuchen würde. Damit werden auch kollektive Proteste gegen Kriminalisierung, wie 1975 in Lyon und viele danach, verunmöglicht und die Realität der großen Masse von Sexarbeiter*innen, die keine „Entrepreneurs“ werden können, verkannt.

Anmerkungen:
1) Z. B. die Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit – Respekt!“, die seit 2017 gegen das ProstSchG kämpft.