Sie beschäftigen sich seit über zwanzig Jahren mit Rassismus in Deutschland. In Ihren jüngsten Texten scheinen Sie besonders alarmiert – ist die Situation heute wirklich so viel schlimmer als zuvor?
Im Zuge von #MeTwo wurde erstmals öffentlich dokumentiert, was die meisten schon wussten: dass Rassismus in Deutschland stark verbreitet ist, immer noch. Und er kommt gerade wieder drastischer zum Ausdruck. Die Debatte um Seehofers „Masterplan Migration“ und die gottgleiche Frage in der Wochenzeitung „Die Zeit“, ob man Menschen beim Ertrinken retten soll oder nicht, haben neue Tiefpunkte markiert. Der Rassismus bietet eine scheinbar einfache Lösung für die Probleme der Menschen. Und die Probleme werden für viele Menschen größer, ihre Lebensverhältnisse prekärer, die Konkurrenz unter den Menschen wächst. Nationalismus und Rassismus erstarken genau deshalb, weil sie Projektionsflächen für die Ursachen der Probleme erschaffen: Nationalismus bestimmt einen äußeren Feind, Rassismus einen inneren. Nationalistische Projekte brauchen eine fiktive Ethnizität im Inneren. Heute umso mehr, da das Innen durch Globalisierungsprozesse immer heterogener wird. Gefährlich ist außerdem, dass den nationalistischen und rassistischen Stimmen gerade immer mehr Platz eingeräumt wird.  

© Christina Gransow

Platz einräumen, die Ängste der deutschen Bevölkerung ernst nehmen – viele Medien behaupten, dass sie das jetzt tun, weil sie davor zu progressiv gewesen seien und dabei sehr viele Menschen abgehängt hätten.
Das ist aber falsch. Erstens ist fraglich, ob sie wirklich so progressiv waren. Und zweitens ist es keine Lösung, Rassismus zu verharmlosen. Wir sind in einer gefährlichen Konjunktur. Und ein zentrales Problem besteht offensichtlich darin, dass viele das nicht einsehen. Mehr noch: Inzwischen etabliert sich eine Toleranz gegenüber nationalistischem und rassistischem Gerede. Die Strategie der Rechten geht auf: Sie versuchen eine neue rassistische Ordnung herzustellen, indem sie über die anerkannten Grenzen legitimer Diskurse hinausschießen und die Grenzen verschieben. Dem wird so viel Aufmerksamkeit zuteil, dass wir die Kritik daran gar nicht mehr hören und die wahren Kräfteverhältnisse aus dem Blick verlieren.

Die da wären?
Studien belegen, was das Label der „Willkommenskultur“ suggerierte: dass sich seit 2015 mehrere Millionen Deutsche in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit engagiert haben. Und

dass außerdem zwei Drittel der deutschen Bevölkerung den Rechtsruck und die Verrohung der politischen Debatte beklagen. Öffentlich werden diese Menschen aber kaum mehr repräsentiert.

Stimmen Sie der These zu, die in der Diskussion um den französischen Philosophen Didier Eribon immer wieder laut wurde: Die Linken hätten Klassenverhältnisse, ausgebeutete Arbeiter*innen und Arbeitslose zu lange ignoriert und damit Rassismus verstärkt?
Diese These dient der Rechten, um gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen. Es ist schon fast banal zu sagen, dass ihre Verfechter*innen nur in die Statistik schauen müssen, um zu sehen, dass Geringverdiener*innen, auch in Deutschland, anteilsmäßig vor allem migrantisch sind. Die IG Metall ist die größte Vertretung von Arbeitenden in der Welt, und der Anteil von Migrant*innen darin ist genauso hoch wie der in der deutschen Gesellschaft insgesamt. Man könnte also sagen, d…