In Frankreich wird wieder revolutioniert. Seit dem 17. November entlädt sich die Wut auf Macrons neoliberale Politiken, es werden Straßenbarrikaden errichtet, Manifeste geschrieben und an sie geglaubt, Geschäfte werden geplündert, aus vielen Mündern ertönt die Nationalhymne. Abgesehen davon, dass die Bewegung in Deutschland keine Bewegung ist, sondern ein kopfloses, rechtsverschwörerisches Internetgespenst, dessen Direct-Action-Höhepunkt eine Zebrastreifen-Blockade mit sechs Aktivist*innen und einem Schäferhund war, gibt auch die Reaktion auf das breite Bündnis der Demonstrant*innen in Frankreich Grund zum Nachdenken: Viele Kommentator*innen berichten über die gilets jeunes vor allem im Zusammenhang mit gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei oder in Bezug auf die Gefahr der Vereinnahmung von rechts. 

Flickr/Felix Förster

Mit ihrer Ablehnung gegenüber der Bewegung jenseits des Rheins lässt die liberale Linke eine Bewegung fallen, die für vieles kämpft, für das sie selbst ja eigentlich auch einstehen sollte: für gerechte Löhne, von denen man leben kann, Steuerreformen, die nicht nur vor allem Geringverdiener*innen tragen, und: für das Miteinanderreden. Spätestens seit der letzten Bundestagswahl verbringt die liberale Linke doch gefühlt ein Drittel ihrer Lebenszeit mit der Diskussion, ob, dass und wie man mit Rechten reden sollte. Auf Frankreichs Straßen treffen sich marginalisierte Personen aller Parteizugehörigkeiten. Wird halt nicht nur geredet. 

2018 war ein Jahr der Verunsicherung. Wie 2017 und 2016 und vermutlich viele Jahre zuvor auch hatten viele das Gefühl, an einem Seilziehen teilzuhaben, dessen Ausgang ungewiss war. Deutlich wurde, dass gesellschaftlicher Fortschritt nicht gegeben ist, sondern man dafür kämpfen muss. Kämpfen klingt immer so, nun, aggressiv, deswegen fanden sich schnell andere Formen, mit denen sich die breiten Bündnisse, die sich gegen den Rechtsruck formierten, fortan für den Fortschritt einsetzten: das Tanzen, das Glitzern, das Rocken, das Wegbassen. Diese sehr einladend formulierten Koalitionen waren (zahlenmäßig) sehr erfolgreich: #wirsindmehr mobilisierte mit einer als Konzert getarnten Demo gegen Rechts (oder war es andersherum?) 65.000 Teilnehmer*innen. Die kamen nicht alle aus dem antifaschistischen Spektrum, in der Organisation wurde aber auf die Strukturen lokaler Organisationen zurückgegriffen, die sich seit Jahren gegen Rechts engagieren. Wie ein Hohn klang im Nachhinein dann die Kritik, dass es teilweise „doch irgendwie zu politisch“ zugegangen sei; die „Alerta Antifascista“-Rufe seien der einen oder anderen übel aufgestoßen.

Bündnisse sind schön und gut und öffentlichkeitswirksam. Was sie aber auch brauchen, ist Vertrauen. Das Vertrauen, dass Bekenntnisse zu gemeinsamen Werten nicht nur Lippenbekenntnisse sind. Sondern sich einander der Rücken freigehalten wird, sollte man unter Beschuss geraten. #Unteilbar darf nicht nur auf Rockkonzerten und Glitzerdemos funktionieren, sondern auch dann, wenn eine gemeinnützige Stiftung Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus und Ausgrenzung macht und dafür ordentlich Hass von Rechts abbekommt. Bündnisse verlangen nach Solidarität bei sexistischen, rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Angriffen. Diese Solidarität ist nicht daran gekoppelt, ob man die gleichen Meinungen vertritt – nachhaltig kann ein Bündnis aber nur sein, wenn die anderen Bündnispartner*innen das genauso ernst nehmen. 

Womit der Bogen zu den gilets jeunes reicht, die wirklich wirklich nicht mit den deutschen Toxic-Waste-Facebook-Gruppen zu verwechseln sind. Zu fordern, dass alle Handlungen oder Forderungen einer ideologisch so diffusen Bewegung zu unterstützen seien, wäre gefährlich. Rassistische oder antisemitische Ausfälle sind auch hier zu kritisieren – das passiert zum Glück auch schon innerhalb der Bewegung. Wem soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt, ist es dieser (und jeder) Bewegung jedoch schuldig, sich differenziert damit auseinanderzusetzen, was genau hier passiert und wer da auf der Straße ist. Liberale Linke, come get your people. Es gibt hier etwas zu tun.