Der knusprige Blätterteig auf meinem Teller schwimmt in einer dicken Suppe aus Zuckersirup, die darin liegenden Walnüsse fallen beim Durchtrennen der kleinen Stücke unkontrolliert auseinander und die ungewöhnliche Form der Süßigkeit, in die man sich aus Neugier und Heißhunger verliebte, verfällt in Stücke, bricht zusammen und lässt etwas übrig, das nicht mehr so perfekt aussieht, aber genauso gut schmeckt. So ungefähr verhält es sich mit der gelebten Männlichkeit, die mir einfach nicht mehr passt. Sie tut mir sogar weh.

Sieht köstlich aus, tut aber weh © Wikimedia Commons/Robert Kindermann/CC BY-SA 2.5

In den ersten Jahren meines Lebens gab es nichts Größeres als Fußball, Fleisch und den ständigen Drang nach Bestätigung, vor allem von Frauen. Sex war das ultimative Erlebnis einer Reise, die ich selber nie gebucht habe, aber auf die ich trotzdem gehen musste. Auf jeder Party wollte ich zu Sean Paul tanzen und „Mädels klarmachen“. Es war aufregend. Mit jedem noch so kleinen Kuss, jeder Aufmerksamkeit vergrößerte sich mein Gefühl und die Sicherheit: Hier gehöre ich hin. Alles andere war mir egal. Jungs, die keinen Erfolg hatten, wurden gemieden, „Schwuchteln“ genannt und nicht mehr auf Partys mitgenommen. So einfach war das. Das System hat klare Regeln. Fällst du auf, fliegst du raus.

Im Studium, als ich mich durch die langweiligen Ersti-Partys soff und zu Macklemore hinter einem versifften Uni-Gebäude rummachte, wurde alles allmählich zu einer öden Routine, die genauso aufregend war wie meine Statistik-Vorlesungen: vortrinken, Mädels abchecken, anmachen, antanzen und fragen, ob sie Bock hat. Sex war die ultimative Notwendigkeit eines Abends, den ich nie wollte, aber trotzdem erleben musste.

Unzählige Male ging ich nach Hause, schlief mit Personen, die mir nichts bedeuteten, aber erzählte trotzdem allen Jungs, was für ein krasser Typ ich sei. In einem kleinen Notizbuch dokumentierte ich sorgfältig alle Namen der Frauen, mit denen ich was hatte, nur um Beweise für scheinheilige Gespräche mit Freunden zu sammeln. Ich war abhängig von einer Welt, die Frauen auf Zahlen degradierte, sie zu Objekten meiner Fantasie machte, aber ernst gemeinten Respekt, geschweige denn Würde, vermissen ließ. Darauf habe ich keine Lust mehr. Es tut mir weh. Ständig den Dicken markieren zu müssen, harten Penetrationssex zu performen, immer bereit zu sein und lieber über nichts reden zu müssen. Es tut mir weh, sexistischen Sprüchen nicht energischer entgegengetreten zu sein, sexuelle Belästigung geduldet und selbst ausgeübt zu haben und dabei meiner Unehrlichkeit zum Opfer gefallen zu sein.

Ich habe zwei ältere Schwestern, habe es gemocht, mit Puppen zu spielen, das Maniküre- und Pediküreset meiner Mama auszuprobieren, und lieber mit Freundinnen gespielt, weil es mit ihnen keinen Druck gab. Ich konnte ich selbst sein, ohne mich zu belügen, und verstand schon früher nicht, was daran so „komisch“ sein soll.  Wenn ich jetzt über all diese Momente nachdenke, wo ich nach dem ersten „Nein“ einfach meine Klappe hätte halten sollen, merke ich, wie bedrängt und unter Druck gesetzt alle Frauen sich gefühlt haben müssen. Ständige Beobachtung, Reduzierung und Sexualisierung tun weh und ich habe erst viel zu spät begriffen, was es heißt, als Mann in der Gesellschaft privilegiert zu sein.

Beim Anblick dieses süßen Stück Nachtischs werde ich noch an eine andere emotionale und soziale Ambivalenz erinnert, die mir wehtut: Wenn Frauen es als die als ultimativ exotisierende, orientalistische Erfahrung sehen, mit dem türkischen Boy, Baklava zu essen. „Lass uns bitte Baklava essen, das isst du doch voll gern.“ Ja, das tue ich, aber nicht, wenn ich dadurch auf meine kulturelle Identität reduziert werde. Um die komplexe Zusammenstellung, das Innere des Baklavas, geht es dabei nie, sondern um das Erlebnis, etwas „anderes“ auszuprobieren. Wenn ich mit dir zusammen war, sollte ich immer ein stolzer Türke sein, auch wenn es nur im Scherz gemeint war. Aber natürlich gingen wir immer in Kreuzberg türkisch essen, tranken Cay, wenn es kalt war, und ich erzählte dir von dieser Türkei, die du nur aus Pauschalurlauben in Antalya kanntest. Aber nur, weil du es mochtest. Ich merkte, wie ich selbst hin und her schwamm und nie festen Halt unter meinen Füßen bekam. Denn sowohl für meine Familie als auch für Frauen musste ich der stolze, haarige, harte und heimattreue Türke sein, der ich nie sein wollte, weil ich sonst nicht genügte und auffiel.

Gefangen zu sein in einem Wechselspiel aus dieser täglichen Ambivalenz und der gesellschaftlich motivierten toxischen Männlichkeit bereitet mir nicht nur Kopfschmerzen, sondern hat mich nach Jahren der Auseinandersetzung auch verletzlich gemacht. Zum Glück. Denn wenn ich eines dadurch gelernt habe, ist es, darüber zu sprechen. Über Ängste, Gefühle, Herausforderungen, Sexualität und die ewigen Frage nach dem wahren Mann. Denn den gibt es nicht. Und das ist auch gut so.