Ich streite mich mit meinem deutschen Kumpel Klaus über „Call-out Culture“, also die Gepflogenheit, jemanden öffentlich auf ihr*sein diskriminierendes und verletzendes Verhalten hinzuweisen. Klaus wird bei dem Thema sehr, sehr wütend.

„Jacinta!“, ruft er. „Siehst du nicht, was gerade passiert? In welch gefährlichen Zeiten wir leben? In einer Zeit von Sprachdiktatur! Von Literaturzensur! Es herrscht ein neuer Totalitarismus!“

© Josephin Ritschel

„Ach komm“, sage ich.

„Doch!“, entgegnet Klaus. „Ich als böser weißer Mann kriege langsam Angst, überhaupt irgendwas zu schreiben. Wir weißen Männer leben heutzutage in ständiger Angst!

Denn wenn wir das falsche Wort wählen, steht plötzlich eine Armee beleidigter Minderheiten auf, um uns zu kritisieren und zu schikanieren und zu erniedrigen. Und warum? Weil alle outgecalled werden müssen.“ „Ist das der Grund, warum weiße Männer derzeit so oft schweigen?“, frage ich.

Ich habe null Mitleid mit weißen Männern, die denken, dass sie arme Mobbing-Opfer von Call-out-Kampagnen seien und dass Minderheiten, die sich über diskriminierende Sprache beschweren, eine Opfermentalität haben. Auch wenn die „Call-out Culture“ nicht immer unproblematisch ist, ist sie keine Zensur. Selbst wenn jeder Mensch, der Outcalling betreibt, ein totales Arschloch wäre und jeder Mensch, der outgecalled wird, ein hilfloses Opfer, wäre es keine Zensur. Zensur ist nur dann eine solche, wenn eine Person einer anderen etwas verbietet – und die Macht zum Verbieten besitzt. Also z. B., wenn eine Regierung ein Verbot durchsetzt und Menschen in den Knast kommen, w…