Das Beste, das wir tun können
Von
Von Alisa Tretau
Egal, ob du homo, hetero, trans oder cis bist, ob Single oder in romantischer Zweierbeziehung – der Auseinandersetzung mit der Frage, ob du Kinder willst oder nicht, wirst du nicht entgehen, wenn du von der Außenwelt oder dir selbst als gebärfähig wahrgenommen wirst. Tabus und Versagensängste rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein führen schnell dazu, dass wir uns aufgrund unserer Fragen und Sorgen schämen und uns voneinander zurückziehen, statt Unterstützung anzubieten, einzufordern und zuzulassen. Das können ganz unterschiedliche Themen sein, z. B. wenn du dir Sorgen um die Zukunftsperspektiven deines möglichen Nachwuchses machst, unter Endometriose leidest, deine Karriere dir so viel Spaß macht, dass du sie niemals für eine Schwangerschaft unterbrechen willst und dir trotzdem Kinder wünschst, oder du nie verhütest und nie schwanger wirst. Wie können wir trotz unserer unterschiedlichen Ausgangspositionen eine gemeinsame Sprache für unsere Wünsche finden, und zusammenhalten, wenn Gefühle unter die Haut gehen?
Ein Kinderwunsch erscheint zunächst erst einmal als etwas sehr Privates. Da will ein Mensch oder zwei oder gar mehrere sich fortpflanzen. Eine Familie gründen. Vielleicht auch nur: den Vorstellungen von Herkunftsfamilie und Gesellschaft entsprechen. Viel wird nicht gesprochen über diesen Wunsch, dafür umso mehr darüber, wie man sich zu verhalten hat, wenn er in Erfüllung geht.
Scham über angebliches Versagen, Neid auf vermeintliches Familienglück anderer und Angst, mit Fragen in allzu intime Bereiche vorzudringen, verschleiern zudem, dass Kinderwünsche in den unterschiedlichsten Ausgangslagen existieren: Da ich unter 40 Jahre alt bin und in einer Heterobeziehung lebe, konnte ich meinen Partner heiraten, damit unsere Krankenkasse zumindest einen Großteil der Kosten für eine künstliche Befruchtung übernimmt. Meinen lesbisch lebenden Freund*innen ist das verwehrt. Trans Männer müssen, wenn sie Kinder austragen, ihren vorherigen, weiblichen Vornamen wieder annehmen, um in die Geburtsurkunde eingetragen zu werden – als „Mutter“. Wie schmerzlich dieser Zwang zum Outing, zur Re-Identifikation mit einer abgelegten Identität sein muss, muss ich zum Glück nicht am eigenen Leib erfahren. Und auch die Frage, ob eine Schwangerschaft trotz festgestellten Gendefekten des Fötus ausgetragen werden soll, bringt werdende Eltern in die unmögliche Situation, eine Entscheidung zu treffen, die zugleich so moralisch, politisch und abhängig von persönlichen Ressourcen ist, dass sie gefühlt in einer Katastrophe enden muss.
Seit mehreren Jahren will ich Mutter werden und zwar so, wie es für eine cis Frau in meiner Familie üblich ist: Von Liebe getrieben wird sie jung, ungeplant und mit einem cis Mann schwanger. Sie meistert das daraus resultierende Chaos mit Humor und Selbstaufgabe, während sie parallel noch eine befriedigende berufliche Karriere hinlegt. Auf dem Weg zur Erfüllung dieses Plans bin ich schon so viele Umwege gegangen, dass er mittlerweile gar nicht mehr aufgehen kann: Als ich nach einem Jahr unverhütetem Heterosex endlich schwanger wurde, erlitt ich eine Fehlgeburt. Es folgten eine entzündete Gebärmutter, verkrampfte „Übungszyklen“ und jede Menge Versagensängste, des Weiteren mehrere operative Eingriffe, einige künstliche Befruchtungen und noch eine Fehlgeburt. Ich akkumulierte Scham über mein fortwährendes Scheitern an der Hetero-cis-Norm, „einfach so“ Mutter zu werden, und fühlte mich zunehmend isoliert. Um mich herum bekamen meine Hetero-cis-Freundinnen Anfang/Mitte dreißig Kinder und deklarierten ihre Schwangerschaften fast ausschließlich als Zufälle. Ob ich es hören wollte oder nicht: Immer wieder erklärten mir „Eltern-by-accident“ mit verschmitztem Lächeln, sie hätten „das gar nicht geplant“, und meinten damit ihre Kinder, die in just dem Zeitraum geboren wurden, in dem Gesellschaft, Familie und biologische Uhr sich welche von ihnen wünschen.
Ich kann verstehen, dass unter dem großen Druck, alles richtig zu machen, die Entscheidung für ein Leben mit Kind gern als etwas Zufälliges, Ungeplantes dargestellt wird; denn wenn ich mich nicht aktiv entschieden habe, habe ich doch wohl mehr Anrecht auf Kuddelmuddel-Situationen und Unterstützung in diesen, als wenn ich mich offenen Auges in eine komplexe Situation gesteuert habe, die mich dann auch noch überfordert?
Während es also in den Kindergärten von niedlichen Zu- und Unfällen nur so wimmelte, begann ich mich zu fragen: Bin ich die Einzige, die nicht beim einmal vergessenen Kondom direkt schwanger wird? Und: Was kann ich tun, damit mein Körper endlich macht, was ich will? Auf der Minus-Seite wurde ich von Neid und Scham zerfressen, während ich mich verschiedenster, teils kostspieliger, teils schmerzhafter, sich zusehends sinnloser anfühlenden Behandlungen unterzog, von Eileiterspiegelungen über Hormon-Yoga bis hin zu Hypnose.
Auf der Plus-Seite begann ich, mich intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen, wer überhaupt Mutter werden darf und soll, und wer nicht. Ich entdeckte, wie heteronormativ und von neoliberalen Mythen über die „junge starke Mutter“ geprägt mein Kinderwunsch war. Und erfuhr, zum Glück, wie viele unausgesprochene, im wahrsten Sinne des Wortes unerhörte Erfahrungen rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein mich umgaben, ohne dass ich davon mitbekommen hatte. Ich traf trans Männer, die für die Verarbeitung ihrer Fehlgeburten noch weniger Raum zum Trauern fanden als ich, lesbische Paare, für die Kinderwunsch finanzielle Not bedeutet, und erfuhr von den vielfältigen rassistischen Strukturen, die Schwangersein und Mutterschaft von POCs erschweren.
Einige dieser und andere Erfahrungen habe ich in dem Sammelband „NICHT NUR MÜTTER WAREN SCHWANGER“ (edition assemblage) zusammengebracht und so einen Raum erschaffen, der mir das bietet, was ich während unzähliger Situationen von Scham, Wut, Ohnmacht und Trauer vermisst habe: Solidarität.
Wer im Kontext Kinderwunsch Hilfe sucht, findet vor allem Beratungsangebote, die auf spezifische Gruppen oder auch auf einzelne Personen zugeschnitten sind; hier wird z. B. die hetero cis Frau angesprochen, die nicht auf natürlichem Wege schwanger wird, oder das lesbische Paar, das Informationen zur rechtlichen Situation benötigt. Diese Beratungen können für Einzelne sehr hilfreich sein, bieten jedoch weder kontinuierliche Begleitung noch einen solidarischen Ansatz, der über die verschiedenen Ausgangslagen von Kinderwünschen hinweg verbindet.
Gelebte Solidarität hat viel mit Fürsorge zu tun. Mit der Unterstützung von Verbündeten, die Freund*innen sein können, oder auch Fremde, denen man durch ein bestimmtes Thema, eine politische Situation, manchmal auch nur durch Gefühle des Unwohlseins, der Trauer oder der Wut, verbunden ist.
Wenn wir den Druck anerkennen, den die Auseinandersetzung mit der Kinderfrage auf viele, wenn nicht gar alle, ausübt, können wir die Ergebnisse dieser Fremd- und Selbstbefragungen so offen teilen, dass sie uns gegenseitig Trost spenden. Mir hilft es z. B. sehr, eine gut gelaunte 40-Jährige über die völlige Abwesenheit eines Kinderwunschs sprechen zu hören, gerade weil ich selbst einen brennenden habe. Das entspannt mich einfach. Und mit jeder Person, die mir von ihrer Fehlgeburt, Abtreibung oder gewaltvollen Geburtserfahrung erzählt, fühle ich mich verbunden. Natürlich sind das intime Erfahrungen, die man nicht unbedingt teilen möchte. Trotzdem ist es gut, das patriarchale Schweigegebot, das alle gynäkologischen und reproduktiven Zwickmühlen zu betreffen scheint, sukzessive aufzuweichen, indem wir offener miteinander sprechen. Diesem ersten Schritt hin zu einem solidarischen Umgang mit überfordernden Situationen rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein kann praktische Unterstützung folgen: Du erfährst davon, dass jemand in deinem Umfeld eine Fehlgeburt erlitten hat? Biete ihr*ihm einen offenen Raum an, in dem das Erlebte nicht kleingeredet oder schnell „wieder gut gemacht“ werden muss, sondern so lange betrauert werden darf, wie es nötig ist. Jemand befindet sich in reproduktionsmedizinischer Behandlung? Vielleicht habt ihr Kapazitäten, die ihr bei der Organisation zur Verfügung stellen könnt, um z. B. eine Liste mit Medikamenten zu erstellen, die im Ausland günstiger zu haben sind. Oder wenn die Nerven blank liegen, den Anruf in der Klinik, um nach dem Ergebnis des Schwangerschaftstests zu fragen, zu übernehmen. Oder wenn die letzte künstliche Befruchtung auch finanziell eine Pleite für die Betroffenen war, eine Spendenaktion für einen weiteren Versuch zu starten.
Michelle Obama schreibt in ihrer Biografie „Becoming“ auch über ihre Fehlgeburt und anschließende In-vitro-Fertilisationen, mit deren Hilfe sie ihre zwei Kinder bekam. Ihr Fazit: „I think it’s the worst thing we can do to each other as women, not share the truth about our bodies and how they work.“
Lasst uns diese Erkenntnis auf alle anwenden, die sich mit der eigenen Gebärfähigkeiten auseinandersetzen müssen, egal ob diese vorhanden ist oder nicht, ob sie zum Zuge kommen soll oder für immer als mögliche Unmöglichkeit an unserer Seite bleibt – das Private bleibt politisch und unsere Körper Schauplätze bedeutender Erfahrungen. Nutzen wir sie, um zusammenzuhalten.