Von Sophie Charlotte Rieger

Alles begann mit einem aufblasbaren Iglu, der sogenannten „Bubble“, in der sich ProQuote Regie 2015 erstmalig im Rahmen der Berlinale präsentierte – geschickt platziert direkt auf dem Potsdamer Platz, gleich neben dem Sony Center, aber auch klein und im kühlen Berliner Februar mäßig gemütlich. Nur drei Jahre später lädt die Organisation, die inzwischen ProQuote Film heißt und neun verschiedene Gewerke umfasst, zu einem internationalen Roundtable ins Auswärtige Amt. In einem stattlichen Saal sitzt nun eine beeindruckend große Runde internationaler Vertreterinnen des Diskurses um Frauen in der Filmbranche. Die Veranstaltung wird eröffnet von keiner Geringeren als Michelle Müntefering, Staatsministerin für internationale Kultur- und Bildungspolitik in ebenjener Institution.

Es scheint auf den ersten Blick, als sei eine Menge passiert. Und auch auf den zweiten, wie auf der Webseite von ProQuote Film dargelegt, zeigen sich Erfolge. Ja, der Diskurs um Geschlechtergerechtigkeit in Film und Fernsehen hat an Teilnehmer*innen und Öffentlichkeit gewonnen. In der Filmförderungsanstalt FFA müssen Gremien jetzt paritätisch besetzt werden und 2016 setzte sich die Medienkoalitionsvereinbarung von Berlin und Brandenburg die paritätische Vergabe von Aufträgen in Produktion, Regie und Drehbuch als Zielvorgabe. Eine Zielvorgabe für die Regie wurde auch von ARD und Degeto, der Filmeinkaufsorganisation der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt, vereinbart.

An dieser Stelle ist es nun Zeit für den dritten Blick. Die gute Nachricht ist: Wie der fünfte Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie vom November 2018 zeigt, erreichte die ARD ihre Zielvorgabe. Die schlechte Nachricht ist: Hierbei handelte es sich mitnichten um die von ProQuote Film geforderten 50, sondern um läppische 20 Prozent. Für das ZDF liegen die Zahlen noch niedriger, nämlich bei knapp 17 Prozent. Im Kino wiederum hat sich seit dem ersten Diversitätsbericht des BVR aus dem Jahr 2014, dem Gründungsjahr von ProQuote Regie, rein gar nichts getan: Damals wie heute beläuft sich der Frauenanteil auf 22 Prozent. Auch ist damit nur ein einziges Gewerk abgedeckt. Wie die Erhebung von Schauspielerin und Bloggerin Belinde Ruth Stieve kürzlich zeigte, waren beispielsweise an den „Tatort“-Produktionen des Jahres 2018 nur 5,5 Prozent Autorinnen und schockierende 0 Prozent Kamerafrauen und Tonmeisterinnen beteiligt.

© Jan Windszus

Filmfrauen bei der Berlinale 2019

Da tut sich nun eine gewaltige Schere auf zwischen der groß angelegten Inszenierung des Diskurses und der tatsächlichen Umsetzung des Ganzen. Daher ein kleiner Blick auf die multiplen Veranstaltungen, die im Rahmen der Berlinale 2019 zum Thema Frauen in der Filmbranche stattfanden.

Zunächst einmal war das Thema Diversität in diesem Jahr so vielgestaltig vertreten, dass eine Zusammenfassung der Termine dem Festival eine eigene Pressemitteilung wert war. Allein ProQuote Film und Women in Film and Television Germany luden zu vier beziehungsweise zwei verschiedenen Events ein – kein Wunder, dass diese dann auch mal zur selben Zeit stattfanden und folglich um ihr Publikum konkurrierten. Konkurrenz ist hierbei durchaus ein Schlüsselbegriff, treten doch die großen deutschen Akteurinnen des Diskurses – ProQuote Film, WIFT Germany und die Malisa Stiftung – weniger im Schulterschluss denn als Alleinkämpferinnen auf. Abgesehen von einer nur wenige Minuten dauernden Präsenz der ProQuote Vorsitzenden Barbara Rohm beim WIFT-Empfang standen die Köpfe der großen deutschen Filmfrauenverbände nicht gemeinsam auf einer Bühne. Maria Furtwängler wiederum, seit der durch ihre Stiftung angestoßenen Studie „Audiovisuelle Diversität“ das neue Gesicht des Genderdiskurses in Film und Fernsehen, war bei den obig genannten Veranstaltungen auffällig unauffällig, in den meisten Fällen schlicht abwesend.

Immerhin kooperierten in diesem Jahr erstmalig das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund/Köln und Women in Film and Television Germany. Sie richteten statt den üblichen separaten Empfängen nun einen gemeinsamen aus, in diesem Falle ein historischer Moment, denn Dieter Kosslick unterschrieb bei der Veranstaltung am 09. Februar 2019 die „5050by2020“-Selbstverpflichtung für eine geschlechtergerechte Berlinale. Leider wirkte sein Auftritt vor dem mehrheitlich weiblichen Publikum vor allem wie eine PR-Aktion. Seine Selbstinszenierung als Feminist der ersten Stunde sorgte für Amüsement, aber auch skeptisch-höfliche Lacher. Zudem irritierte das Faktum, dass es sich um eine der letzten Amtshandlungen Kosslicks vor Abgabe seiner Funktion als Berlinale-Direktor handelte. Warum war sein Nachfolger Carlo Chatrian nicht mit von der Partie?

Beim Blick auf die genannten Veranstaltungen drängt sich noch eine weitere Frage auf: Geht es bei der angestrebten Diversität hinter den Kameras vor allem um westeuropäische oder doch zumindest weiße Frauen? Schon am runden Tisch von ProQuote Film kritisierte Adela Peeva von Women Film Directors in Bulgarian Cinema die auffällige Abwesenheit osteuropäischer Vertreterinnen in der Runde. Ein Blick auf die Gästinnenliste verrät außerdem, dass am Tisch keine Sprecherin aus Asien, mit Ausnahme von Südafrika keine aus Afrika und mit Ausnahme von Brasilien keine aus Südamerika vertreten war. Frauen aus diesen Regionen fehlten auch auf anderen Filmfrauen-Panels. Bei der Veranstaltung von WIFT Germany kam keine einzige nicht-weiße Person auf der Bühne zu Wort. Bei den ProQuote Film Veranstaltungen gestaltete sich die Zusammenstellung der Sprecherinnen mit Frauen wie Deborah Williams (Creative Diversity Network) oder Naomi Sesay (Channel 4) deutlich diverser, doch auch hier trat ein europäischer Fokus zutage.

Ein Blick in die Geschichte der Filmarbeiterinnen

Besonders interessant sind all diese Beobachtungen vor dem Hintergrund eines Schriftstücks, das ProQuote Film bei ihrer ersten Veranstaltung in diesem Jahr, dem internationalen Roundtable im Auswärtigen Amt, selbst an die Anwesenden verteilte: „filmemacherinnen in st. vincent“ von Claudia von Alemann und Helke Sander erschien 1975 in der Zeitschrift „Frauen und Film“. Hier berichten die Autorinnen von der Versammlung internationaler Filmfrauen in ebenjenem Jahr sowie den gemeinsam gesetzten Zielen.

Dieses Erbe der deutschen Filmarbeiterinnen fand durch ProQuote Film Vorsitzende Barbara Rohm im Zuge der verschiedenen Veranstaltungen des Vereins in diesem Jahr eine sehr auffällige Betonung, zumal der historische Bezug in den vorhergehenden Jahren eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte – sehr zum Ärger der älteren Generation von Filmaktivistinnen. Eine genauere Lektüre des Artikels verdeutlicht zwei Aspekte: Erstens sind die Ziele aus den 70er-Jahren traurigerweise mit den heutigen Forderungen nahezu identisch und zweitens nimmt sich die jüngere Generation an den Leitlinien ihrer Vorgängerinnen leider nur sehr begrenzt ein Beispiel.

Da wäre beispielsweise die Zusammenstellung der Frauenrunde im Jahr 1975, zu der unter anderem auch Filmkritikerinnen gehörten, die im heutigen Diskurs überhaupt nicht mehr vorkommen. Auch schreiben die Autorinnen in ihrem Bericht davon, dass den Frauen die Kongressatmosphäre der von der UNESCO organisierten Veranstaltung so gegen den Strich gegangen sei, dass sie sich spontan lieber am Pool des Hotels statt in den dafür vorgesehenen Räumen versammelt hätten. Nun ist freilich an den durchorganisierten und prominent besetzten Veranstaltungen von WIFT und ProQuote Film nichts zu bemängeln, doch sie zeugen zugleich auch sehr deutlich von einem Fokus auf die Außenwirkung des Unternehmens. Doch wer genau wird hier anvisiert? Durch die in der Regel nur spärlich vertretene Presse trägt sich diese Wirkung nicht ausreichend in die Öffentlichkeit, was auch auf die fehlende Mitwirkung von (Film-)Journalistinnen beziehungsweise feministischen Influencerinnen zurückzuführen ist.

Des Weiteren sticht die inhaltliche Ausrichtung der 1975er-Position ins Auge. „wie können wir eine andere filmsprache, andere ausdrucksformen finden, die das diffamierende, reduzierte und stereotypisierte frauenbild der massenmedien formal und inhaltlich überwinden?“, fragen da Alemann und Sander gleich zu Beginn ihres Artikels. Diese Verknüpfung der Repräsentationsdiskurse vor und hinter der Kamera geschieht heute jedoch nur sehr ungenügend. Zwar hat die Studie „Audiovisuelle Diversität“ das Thema diverser TV- und Kinoinhalte medienwirksam aufs Tablett gebracht, jedoch hapert es sichtlich an einer Zusammenarbeit der jeweiligen Akteurinnen, so dass statt eines gemeinsamen zwei separate Kämpfe um Gleichberechtigung ausgefochten werden. Bis auf einen Kommentar von ProQuote Vorstandsmitglied Tatjana Turanskyi, Machtstrukturen drückten sich auch in filmischer Ästhetik aus, fielen qualitative Diskussionen über Fernseh- und Kinonarrative bei den diesjährigen Filmfrauenveranstaltungen größtenteils unter den Tisch.

Schließlich fällt in Anbetracht der auch 2019 noch eurozentristisch besetzten Bühnen die Passage von Alemanns und Sanders Artikel ins Auge, in der es um die Repräsentation der „dritten Welt“ sowie der osteuropäischen Staaten geht, die hier explizit gefordert werden. 2019 müssen Frauen wie Sabaah Folayan von Film Fatales (USA) am internationalen Roundtable leider noch immer explizit darauf hinweisen, dass wir unseren eigenen Zugang zu Medien und Öffentlichkeit reflektieren und weniger privilegierten Personen Raum geben müssen.

Und so kommt bei all den vielfältigen Diskussion um Diversität und Geschlechtergerechtigkeit eine Frage sogar dann zu kurz, wenn sie explizit ausgesprochen wird, eine Frage, die schon 1975 im Manifest der Filmarbeiterinnen formuliert wurde: Wie können wir uns gegenseitig unterstützen? Der deutsche Feminismus hat auch – aber nicht nur! – in der Szene der Filmfrauen ein Ellenbogenproblem. Oder wie es Deborah Williams allgemeingültig formulierte: „Some women don’t want to change the world. They want to change their world.“

Vielleicht würde für alle Beteiligten mehr erreicht werden können, wenn die einzelnen Diskurse stärker verbunden und auch in gemeinsamen Veranstaltungen geführt, Energien also stärker gebündelt würden, statt durch parallele Events um die Aufmerksamkeit des ohnehin schon begrenzten Publikums zu konkurrieren. Sexismus ist ein System, dem wir nur beikommen können, indem wir mit vereinten Kräften an den Wurzeln arbeiten, statt auf die Früchte unserer eigenen Arbeit zu blicken. Diese Früchte sollen am Ende alle ernten können. Bleibt es bei einer kleinen Gruppe privilegierter Frauen, die sich durch Ellenbogenaktivismus einen Platz an der Sonne erkämpft haben, ist nichts gewonnen. Dann hat die Revolution ihre eigenen Töchter gefressen und sich das Patriarchat mit neuer Besetzung fortgeschrieben.

„Bildet Banden!“ Dazu hatte Jutta Brückner in ihrer Rede bei der ProQuote Film Veranstaltung im vergangenen Jahr aufgefordert. Und dieser Appell kann nicht oft genug wiederholt werden. Bildet Banden! Bildet Banden! Bildet Banden!