Von Christina Mohr

Als die Londoner Tate Gallery im Dezember 2018 verkündete, im kommenden Jahr ausschließlich Werke von Frauen zu zeigen, war das Aufsehen groß, die Medienresonanz ganz überwiegend positiv. Endlich würden Künstlerinnen angemessen geehrt, viel zu lange seien ihre Arbeiten übersehen oder marginalisiert worden. Dabei ist der programmatische Ansatz der Tate Britain nicht wirklich neu: Bereits 2010 war in Paris die Schau „Elles@centrepompidou“ zu sehen, im selben Jahr zeigte das Brooklyn Museum die Ausstellung „Seductive Subversion: Women Pop Artists 1958–1968“, jeweils mit dem Ziel, eine quasi unbekannte künstlerische Perspektive, die feminine nämlich, zu präsentieren.

Aber wie revolutionär ist es überhaupt, rein weiblich besetzte Schauen zu konzipieren? Wie sinn- und wirkungsvoll ist es, Künstlerinnen ein Jahr lang ein komplettes Museum zu reservieren? Was ergibt sich für die Zeit „danach“? Landen Künstlerinnen nach erfolgter Würdigung wieder an den Rändern der nach wie vor männlich dominierten Kunstlandschaft?

DieKnochenband Tabea Blumenschein
Die Knochenband Tabea Blumenschein ©CHROMOSOM XY. MÄNNERKUNST – HERRENKUNST

Die Berliner Künstler*innen Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris) und An Paenhuysen (Kuratorin) sind skeptisch: „Wenn das Wort ‚Frauenkunst‘ fällt, werden sofort Bilder evoziert: Sie ist körperbezogen und autobiografisch. Private Artefakte, der eigene Körper und die persönliche Biografie stehen im Zentrum, oft verbunden mit einer tragischen Leidensgeschichte. Im Blick des Zuschauers wird ‚Frauenkunst‘ deshalb erotisiert, fetischisiert oder exotisiert“, heißt es im Vorwort ihres Buchs respektive Ausstellungskatalogs „Chromosom XY. Männerkunst – Herrenkunst“, der im Verbrecher Verlag erscheint.

Paenhuysen und Müller realisieren seit Jahren gemeinsame Projekte wie die Ausstellung „Gebärde Zeichen Kunst. Gehörlose Kultur/Hörende Kultur“ oder „Pause. Bewegte Fragmente, eine Hommage an die Schauspielerin und Tänzerin Valeska Gert“. Beim Stichwort „Frauenkunst“ keimte in ihnen die Idee, auch der Kunst von Männern zur Sichtbarkeit zu verhelfen: „Anhand sechs künstlerischer Positionen werden bislang unsichtbare oder häufig übersehene Männergesten in der Kunst erforscht“, schreiben die beiden so professionell-versiert wie ironisch über ihre Ausstellung, die schon vor der Eröffnung für Aufregung sorgte, weil sie aus den ursprünglich vereinbarten Räumen umziehen musste – ohne konkrete Begründung. Möglicherweise wegen zu erwartender Diskussionen und/oder Missverständnissen. Denn natürlich: Von Männern produzierte Kunst ist auch 2019 State of the Art und bedarf wohl kaum der Förderung oder gar „Sichtbarmachung“. Eine Ausstellung über „Männerkunst“ könnte man also durchaus fragwürdig finden.

An Paenhuysen und Wolfgang Müller gehen jedoch mit subversivem Humor an ihr Sujet heran: Den überbordenden Schauen mit „Frauenkunst“ stellen sie ganze sechs (!) Künstler und ihre Werke – beziehungsweise Werkzerstörungen – mit provokantem Charakter gegenüber.
Verleger Hartmut Andryczuk beispielsweise übermalte Adolf Hitlers (erbärmlich schlechte) Zeichnungen und Gemälde, die im Internet leicht zu finden sind – für die amerikanische Sammler jedoch viel Geld bezahlen.
Die Heroisierung männlichen Künstlertums wird bei „Chromosom XY“ ins Absurde oder gar Lächerliche verkehrt. Die „bislang unsichtbaren oder häufig übersehenen Männergesten“ sind nicht selten von kindischer Wut und Trotz bestimmt wie die legendäre Zertrampelung einer Installation von Joseph Beuys: Der Schweizer Dichter und Aktionskünstler Dieter Roth geriet 1979 angesichts eines vom Publikum bewunderten Beuys-Werks und der gleichzeitigen Missachtung seiner eigenen Arbeit so sehr in Rage, dass er in Beuys‘ Fetteimer trat und den Aufbau komplett zerstörte.
Daniel Chlubas „Hass Käppchen“-Performance dagegen ist politisch motiviert: Vor zwei Jahren lief Chluba in einer Art gestricktem Halbkörperkondom (knallrot mit Bommel) durch Wien und wurde nach kurzer Zeit verhaftet, weil er wegen seines verdeckten Gesichts – das bis an die Knie reichende Strickwerk ließ wie eine Burka nur Augenschlitze frei – gegen das Vermummungsverbot verstieß.
Das Buch schließt mit dem „Dictionary XY“, einem Glossar aus männerkunstbezogenen Zitaten von Gisela Elsner, Gertrude Stein oder Tom Kummer, der unter seinem Alias Tom Skapoda auch im Künstlerteil vorkommt: In den frühen Achtzigerjahren setzte er fünfzig Meter Berliner Mauer in Brand: „crazy stuff“, urteilt Kummer heute selbst über seine Aktion.

„Chromosom XY“ ist ein anarchischer Kommentar zum Kunstbetrieb und stellt die Sinnlosigkeit von Schauen bloß, deren inhaltliche Klammer die Zugehörigkeit zu einer Buchstabenkombination ist – und die doch nur Ablasshandel sind. Für Menschen jedoch, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen können oder wollen, wird der Spaß erst anfangen, wenn auch diese biologistischen Entweder-oder-Konstrukte überwunden sind.

Die Ausstellung ist vom 01.–29. März im Hinterzimmer im art space Barbiche in Berlin zu sehen.

Wolfgang Müller & An Paenhuysen „Chromosom XY. Männerkunst – Herrenkunst“, Verbrecher Verlag, 120 Seiten