Von Paula Perschke

Die Anti-Rassismus-Klausel wurde von der Regisseurin Julia Wissert in Zusammenarbeit mit der Berliner Rechtsanwältin und Dramaturgin Sonja Laaser entwickelt. Sie soll Arbeitnehmer*innen, die ein Vertragsverhältnis mit einem Theaterbetrieb eingehen, vor rassistischen Äußerungen und diskriminierenden Handlungen schützen. Die Klausel dient außerdem als Angebot, sich über den gemeinschaftlichen Umgang im Zuge einer Theaterproduktion Gedanken zu machen und auszutauschen. Sollte es dennoch zu rassistischen Bemerkungen bzw. Handlungen kommen, so verpflichtet sich das dienstgebende Theater zur Durchführung von Workshops und Aufklärungsarbeit. Im schlimmsten Fall wird den Arbeitnehmenden das einseitige Kündigungsrecht gewährt.

Technocandy ©Frederik Müller

Das klingt erst mal traumhaft und nach einer konkreten, nachvollziehbaren Forderung. Doch die Klausel macht nicht allen Mut, sondern schürt auch große Ängste, z. B. in der Verwaltung am Theater Oberhausen. Diese weigert sich vehement dagegen, dem freien Künstler*innenkollektiv Technocandy einen Arbeitsvertrag (inklusive Klausel) für ihre Produktion „Schaffen“ auszustellen. Wie die „taz“ vor einigen Wochen berichtete, sieht Verwaltungsleiter Jürgen Hennemann den Vertragspartner Theater als „unangemessen benachteiligt“. Da könnte ja jeder kommen und einfach so die Rassismuskarte ziehen – als ob das den Betroffenen so viel Spaß machen würde.

An dieser Stelle also die brennende Frage: Wovor habt ihr wirklich Angst, liebe Menschen in der Verwaltung? Dass euch etwas weggenommen wird? Glaubt ihr wirklich, nur weil Rassismus laut des (äußerst streitbaren) Deutschen Grundgesetzes (Artikel 3) gesetzlich verboten ist, sind die Betroffenen per se davor geschützt? Soll es außerdem jedes Mal zu einem Streit vor Gericht kommen, bei dem der betroffenen Person erklärt wird, was rassistisch ist und was nicht?

Die Klausel motiviert dazu, Vorfälle vorerst intern zu klären und zu berücksichtigen, was die betroffene Person braucht, um weiterarbeiten zu können, insofern sie das will. Sie ist ein notwendiges Übel und hoffentlich gekommen, um nicht zu bleiben. Wie der Feminismus: So leidenschaftlich ich Feministin bin, umso lieber würde ich es nicht sein müssen. Und genau das ist der Punkt, den die Klausel schmerzhaft und unmissverständlich berührt: Es geht nicht um eine Strafe, sondern eher um eine Belohnung. Doch bevor es süß wird, ist die Frucht bitter. Zuerst muss anerkannt werden, dass Rassismus in dieser Gesellschaft tagtäglich existiert, also auch jene Menschen mit einschließt, die nicht direkt davon betroffen sind. Julia Wissert sagte kürzlich in einem Interview: „Die Person, die sich so äußert, ist ja Teil einer strukturell rassistischen Gesellschaft. Wenn sich Menschen so äußern, ist das einfach Ausdruck dessen, dass es zu wenig Sensibilisierung gibt. Die Antwort der Klausel darauf sollte keine Rüge, sondern Aufklärung sein.“

©Julien Reveillon

Damit die Aufklärungsarbeit nicht immer wieder an der betroffenen Person hängen bleibt, muss sich das Theater als Auftraggeber intensiver auseinandersetzen. Die Klausel ist ein Werkzeug, ein Einstieg, eine Forderung. Sich als Institution öffentlich gegen rechts zu positionieren ist schon mal ein guter Anfang. Auch der „wertebasierte Verhaltenskodex“ des Deutschen Bühnenvereins (2018) ist ein guter Start. Aber eben nur ein Anfang. Denn noch immer gibt es viel zu viele Vorfälle struktureller rassistischer Verletzungen und Gewalt. Ja, die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien ist unangenehm. Aber sie ist notwendig, um faire und diskriminierungsfreie Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Klausel ist dabei ein Kontaktangebot und keine Strafe. Das ist das Absurde daran. Niemand muss eine Geldbuße zahlen. Und trotzdem scheint die Forderung hochproblematisch. Ein paar Theater haben die Klausel dennoch in ihre Verträge aufgenommen, wie etwa das Schauspielhaus Bochum oder das Staatsschauspiel Hannover.

In Berlin hat sich in der Zwischenzeit eine Arbeitsgruppe zusammengetan, die der Initiative für Solidarität am Theater entspringt. Die Initiative versteht sich als offenes Netzwerk, das Interessierten u. a. Workshops zum Thema solidarisches Arbeiten anbietet. Die Aktivistinnen beschäftigen sich schon lange mit Gewaltverhältnissen am Theater und diskutieren Vorstellungen und Wünsche für ihre zukünftige Theaterarbeit. Die Arbeitsgruppe entwickelt, basierend auf der Anti-Rassismus-Klausel, weitere Vertragsentwürfe, in denen sie sich für die Prävention von Sexismus und Gewalt als Aufgabe des Vertragspartners Theater, aussprechen. Die Klauseln sollen dabei keinesfalls gegeneinanderstehen. Der Anspruch der Gruppe ist intersektional. Der Wunsch ist es, den Theaterleiter*innen einen Schritt weit entgegenzukommen und sie dort abzuholen, wo die größten Unsicherheiten bestehen.

Es gibt im Kulturbereich zahlreiche Initiativen und hochengagierte Einzelpersonen, wie Julia Wissert, die sich den Kampf gegen Diskriminierung und das unermüdliche Rütteln an Machtverhältnissen auf die Fahnen geschrieben haben. Sie fordern Gleichbehandlung, faire Löhne, angstfreies Arbeiten und setzen sich gegen stereotype Rollenbilder auf der Bühne ein. Für die Theater ist es nun wichtig, die Warnsignale nicht nur zu hören, sondern auch darauf zu reagieren.

Die Anti-Rassismus-Klausel ist Signal und radikale Forderung zugleich. Sie verbindet Angebot und Vehemenz. Sie scheint diejenigen zu verunsichern, die sich bestraft fühlen, und beschwingt jene, die nicht mehr länger in Räumen arbeiten wollen, in denen sie immer die „Anderen“ oder schlichtweg nicht gemeint sind. Um offenherzig, fair und solidarisch arbeiten zu können, braucht es einen langen Atem, um der ignoranten Kritik standzuhalten und den verrückten, bunten und magischen Ort des Theaters immer wieder von Neuen zu erobern. Vergessen wir nicht, was Audre Lorde gesagt hat: „Your silence will not protect you!“ In diesem Sinne: Gut gebrüllt, Löw*innen!