Von Hannah Wallenfels und Gala Rexer

„Sense 8“, „Black Mirror“, „Super Girl“, „Orphan Black“, „The 100“ und allen voran „The Handmaid’s Tale“, das zahlreiche Preise bei den Emmys und Golden Globes abräumte: Viele TV-Serien überbieten sich derzeit mit Anspielungen auf feministische Geschichte und Theorie, Science-Fiction-Momenten oder aktuellen Diskursen zu Technologie und Gesellschaft. Häufig werden uns dabei pessimistische Zukunftsszenarien präsentiert, wie sie sich in „The Handmaid’s Tale“ wohl am grausamsten darstellen. Sowohl im 1985 erschienenen Buch von Margaret Atwood (Dt. „Der Report der Magd“) als auch in der 2017 angelaufenen Fernsehserie wird ein düsteres Bild gezeichnet: Kriegerische Konflikte, Umweltzerstörung und Geschlechtskrankheiten haben in den USA der nahen Zukunft bei einem Großteil der Bevölkerung zu Unfruchtbarkeit geführt. Nach dem Putsch einer faschistischen, christlich-fundamentalistischen Gruppe ist die Gesellschaft im Gottesstaat Gilead in sozialen Klassen organisiert, in denen Frauen brutal unterjocht werden. Die letzten gebärfähigen Frauen, die sich nicht frühzeitig dem Regime angeschlossen haben, gelten als Eigentum hochstehender Männer und werden rituell vergewaltigt, um gesunde Kinder zur Welt zu bringen. Atwood selbst, die, 1939 geboren, noch von den

Eindrücken des Zweiten Weltkriegs geprägt wurde, sagte einmal über ihren Roman: „Unter bestimmten Umständen kann alles überall passieren. Und in ,The Handmaid’s Tale‘ gibt es keine Technologie, die nicht bereits verfügbar ist.“

©Guan Xiao, Enjoyable relationship, 2017. Brass, acrylic paint, rim, artifcial fower ring 126 x 70 x 60 cm. edition 2/3 (+1AP) Foto: def-image. Courtesy the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin; Antenna Space, Shanghai

Technologien haben unseren Alltag in den letzten fünfzig Jahren maßgeblich verändert (wie etwa die Erfindung synthetischer Hormone, Reproduktionsmedizin, das Internet und das Smartphone), die damit verbundenen Chancen und Probleme wurden dabei von Feminist*innen ganz unterschiedlich bewertet. Zweifellos haben die rasanten Entwick- lungen für Frauen, queere, nicht-binäre oder trans Personen Fragen nach der Neugestaltbarkeit des Lebens und der Zukunft aufgeworfen. So argumentierte die Second-Wave-Feministin Shulamith Firestone schon 1971 – acht Jahre vor der Geburt des ersten „Retortenbabys“ Louise Brown in England –, dass artifizielle Reproduktion, z. B. durch künstliche Gebärmütter, die Unterdrückung von gebärfähigen Menschen beenden würde – und formulierte damit quasi das Gegenmodell zu Atwoods dystopischem Reproduktionsregime.

Zwei Jahrzehnte später, mit der kommerziellen Einführung des Internets Anfang der 1990er-Jahre, erweiterte eine ganze Reihe feministischer Gruppen und Akteur*innen diese Idee im digitalen Raum: Im Cyperspace schien die Vision geschlechtsloser Körper möglich. Welche (Körper-)Bilder kursieren, konnte selbst bestimmt, das Netz zur Mobilisierung und zum Austausch genutzt werden. Diese cyberfeministischen Ansätze wandten sich, in einer für sie charakteristischen euphorisch-utopischen Geste, von der eher technophoben Grundhaltung ökofeministischer Bewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre ab. Dabei war „Cyberfeminismus“ kein feststehender Begriff, sondern entzog sich bewusst einer klaren Definition, beinhaltete er doch diverse Praktiken und Zugänge.

So formulierte etwa die Erste Cyberfeministische Internationale 1997 in Kassel hundert Thesen darüber, was Cyberfeminismus nicht ist („cyberfeminism ist keine theorie“, „cyberfeminism is not complete“, „cyberfeminism is not about boring toys for boring boys“). Relativ schnell wurde jedoch klar: Wie jedes kulturelle Phänomen sind Technologien weder „gut“ noch „böse“, sie können nicht außerhalb von Staat, Nation, Rassismus und Kolonialismus, Heteronormativität und Kapitalismus gedacht werden. Das WWW, mit seinem Ursprung in militärischen Strukturen und geprägt von weißen Hacker-Dudes, war immer schon in hierarchische gesellschaftliche Verhältnisse eingebettet, was eine feministische Aneignung nicht unbedingt einfacher machte.

Theoretische und aktivistische Ansätze, die das Wechselspiel in der Beziehung von Technologien und Geschlechtern ernst nehmen, wurden von der Soziologin Judy Wajcman 2004 unter dem Begriff „Technofeminismus“ zusammengefasst. Ihre Fragen sind heute noch genauso relevant wie damals: Wer erschafft die Technologien, die unseren Alltag formen, und mit welchem Zweck? Wie sehen diese Technologien aus und wie sprechen sie? Wieso haben Siri, Alexa und andere virtuelle Assistent*innen, Ansagen in Bahnhöfen und Flughäfen oder GPS-Systeme besonders oft weiblich klingende Stimmen? Weshalb haben die meisten Modelle von Androiden oder künstlicher Intelligenz, von Sexrobotern oder Cyborgs in Filmen in der Regel eine menschliche und meist weiße, dünne und stereotyp schöne Gestalt? Für wen werden sie produziert und wie viel kosten sie?

Das Feld heutiger cyber- und technofeministischer Positionen ist vielschichtiger, vor allem aber weniger euphorisch und kritischer als die zum Teil essenzialistischen Ansätze der 1990er-Jahre. Denn während der Cyberspace von den einen als ein Raum frei von geschlechtlichen Zuschreibungen erträumt wurde, haben andere (z. B. das australische Künstler*innenkollektiv VNS Matrix) die Klitoris als „direkte Leitung zur Matrix“ gesehen und damit cyberfeministisches Handlungspotenzial mit Geschlechtsidentität und Genitalien verknüpft. Aktuelle Positionen wie die der Kuratorin, Autorin und Künstlerin Legacy Russell dagegen fokussieren nicht bloß auf die digitale Leitung, sondern auf die ganze Umwelt als Matrix. Sie prägte den Begriff „#glitchfeminism“, um, ausgehend von „Fehlern im System“, Gesellschaften als schon immer von gewaltvollen Machtverhältnissen und soziotechnologischen Konstruktionen durchzogen zu entlarven: Glitches in der cis- und heteronormativen, rassistischen, klassistischen Matrix zeigen, was in der Matrix als normal und natürlich gilt. Als Glitch versteht Russell Körper, Identitäten oder Praktiken, die in Zwischenräumen stattfinden, nicht kategorisiert werden können oder im Mainstream als monströs gelten – etwa nicht-binäre Geschlechtsidentitäten, Schwarze Körper oder queerer Sex. Darüber hinaus stellt sie mit #glitchfeminism die vermeintliche Trennung zwischen Offline- und Onlinewelt infrage, indem sie ihre konzeptionelle Arbeit mit Videos, Memes oder Avataren veranschaulicht.
Die US-amerikanische feministische Theoretikerin Donna Haraway bezeichnete sich selbst nie als Cyberfeministin, sondern wäre „lieber Cyborg als Göttin“, wie sie in „A Cyborg Manifesto“ (Dt. „Manifest für Cyborgs“, 1985) schreibt. In dem berühmten Essay plädiert Haraway für das Aufbrechen gängiger Denkkategorien durch das Verwischen von Grenzen. Sie entwirft das Bild vom Menschen als Cyborg – und zwar nicht so sehr als Repräsentantin der Borg aus „Star Trek“, sondern eher als Überbringerin eines neuen Mythos.

Die Cyborg ist ein von Kategorien losgelöstes Wesen, das eine Alternative zum westlichen Denken in Dualismen – Selbst/Andere, Geist/Körper, Kultur/Natur, männlich/weiblich, Mensch/Gott – schafft. Dabei wird etwa die Natur traditionell als passiv und weiblich gedacht und soll von der Wissenschaft und Kultur beherrscht werden. Für Frauen, die in Erzählungen häufig mit der Natur assoziiert werden, gelten diese Eigenschaften auch. Um dies zu ändern, braucht es also neue Erzählungen und Figuren. Nicht zufällig ist Haraway großer Scifi-Fan, denn gerade in der feministischen Science-Fiction-Literatur finden sich leuchtende Vorbildfiguren – und das schon seit Jahrhunderten: Margaret Cavendish erdachte beispielsweise bereits 1666 mit „The Blazing World“ eine fremdartige Welt, in die eine ungenannte Erzählerin über den Nordpol gelangt, um Kaiserin eines utopischen Königreichs zu werden.
Marge Piercy zeigt uns in „Die Frau am Abgrund der Zeit“ (1976) mit einer zwangseingewiesenen Protagonistin gleich zwei gegensätzliche Zukunftsentwürfe: einen, in dem die Menschen es geschafft haben, alle Arten von Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu beseitigen, und einen, der ein einziger kapitalistischer, sexistischer Albtraum ist. Nicht zuletzt sei auf die Werke von Octavia Butler hingewiesen, deren „Xenogenesis“-Trilogie (1987–1989) hiermit schwer empfohlen sei.

Feministische Scifi ist bevölkert von vielschichtigen Figuren und kollektiven Gemeinschaften anstatt von einzelnen Helden. Ganz anders hingegen sieht es in den Hollywood-Blockbustern aus: Wie oft muss die Erde noch von einem Superhero vor Asteroiden oder Aliens gerettet werden? Umgeben von wachsendem Rechtspopulismus und autoritären Figuren vermittelt uns auch der reale Alltag nur wenige Ideen für eine radikale Umgestaltung der Zukunft. Stattdessen bleibt der Eindruck, sich ununterbrochen mit Krisenmanagement beschäftigen zu müssen. Gerade da hilft uns der Blick auf die vergessenen Seiten des Scifi-Genres, das uns immer schon dazu eingeladen hat, unseren Horizont möglicher Veränderungen zu erweitern und andere Zukünfte zu imaginieren.
Die von Haraway erdachte Cyborg steht außerhalb einfacher Gut-Böse-Mythen, sie war nie im Garten Eden, nie rein, sie verwischt Technik und Natur. Sie ist, so Haraway am Ende ihres Manifests, „eine mögliche Imagination einer Feministin, die in Zungen redet und dabei scharfzüngig genug ist, den Schaltkreisen der Super-Retter der Neuen Rechten Angst einzuflößen“.

Diese Figur, ihre Vorläufer*innen und Nachfolger*innen in der Scifi, die die Rechte damals wie heute das Fürchten lehrt und Geschlechterkategorien ad absurdum führt, kann uns zeigen, wie wir ein „Anderswo“ denken können – indem wir uns von vorgefertigten Kategorien lösen und die Zukunft gemeinsam neu denken und entwerfen. Die komplexen Storys der feministischen Science-Fiction-Literatur und die Erfahrungen der Cyberfeminismus-Theoretiker*innen, die viel mehr als nur dystopische Warnungen zu bieten haben, bringen uns nahe, dass neue Technologien weder Feind noch Heilsbringer sind. Stattdessen fordern sie uns zum Fantasieren auf. Nicht die Technologien befeuern unsere Imagination – in Anlehnung an den altbekannten Slogan sollte es heißen: „Free your mind and your technologies will follow.“

Dieser Text erschien zuerst in Missy 01/19.