Von Josephine Apraku

Es ist ein ruhiger Donnerstagmorgen – Frühjahr. Vereinzelte Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die weißen Vorhänge und treiben, behände wie junge Rehe, ihr Lichtspiel an der Wand. Jan-Ole blinzelt, räkelt sich, überlegt noch ein wenig zu schlafen. Er könnte, er hat Zeit. Das Schlafzimmer ist friedlich und lichtdurchflutet. Anna ist, anders als er es gewohnt ist, allein vor ihm aufgestanden. In der Vergangenheit haben sie morgens gemeinsam ihr Bett verlassen, nahmen schlaftrunken und schweigend ihr Frühstück zusammen ein: Cappuccino aus der Maschine und jeweils die Hälfte eines Brötchens, bestrichen mit guter Salzbutter und Erdbeermarmelade.

©Tine Fetz

Er schmunzelt bei dem Gedanken daran, wie anders sein Leben noch in der Woche zuvor gewesen war. Vergangenheit? Es ist erst seine zweite Nacht in ihrem neuen Haus. Nach seinem positiven Schwangerschaftstest ging alles plötzlich ganz schnell. Das Väterhaus in der eigens dafür angelegten Siedlung war in zwei Tagen bezugsfertig und der Baby-Bonus von 30.000 Euro, der die zusätzlichen Kosten schwangerer cis Männer im ersten Trimester abdecken sollte, war binnen 24 Stunden auf seinem Konto eingegangen. Im Kollegium hatten ihm die anderen cis Männer anerkennend auf die Schulter geklopft – er ist offensichtlich zeugungsfähig –, das wünschen sich die anderen für sich sicherlich auch. Es klingt ein wenig pathetisch, findet er, aber klar, die Zivilisation lebt auch durch seine Manneskraft fort.

Anna sitzt mit Strohhut in der Morgensonne im Garten und erntet ein wenig Obst – nicht zu viel, nur das, was sie für das Frühstück brauchen. Besonders jetzt ist es wichtig, dass Jan-Ole möglichst viele Nährstoffe aus natürlichen Quellen zu sich nimmt. Biodynamisches Essen, frische Luft, ausreichende Bewegung und emotionale Unterstützung, wann immer er sie braucht, haben höchste Priorität. Als Anna in der Agentur anrief, um freudig seine Neuigkeiten zu teilen, wurde sie, wie erwartet, mit sofortiger Wirkung freigestellt. Ihr stand die wohl bedeutendste und ehrenvollste Aufgabe in ihrem Leben bevor: das Umsorgen und Begleiten des werdenden, lebensspendenden Vaters. Jan-Ole und dem Baby sollte es an nichts fehlen.

Anna weiß, was zu tun ist, schließlich ist sie bestens vorbereitet: Ihre Eltern hatten eine Schule für sie gewählt, deren Fächer immer auch eine Vertiefung in der Begleitung werdender Väter bot. Das galt sowohl für den Geschichtsunterricht als auch für die Bereiche Sport, Psychologie und Biologie. Alles das bedeutete nicht, dass sie nicht den Anspruch an sich hegte, sich nun fortzubilden. Das aufgrund der speziellen Schwangerschaftspolizzen, die Basis aller Krankenversicherungen werdender Väter sind, für sie kostenfreie Weiterbildungsprogramm ist umfassend. Die erfolgreiche Begleitung von Jan-Oles Schwangerschaft ist ihr wichtig – sie hat jetzt einiges an Arbeit vor sich.

Jan-Ole fühlt sich leicht. Schwanger zu werden war eine gute Entscheidung, eine überlegte Entscheidung, eine richtige Entscheidung. Wenn er nach den Vaterjahren seinen alten Job wieder haben will, dann bekommt er ihn auch.

Am frühen Nachmittag, erinnert Anna Jan-Ole behutsam, haben sie ihren ersten gemeinsamen Termin beim Männerarzt. Männerärzte, das ist gesetzlich festgelegt, sind ausschließlich cis Männer. Im Idealfall haben sie selbst Kinder geboren. Wie sollte es auch anders gehen, wie sollte sich beispielsweise eine Frau vorstellen können, welch eine Herausforderung eine Schwangerschaft bedeutet. Anna fährt gern Auto, doch nun, da sie in der Siedlung für schwangere Väter leben, ist es nicht nötig, dass sie fährt. Dafür gibt es Personal – sie hat einen anderen Job, einen wichtigeren als Fahren – sie ist für Jan-Ole da.

Nach dem ersten Termin beim Männerarzt genießen sie ein wenig die abendliche Ruhe in der Vätersiedlung. Die Hummeln summen in den üppig bepflanzten Hochbeeten, Grillen zirpen im Schilf der Naturschwimmteiche. Durch die großzügigen Fenster, deren warmes Licht wie eine Einladung erscheint, können Anna und Jan-Ole die anderen Familien sehen. Einige Frauen stehen lächelnd am Herd und bereiten, mit den frischen Zutaten aus dem Garten das Abendessen, andere unterstützen die werdenden Väter bei ihren Entspannungsübungen. Während Jan-Ole im Vorbeispazieren die Frauen betrachtet, findet er, dass sie zufrieden wirken, anders als die Frauen auf den Bildern, die er nur aus dem Geschichtsunterricht kennt, als noch Frauen schwanger wurden.