Dienstag, 22. Mai 2018
Eine Schwarze Facebook-Freundin postet etwas über die unterirdische Berichterstattung des ZDF zur windsorschen Hochzeit: „Berichterstattung Royal Wedding, Deutschland 2018. Wen wundert’s da, wenn ich immer wieder für die Nanny meiner Tochter gehalten werde und wir in einem Werbespot nicht als Mutter und Tochter zusammen erscheinen durften, ‚weil, na ja (verlegenes Hüsteln), schwarze Mutter, blondes blauäugiges Kind, das verstehen die Leute halt nicht‘ – bla, blub, bla, blubber, blub.“ Mir graut davor, dass mir abgesprochen werden könnte, die Mutter meines Kindes zu sein. Nicht nur für mich selbst, vor allem fürs Kind.

©Tine Fetz

Donnerstag, 6. Dezember 2018
Ich springe über die große Pfütze vor der Tür in die Apotheke. Die Straße ist voll, die Gehwege sind voller. Überall Menschen. Es ist spät am Nachmittag – dunkle Nacht –, so fühlt es sich zumindest für meinen Körper an. Am Morgen waren mein Freund und ich ein letztes Mal vorm errechneten Entbindungstermin in der Geburtshilfe zur Vorsorge. Das war um zehn. Danach sind wir nur noch schnell Lebensmittel einkaufen gefahren, dann nur noch schnell ein paar Weihnachtsgeschenke – obwohl wir beide eigentlich nicht feiern möchten – und dann nur noch schnell zur Apotheke Omeprazol gegen dieses fiese Schwangerschaftssodbrennen besorgen. Inzwischen ist es 17 Uhr.
Nachdem ich das Medikament gekauft habe, bahne ich mir meinen Weg durch die hastigen Menschenmassen zurück zum Auto, reiße die Tür auf, schmeiße die kleine Plastiktüte mit dem Medikament auf den vollen Rücksitz und lasse mich mit einem erschöpften „puh“ auf den Beifahrer*innensitz fallen. „Wo waren wir stehen gelieben?“ frage ich. „Ach ja“, spreche ich weiter, „ich bin schon jetzt müde bei dem Gedanken an all die neuen Rassismuserfahrungen, die ich als Mama machen werde. Bedrückend, dass diese ätzende Quelle nicht versiegt.“

Freitag, 7. Dezember 2018
Ich sitze abends mit Freundinnen – sie alle sind Schwarz, sie alle sind Mütter – in einem Cafe. Wir essen, sie teilen ihre Mutterschaftserfahrungen und ich höre zu. Eine erzählt, wie sie nach der Geburt ihr Baby aus dem Bettchen auf der Kinderstation nehmen will und ihr eine Hebamme mit den Worten „das ist nicht Ihr Kind“ die Hand wegschlägt. Empört deutet die Hebamme auf das einzige andere Schwarze Kind, das sie als solches erkennt, und sagt „das da ist Ihr Kind!“. Nachdem eine Stationsärztin, die die Auseinandersetzung mitbekommen hat, interveniert, läuft die Hebamme, die sich natürlich nicht entschuldigt, über die Station und erzählt amüsiert von der Schwarzen Frau, die ein „weißes Kind“ geboren hat. Mehr noch: Sie lädt das restliche Personal ein, Mutter und Kind zu bestaunen.

Dienstag, 15. Januar 2019
Mein Partner und ich überlegen, ob und wem in der Familie wir Bilder des Babymenschen schicken. Er merkt an, was auch ich weiß: Einige werden die Bilder verwundert und insgeheim ein wenig enttäuscht betrachten, denn „die ist ja gar nicht so dunkel“ und „Schwarze Babys sind ja so viel süßer“. Unsere Sorgen ob des Rassismus, den der kleine Mensch erfahren wird, werden wohl auch deshalb weniger ernst genommen werden.
Ich blicke auf den jungen schlafenden Menschen neben mir. Bei dem Gedanken rollen mir still drei Tränen über die Wangen das Kinn herab.

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.

Mittwoch, 16. Januar 2019
Völlig übernächtigt rufe ich in einer freien Minute meine Mutter an. Der neue Mensch ist seit einigen Tagen bei uns und wir alle müssen uns an die neue Situation gewöhnen. Das Baby daran, dass es nicht mehr in einem perfekt temperierten Pool schwimmt, dessen Inhalt essbar ist. Wir daran, dass das Baby sich nur mäßig für Tag und Nacht interessiert und daran, wie viel Liebe wir empfinden für die kleine Kreatur.
Am Telefon erzähle ich meiner Mama von meinen Ängsten. Sie erwidert verständnisvoll, dass sie, als ich noch ein Baby war, gefragt worden ist, ob ich adoptiert sei.

Sonntag, 17. Februar 2019
Der neue Mensch liegt im Kinderwagen und strampelt vergnügt mit den Beinen. Wir sind erstmals mit dem Kinderwagen in den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Das Kind ist bester Laune und ich auch.
Mit seinem strahlenden Sonnenschein macht der Tag Hoffnung auf Frühling, auf Grün, auf Sommer, auf Wärme, auf Unbeschwertheit. Die Berliner Ringbahn, aus der die Passagier*innen an den einzelnen Haltestellen herausquellen, ist dafür der beste Beweis.
Im Aufzug lächelt eine ältere Frau das Kind an und schaut dann erwartungsvoll auf mich. Sie sagt nichts, sie lächelt nur etwas verwirrt. Ich lege mir auf die Frage, die ich in ihr vermute, Antworten zurecht. Selbstverständlich keine wahrheitsgetreuen – von der Sonne geküsst blüht meine Kreativität auf. Während ich beginne, mir eine widersinnige Geschichte zurechtzulegen, für den Fall, dass sie sich doch traut zu fragen, bemerke ich, ich bin zu müde für diesen Scheiß.