Von Magda Kotzurek
Interview: Marie Hecht

Der Tag ist einer zum Auslöffeln, Auskratzen im langwandigen Glas, Vanilleeis das schwer nach unten fällt, hellgelb mit schwarzen Pünktchen. Die Tische sind orange, die Ledersitze schwarz, die Haare rosa über dem dunklen Ansatz. Worte wandern wie Fleischbrocken aus einer Wange in die andere, werden mit Papierservietten weggewischt und nachgespült mit gelben und schaumigen oder braunen und heißen Getränken. Die Kaffeemaschine rauscht und sprüht, es rauscht auch der Wind und wackelt das Lenkrad. P. spricht von Restaurants am Strand und Häuschen an der Bucht, in denen es im Winter zieht und im Sommer grandios schön ist, vom Blick auf das Meer wird man quasi geweckt. Für 40.000 könnte man sich so ein Häuschen kaufen, sie hat schon eins in Barcelona, es steht zum Verkauf.

Morgens ungesehene Schildkrötenköpfe in der Bucht von Macarella, die Freitagabend bereits auf einer Pizzakarte gesichtet wurde. Am Strand ein toter Vogel. Die Flügel bewegen sich, Federn fliegen von einer Seite auf die andere, das Tier dazwischen regungslos und auf den Rücken gedreht. Wellen schlagen gegen den Strand, die Sonne steckt hinter dunklen Wolken. Schon nach ein paar Minuten überzieht Salz die Haut, schmeckt wie erste Tropfen des gestrigen Weines, Binifadet. Die Trauben stehen immer im Gegenwind, nehmen so Salz auf, von Frühling bis Herbst, und das schmeckt man, sagte P. Auf dem Etikett der Weinflasche angelte ein Fisch, hielt eine Flaschenpost in seinen Händen, der Korken war blau. A. rupft am Gras auf dem Sand, ein langer Halm steckt senkrecht zwischen ihren Schenkeln. Vorhin hat sie bei Fermín einen riesigen Stapel Bücher für 50 Cent gesehen, stellt euch mal vor, ihr hättet eins davon geschrieben. Vielleicht ist das schön, meint R., Sand rieselt von ihren Händen nach unten, dann lesen es Menschen, die sich sonst nie welche kaufen, sie nimmt einen Schluck. Alte Kommunistin, sagt P., R. hustet und nimmt A. dann das Bier aus der Hand.

©Francisco Jose Gomez Blanco

Wolken ballen sich schwarz über den Häusern, weiß und rot geschindelten Dächern. Mit den höchstens drei Stockwerken sehen sie aus wie Touristenbungalows, aber vielleicht sind das einfach normale Häuser. Das Meer glitzert, man sieht bis auf den Grund, einzelne Steine und Felsen. Am Morgen war das noch nicht so, da war das Wasser wie Blei, flach wie ein Teller, und ein paar Tage zuvor stürmte und sprühte es nur so gegen die Klippen, schäumte so sehr, dass Schaumfetzen durch die Luft flogen wie bei spontanen Raves, ganze Stücke, leichtfüßig und porös in der Luft, fest wie gut gelungener Eischnee unter den Füßen, weiß vor dem ozeanischen Hintergrund, weit bis in den letzten Winkel des Auges.

Die Kellner fallen auf, mit ihren blauen Hemden zwischen den orangenen Tischen. Die Sonne brennt am Haaransatz, an der Wand hängt rund eine Uhr. Es ist fünf Uhr nachmittags, auf dem Flachbildfernseher läuft Skispringen, und draußen stehen die Palmen.

Nachts leuchten R.s Haare trocken und gefärbt über den Schultern. Ihre Finger fahren über Lenkrad und Display, suchen nach Shazam, Nummern und Fotos, sodass A. ganz unruhig auf dem Sitz herumrutscht. Ha! Diese eine Straße kann ich wirklich nie finden, sagt R., setzt zurück, und A. wendet den Kopf, vielleicht ist da doch ein Auto, das man treffen könnte, aber nein, da ist keins, und R. erzählt: Von den Engländern, die die Insel jahrhundertelang besetzt hielten, als noch Piraten um die Balearen zogen, das alles eine Hochburg des Schmuggelns war, deshalb ist Gin bis heute so beliebt, sie vertauscht paar Daten, ist aber nicht schlimm. Engländer tünchten ihre Häuser rot, um sich vom Rest zu unterscheiden. Inzwischen gehören sie zu uns, wurden aufgekauft vom hiesigen Adel, bei einem Conde war ich mal zu Hause, ich kann dir ein Foto zeigen, sie sucht auf ihrem Schoß nach dem Handy, nein danke, ich würde lieber hingehen, sagt A. schnell, geht aber nicht, sie wohnen doch dort. Bei mir ging das nur, weil sie Freunde meines Onkels waren und vor einem Empfang über ihre Bilanzen sprachen, wir tranken Sekt auf einer Chaiselongue und hatten den perfekten Ausblick auf die ganze Stadt, sie lehnt sich aus dem Fenster, dort hinten ist übrigens die Höhle, von der ich dir erzählt habe, A. folgt ihrem Zeigefinger: Da hast du die super Aussicht aufs Meer, und wenn du bis nach draußen gehst, kommt seitlich ein Weg, um an der Küste langzugehen, im Sommer öffnet ein Club und ab und zu stürzen bei den Partys Menschen mit dem Schaum übers Geländer, aber ihnen passiert nichts, schau nicht so, sie legt sich eine Strähne hinters Ohr. Sie müssen nur ziemlich viel schwimmen, um wieder an Land zu kommen und ja, das nervt. Sie reißt am Steuer.

R.s Familie sind Schuhfabrikanten und Besitzer einer der größten Marken der Insel. Ihre Schuhe haben vorne ein Loch und hinten ein Riemchen, es gibt viele Farben und Muster, sogar mit Glitzer, A. kreuzt unweigerlich die Knöchel. Die Insel war bis vor Kurzem berühmt für diese Schuhe, alles Familienbetriebe, erst mit der Krise ging alles den Bach runter oder wurde zumindest schlechter, sagt R., wir sind die Einzigen, die noch übrig sind. Die Krise hat alles ins Meer gespült und bis nach Asien getragen, pflegt mein Opa zu sagen, der bis heute immer noch täglich um halb sechs auf- und um sechs in der Werkstatt steht, mittlerweile über neunzig, A. schaut zu ihr rüber, sieht ihr Profil mit den rosa Haaren, die immer wieder von den Scheinwerfern der ihnen entgegenkommenden Autos angeleuchtet werden.

Skifahrer fahren Loipen in verschneite Wipfel. Schaut man durch die Fenster nach oben, sieht man Bäume, die genauso wären wie die ganzen anderen Palmen, wären sie auf die Entfernung nicht so dünn und verwaschen, dass es Nadelbäume sein müssten.

Wacholder, harzige Kräuter am Weg, den Wanderer entlangspazieren. Nackte Füße oder Socken in Sandalen, Sneakers, Schenkel in Jogginghosen oder Shorts. Alle mit den gleichen Problemen, Warzen oder Wunden, nur dass im Sommer mehr Sonnencreme und Deogeruch in der Luft hängt, Dosenlaschen zwischen den Nadeln auf dem Boden liegen und mehr in den Wald gepinkelt wird. Gerade regnet es genug, sodass man das noch nicht riecht. Einzelne abgerissene Bikiniteile treiben auf dem Meer herum, nur ein paar Menschen baden nackt im Wasser, das kalt genug ist, um die meisten fernzuhalten. Die wenigen, die es hineinschaffen, liegen nach dem Baden frierend auf dem weißen Sand oder steinigen Sand oder bunten Sand herum (wegen der Muscheln). Ab und zu ratschen Mountainbiker auf der nahgelegenen Asphaltstraße vorbei, und dann fliegen den Nackten vereinzelt Steinchen in die Nase. Die pensionierten Soldaten zieht es aber mehr nach Formentera, erzählt der Kellner, hält kurz beim Glaspolieren inne und denkt an die Grüppchen, die sich die Berge hoch und runter peitschen, im Stehen fahren und sich beim Fahren genießerisch in ihre Helme lehnen.

Nach ein paar Monaten kennt man dich hier. Jeder wird wissen, dass es dich gibt. In größeren Städten geht das noch, man kann sich neue Orte suchen, das Viertel wechseln, neue Schuhläden, Bars, hier ist das fast unmöglich. Ich war ein paar Jahre in Barcelona, ein paar in Russland, erst danach konnte ich zurück, vorher ging das einfach nicht, sagt P. Alles, aber nur nicht mein Dorf, nie und nimmer, das ist wie diese Insel, nur noch in Miniatur. Nächstes Jahr? Ziehe ich weiter, erst mal von Insel zu Insel, ich gehe immer schon, bevor es schlimm geworden ist. Auf den Balearen, weißt du, sind wir alle irgendwie verwandt, alle irgendwie bekannt, sprechen alle zwei Sprachen, sind alle bilingual, aber alle nur so halb. Sie lacht und knotet ihre Haare in einen Zopf zusammen, der sich sofort wieder auflöst, ich zum Beispiel spreche immer Katalanisch, Spanisch fast nie. So kann ich mich an manche Wörter nicht sofort erinnern. Ja zum Beispiel an Sprühsahne, meint A., das fiel dir nicht ein, wozu auch Sprühsahne, sagt P. und greift sich an die Nase.

Im Frühling und Winter zieht die Kälte von den Wänden in die Knochen der Menschen. Keine Ahnung, wie es Chopin als Lungenkranker hier ausgehalten hat, sagte in der Bar unten am Hafen eine Austauschlehrerin zu A. und stampfte zum Rhythmus des Liedes fest in den Boden. Ich auch nicht, sagte A. und nahm einen großen Schluck vom Kräuterschnaps mit Sprite. Auf Chopin sagte sie, auf Chopin, sagte A.

Im Café wird geröstete, gehäutete Paprika aufgetischt. Sie liegt in Streifen ineinander und übereinander wie Meerestiere. Total vegetarisch, sagt ein blau angezogener Kellner und lächelt einer Touristin aufmunternd zu, sie lächelt etwas müde zurück. Skispringer stürzen in röhrenförmigen Bahnen nach unten, die Kaffeetrinkenden sehen durch die Glasfront in Richtung Promenade. Hier gibt es nur im Sommer Arbeit, erzählt der Kellner an der Theke, dann ist das die reinste Goldgrube, aber jetzt gerade nicht. Jetzt gerade lebt man vom Arbeitsamt oder renoviert Hotels, steht in Skiresorts und bedient die, die in ein paar Monaten in Badeanzügen an der Promenade entlangstromern werden, jetzt sitzt man da und lernt, Englisch, Deutsch, Französisch oder seit Neustem auch Russisch, seitdem sie alle zu uns kommen und nicht mehr an die türkischen Strände fahren. Er wischt mit dem Lappen über die ohnehin saubere Theke, sehr lecker, total vegetarisch, sagt die Touristin und leckt sich über die Lippen. Seezunge, denkt der Kellner. Salzig wie Luft am Meer, denkt die Touristin. Ihre Hosentaschen sind voller kleiner Muscheln, manche kleiner als der Nagel ihres fünften Fingers. Steine darf man keine mehr mitnehmen, denn jedes Jahr sind bei gleichbleibendem Meeresspiegel ein paar Meter Strand verschwunden, die Mitnahme von Steinen wurde verboten und wird inzwischen am Flughafen kontrolliert. Das ist wirklich kein Scherz, hatte jemand gesagt, aber Muscheln gehen doch noch, hatte sie gefragt, nimm doch lieber mal Plastik, meinte er und lachte, und in der Tat, beim Baden hat sie dann jede Menge Plastik gesehen. Man könnte Kunst machen, aus diesen vom Meer angefressenen, blau gerillten Rohren, denkt sie, das hat sie mal auf einem Blog gesehen, wie oft sie das schon gedacht hat, beim Blick auf das Meer, sie seufzt.

Das Auto war kürzlich zum Filterwechsel beim Mechaniker, sie meinten, ich hätte Glück gehabt, es hätte explodieren können, P. lacht. Sie wendet am Kreisverkehr und wirkt dünn, in der terrakottafarbenen Übergangsjacke. Ihre Zunge fährt über die Lippen. Vor ein paar Wochen am Valentinstag haben sie Muscheln gegessen, mit den Zähnen zerteilt, so was wie winzige Füßchen mit den Wangen zerdrückt, A. zippt ihre Jacke auf.

Ist dir klar, dass wir hier eigentlich im Mittelmeer herumfahren, zwanzig Minuten Flugzeit von Palma, hundertachtzig von Lanzarote und über zweihundert von Deutschland, wir sind umschlossen von Meer. Was täten wir, wenn ein Tsunami käme, hast du dir das schon mal überlegt, bis nach oben auf den höchsten Berg sind es höchstens 300 Meter. P. streckt ihren Arm nach draußen, hast du eigentlich nochmal mit F. geredet, fragt sie A., die das Gesicht verzieht. Hütet weiterhin das Haus der Australier, zieht Biogemüse und füttert Hühner, was für ein Quatsch, sagt P. und schüttelt den Kopf. Und er hat mir seinen alten Surfanzug geschickt. Keine Ahnung, was ich damit soll, du weißt ja, wie das ist, wenn die zu groß sind: Wasser fließt rein und das trägt man dann mit sich herum, auch wenn es kalt ist. Egal, sagt P., du gehst ja sowieso zu jeder Zeit baden. A. lacht, für sie ist es hier warm, der Sand gräbt sich zwischen die Zehen, die Sonne zwischen die Schenkel, der Wind in die Arme, geh du mal nach Berlin, sagt sie, dann siehst du mal, was Kälte ist. Ich war doch Köchin in Moskau, sagt P., und mehr gibt es nicht zu sagen. Sie kurbelt das Autofenster hoch.

In der Bar hatte R. haufenweise Kettchen aus der schwarzen Tasche gezogen, die unter den Deckenleuchten glänzten wie bei einer Auktion. Sie drehte und wendete sie vor den Augen der amerikanischen Austauschlehrerin, die nicht wissen konnte, dass das Rohmaterial für diese eine abseitige Tante des Schuhimperiums war, die mit dem Engländer auf dem Land wohnt und Schmuck macht, der später über Etsy aufs Festland verschickt wird, A. ist mal da gewesen, wirklich nette Leute. R. zog und zog, bis alles draußen war, es hörte nicht auf zu glitzern, bis auf den Tisch und zurück in die Tasche, sie lachte und fand es augenscheinlich wunderschön, dass sie mal was Anderes als Schuhe verkaufen könnte, A. konnte den Blick nicht davon lösen. Komm, wir trinken Schnaps, flüsterte ihr jemand ins Ohr, legte ihr eine Hand auf die Schulter, der Mund war ziemlich nah an ihren Haaren. A. atmete tief aus und nickte, und Eh Macarena, das ausnahmsweise wirklich mal irgendwo lief, dröhnte in ihrem Kopf. Klingt fast wie Macarella. Sie dachte es schon wieder.

Was ist ein Naturhafen, fragt A. ohne nachzudenken, jeder auf der Insel redet aus unerfindlichen Gründen von diesem Hafen in der Hauptstadt, ha! brüllt R. sofort, der ist schön und fährt einen Schlenker, der Skispringer auf dem Bildschirm fährt auch einen Schlenker, und zwei Straßen weiter stehen die Yachten. An der Uferpromenade glitzern Lichter. Manche Schiffe sind nostalgisch aus Holz, andere neu und schnittig wie Raubtiere. Oben an den Felsen die Häuser. Ein paar sind kaputt, ein paar sind verfallen, hier finden scheinbar die besten Partys der Insel statt, und wenn man das irgendwann mitbekommt, hat man es wahrscheinlich geschafft. Die Häuser passen irgendwie zur Hafenatmosphäre, denkt sie unvorsichtig laut. R. lacht, wie vintage du doch bist, hier würde keiner sagen, dass ihm das gefällt. A. ist sich da nicht so sicher, aber schaut zu R., die fährt wie der Teufel, und nickt.

Schaum schwimmt in der Form von Inseln auf dem Bier unter der Nase. Lokal gebraut, lokal importiert, lokal Macarella, lokal Formentera, lokal Thailand oder Baden. A.s lokaler Liebhaber heißt mit Nachnamen Pons, Pons wie das Wörterbuch, wie 80 Prozent der Inselbewohner, deren Name auf Läden, Klingelschildern, Autotüren, Obstkistchen und unter Zeitungsartikeln steht, darum hofft sie eigentlich, dass sie sich gar nicht erst trennen oder sie vorher schon geht. Draußen schwimmt der Regen in die Gullydeckel. Pflastersteine glänzen, Autos rauschen durch die Pfützen, zwischen den geparkten Wägen glänzen ab und zu die Regenschirme der paar Leute, die sich mit ihren Hunden nach draußen getraut haben. Es gibt senkrechte und horizontale Kanten, Dachterrassen, Kamine, Blitzableiter, Stromvorrichtungen, Hundeleinen. Fetzen hängen vor den Fenstern, stellen sich erst auf den zweiten Blick als vergessene Kleidungsstücke heraus, und der Himmel ist weißer als die meisten Hauswände. Sie sind weit weg vom Festland. Das ist kleiner als Berlin, denkt A., die nach dem vierten Mahou immer noch am Tresen sitzt, wenn’s hoch kommt ein paar schwimmende Bezirke. In den Gardinen hinter den Fenstern sitzen Wellensittiche, ihre Schnäbel und Krallen in geblümte Spitze gehakt. Ist das eigentlich künstlich, fragt sich A., geht das schon Richtung Postkarte oder ist das echt, das Gelb dieser Sonnenschirmchen, die Tapas am Holztisch, der Frohsinn der Kellner, na ich weiß ja nicht, sagt R. und knallt ihr Glas auf das polierte Holz. Die Leute leben und müssen von was leben. Bei uns sind es eben die Touristen, die kommen und ihr Geld wie Broschen an der Kleidung tragen, Proviant in Satteltaschen, Käfer an Strumpfhosen, es in Centbeträgen neben Kaffeetassen liegen lassen oder haufenweise in Promenadengeschäftchen für bunte Kleidung ausgeben, die sie nie wieder tragen, aber das ist trotzdem keine Kulisse für persönliche Hirngespinste, ok, ok, sagt A.

Manche Scheiben sind komplett abgeriegelt, weiße Lamellen versperren die Sicht, nebenan sind Garagentore hochgezogen und zeigen: ausgeklappte Sonnenschirmchen, Kartons voller Ersatzteile, Autoreifen. Ein Kellner wischt ein paar Münzen vom Tresen in die Hand, die Stirn faltet sich kurz, wird aber sofort wieder glattgebügelt, er zieht an seiner Schürze. Ein paar Mal im Jahr kommt die Rissaga, erzählt er A., die weiterhin im Café sitzt, dann liegen die Yachten mit den transparenten Frontscheiben auf der Hafenpromenade, zerdrückt wie glänzende Waldkäfer mit silbrigen Fühlern. Hat Ihnen das noch niemand gesagt, na. Die Kaffeemaschine zischt, er nimmt einen Schluck, kommt die Rissaga, saugt das Wasser aus den Buchten, schießt es kurz darauf wieder rein, aber fünffach, und schleudert die teuren Boote herum. Zum Glück weiß man das meistens vorher, normalerweise kommt dabei keiner um. Doch warum, ja, er zupft an einem Krümel, weiß eigentlich keiner. Lies mal Legenden, ido, sagt P., sie kam gerade aus der Küche und schaut in die Luft. Ido, das passt eigentlich immer, heißt alles und nichts, oh, sagt R. und geht.

WORTMELDUNGEN – der Literaturpreis für kritische Kurztexte – will mit einem Förderpreis junge Autor*innen motivieren, gesellschaftspolitische Themen in den Fokus zu nehmen und literarische Positionen zu aktuellen Diskursen zu entwickeln. In diesem Jahr wurde er erstmalig an drei Nachwuchsautorinnen vergeben. Zum Thema „Hinter dem Zaun – was bringt Heimat zur Sprache?“ wählte die Jury die Texte von Magdalena Kotzurek (Monterey, USA), Leona Stahlmann (Hamburg) und  Sophie Baumberg (Frankfurt am Main) aus. Wir stellen die drei Gewinnerinnen vor und präsentieren ihre Beiträge.

Wo bist du beheimatet?
Magdalena Kotzurek: Über den Begriff „Heimat“ denke ich viel nach, bin aber noch nicht wirklich zu einem Schluss gekommen, ob ich ihn schön finde, oder ob er für mich nicht mehr zu unserer heutigen Lebensrealität passt. Ich bin in Polen geboren, in Deutschland aufgewachsen, und habe auch gern an anderen Orten gelebt, an denen ich mich „zu Hause“ gefühlt habe. Wenn überhaupt ist „Heimat“ für mich ein ziemlich kleiner Mikrokosmos von Partner, Freunden und Dingen, die mir wichtig sind, die aber nichts mit Nationalitäten und nur sehr begrenzt was mit Geographie zu tun haben. Ich mag zum Beispiel freie Räume, Städte und Regen, die gibt es nicht überall, lassen sich aber an vielen Orten finden.

Wie kam es zu den Balearen als Handlungsort für „Eh, Macarella“?
Ich fand sie interessant, weil sie eine lange Massentourismusgeschichte haben. Als ich dort eine Freundin besucht habe, hat mir dann jemand erzählt, dass Menorca schon vor 200 Jahren immer mal wieder einem anderen europäischen Land gehört hat. Außerdem ist die Insel unglaublich klein. Ich bin bisher kaum auf Inseln gewesen und konnte fast nicht glauben, dass man mit dem Auto in einer Stunde von einer Seite auf die andere kommt und dort trotzdem so viele Menschen wohnen und es so viel Geschichte gibt, die man immer noch sieht, zum Beispiel an der Architektur.

Wie beschäftigt dich das Thema Tourismus?
Ich bin Dolmetscherin, da geht es unterschwellig immer irgendwie um das Reisen, weil Leute aus verschiedenen Teilen der Welt zusammenkommen, deren Kommunikation man ermöglichen soll. Um das machen zu können, muss man erst einmal selbst Sprachen lernen und sich im besten Fall länger an anderen Orten aufhalten. Von daher beschäftigt es mich ziemlich! Reisen, Tourismus, „Heimat“ und Privilegien hängen für mich alle irgendwie zusammen, natürlich mit positiven und negativen Seiten. Neues zu sehen und sich auszutauschen finde ich sehr gut, aber für mich bleibt die Frage, ob das auf Augenhöhe stattfinden kann und wann es anfängt, jemanden eher zu belasten als zu freuen.

Wie beeinflusst dein Beruf als Dolmetscherin dein literarisches Wirken?
Ich denke viel über Sprache nach und mag Wortklauberei ziemlich gerne, also dieses sehr präzise Arbeiten mit Wörtern. Was beim Schreiben ganz nett ist, ist, dass man hier nicht nachbilden muss, was andere gesagt haben oder gerade sagen, sondern eigentlich alles machen kann, was in 2D eben möglich ist.

An was arbeitest du aktuell?
Ich hab immer ein paar Texte gleichzeitig auf meinem Computer, manche liegen schon jahrelang dort herum. Ich hab das Gefühl, Zeit tut ihnen gut.

Die Verleihung der Förderpreise findet am 24. Mai 2019 um 19 Uhr im Frankfurter Salon statt.
Wer nicht älter als 30 Jahre ist und sich für die nächste Runde bewerben will, kann das noch bis zum 30. Mai hier tun.