Von Christian Schmacht

Am zweiten Juni feiern wir jedes Jahr den Internationalen Hurentag. Dieses Jahr in Berlin erschienen etwa zweihundert Sexarbeiter*innen und Unterstützer*innen zu einer Parade durch Schöneberg. Anlass für das Datum ist die Besetzung der Kirche Saint-Nizier im französischen Lyon, die Sexarbeiter*innen im Jahr 1975 stürmten, um gegen die Kriminalisierung ihrer Arbeit zu protestieren. Auslöser für diese radikale Aktion waren mehrere Morde an Sexarbeiter*innen. 

© Tine Fetz

Wir feiern eine bewegte Geschichte, während vor uns noch viele Kämpfe liegen. Beispielsweise besteht seit dem 27. März 2017 in der Republik Irland das sogenannte Schwedische Modell, in dem Kund*innen kriminalisiert werden. Trotz der Proteste von Sexarbeiter*innen weltweit und entgegen der Erkenntnisse von Amnesty International, dass diese Gesetzesregelung ganz und gar nicht dabei hilft, Menschenhandel zu unterbinden, verbreitet sich dieses Modell in Europa.

Die irische App uglymugs.ie, in der sich Sexarbeiter*innen gegenseitig vor unangenehmen oder gewalttätigen Kund*innen warnen können, verzeichnet seit 2017 (bei gleichbleibender Zahl der Nutzer*innen) eine Verdopplung der Straf- bzw Gewalttaten gegen die Arbeiter*innen. Verbrechen stiegen dabei um 53 Prozent, Gewalttaten sogar um 78 Prozent an. Ähnliche Beobachtungen machen Sexarbeitsorganisationen überall, wo von einer liberaleren Gesetzeslage abgesehen und das Schwedische Modell eingeführt wird.

Deutschland hat mit seinem Prostituiertenschutzgesetz, das ebenfalls 2017 in Kraft trat, einen Schritt in Richtung des schwedischen Modells getan. Das merken wir auch daran, wie Sexarbeitsgegner*innen sich auf das Gesetz beziehen: Sie bedauern, dass Bordellbetriebe zwar stark eingeschränkt, doch nicht mit legalen Mitteln verhindert werden können. Wir wussten schon vor der Änderung des Prostitutionsgesetzes, dass das ProstSchG die Branche und somit die Arbeiter*innen kriminalisiert und unsere Arbeit prekärer und gefährlicher macht. Die Erkenntnisse von Sexarbeitsorganisationen sind eindeutig. „Das Gesetz nutzt nur anderen, zum Beispiel dem Finanzamt, weil angemeldete Sexarbeiterinnen natürlich Steuern zahlen müssen“, zitiert die „Neue Westfälische Zeitung“ Sabine Reehs von der Evangelischen Frauenhilfe Westfalen, die drei Beratungsstellen für Sexarbeiter*innen betreibt. Sie spricht damit den materiellen Aspekt des staatlichen Zugriffs auf Sexarbeit an.

Manche schmunzeln über den Fakt, dass Prostitution in Deutschland schon lange steuerpflichtig ist, doch die Geschichte dieser Besteuerung ist nicht zum Lachen.
Eine der berühmtesten Sexarbeiter*innen Deutschlands war Rosemarie Nitribitt. Unter dem Namen Rebekka arbeitete sie in Frankfurt am Main bis zu ihrer gewaltsamen Tod im Jahr 1957. Nicht nur mit dem jüdischen Namen, auch mit ihrer Kleidung und ihrem Verhalten provozierte sie die deutsche Nachkriegsgesellschaft und war dabei als Sexarbeiterin sehr erfolgreich.

Sie wurde im Alter von 24 Jahren ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden. Ihr Leben lässt sich heute in einigen Dokus, Artikeln und einem Fernsehfilm nachvollziehen. Sie kam aus der Armut, wuchs in verschiedenen Heimen auf und wurde als Kind Opfer von sexualisierter Gewalt. Als Teenager begann sie, mit sexuellen Dienstleistungen ihr Überleben zu sichern. Das will ich nicht als Sexarbeit bezeichnen, da diese nicht mit Minderjährigen stattfinden kann. Erwachsene nutzten ihre Armut und ihren Überlebenswillen aus. In ihrem Erwachsenenleben arbeitete sie als Prostituierte in Frankfurt, sie war im ganzen Land und sogar in New York und Tokyo bekannt. Mit einem Mercedes Cabrio fuhr sie durch die Stadt und sprach Männer als potenzielle Kunden an. Als sie ermordet wurde, behandelten die ermittelnden Polizeibeamten den Fall außerordentlich nachlässig und respektlos. Sie begingen zahlreiche Ermittlungspannen und Übergriffe und auch Jahre später äußerten sich beteiligte Polizisten im Interview noch schmunzelnd und sensationslüstern über die Tote. Beamte stahlen ihre Liebesbriefe und Fotos als Souvenirs und versteckten Beweise. Verdächtige wurden mit Diskretion und Höflichkeit verhört, während heute noch in den Dokumentationen über Rosemarie die erotischen Fotos, die in ihrer Wohnung gefunden, also nicht öffentlich waren, minutenlang gezeigt werden.

Auch der Verbleib ihres berühmten Mercedes ist nach ihrem Tod unbekannt geblieben. Offenbar wollte sich eine ganze Stadt nach der Ermordung dieser Frau ein sexy Erinnerungsstück von ihr abzwacken. Während die Kriminalpolizei keinen Fick auf die ermordete Nitribitt gab, sah das Finanzamt seine Chance: Ihr Vermögen, das teilweise in ihrer Buchhaltung nachzuvollziehen war, sollte nicht einfach so vererbt werden. Der deutsche Staat wollte auch was davon haben. So fällte 1964 der Bundesfinanzhof das Urteil, die Einnahmen aus der sittenwidrigen Tätigkeit der Prostitution zu versteuern. Nach diesem Urteil begann die Polizei, die Namen und Adressen der damals registrierten Sexarbeiter*innen an das Finanzamt weiterzuleiten, darunter übrigens auch viele Personen, die der Sexarbeit verdächtig waren, ohne ihr nachzugehen. 

So belächeln die Organe des Staates, der uns besteuert, unseren Tod, vor dem sie uns nicht haben schützen können. Also nieder mit dem ProstSchG, mit Staat und Polizei und mit allen Grenzen, und zwar jeden Tag!