CN: Trigger-Warnung

Von Trigger-Warnungen, Content-Warnungen und Content Notes kann man halten, was man will. Und auch wenn ich ihre allgemeine Sinnhaftigkeit infrage stelle (Das Hirn ist schnell. Bis wir die Bedeutung von TW oder CN verstehen, hat unser Hirn eh schon weiter gelesen, aber gut …), werde ich erst dann richtig garstig, wenn ich mitbekomme, wie wc-Deutsche diese Tools instrumentalisieren, um Betroffenheiten zu konstruieren. Ein Beispiel: 

Im April 2017 wurde Sheila Abdus-Salaam, die erste muslimische Richterin am US-amerikanischen Gericht, tot im New Yorker Hudson River gefunden. Der Tod galt als „verdächtig“.

©Tine Fetz

Im Mai 2019 postete eine Person einen Bericht zu ihrem Tod auf Facebook. Als Reaktion erhielt die Person von irgendsoeiner wc-deutschen Gisela die Bitte, eine CN (Content-Note) „Todesfall“ zum Posting hinzuzufügen. „Oh shit. Kannst du bitte ein CN dazutun?“ Auf den Hinweis, dass ja bereits im Titel steht, worum es geht, kam als (wc-deutsche) Reaktion: „Ich hätte eben gern den Titel bereits überscrollt. Ich mach vor so was CN Todesfall oder so.“ Nach Ergänzung der CN „death“: „Vielen Dank. ‚Todesfall‘ sehen und weiterscrollen ist unangenehm – aber den Titel unvorbereitet lesen war eher wie ein Schlag in die Magengrube, daher meine Bitte.“

Und da wurde ich vollends wütend! Content-Notes und Trigger-Warnungen, damit Weiße den Tod von PoCs und Schwarzen Menschen überscrollen können! Geht es noch perfider!? Es ist doch super, dass wir auf diese Weise dafür sorgen können, dass wc-Deutsche den Tod von Personen of Color und Schwarzen Menschen einfach übergehen können, weil sonst zu unangenehm … Bei aller Kritik, die ich ohnehin an der Idee von Content-Warnungen und Trigger-Warnungen habe – DAFÜR sind sie nun wirklich nicht gedacht! Als Instrument, dass irgendwelche wc-deutschen Giselas sich vor dem Tod von PoCs „schützen“ können! Prompt kam die Reaktion: „Ja, warum sollte ich nicht auf meine seelische Gesundheit achten? Warum sollte ich mich nicht vor irgendwas schützen, das mir schaden könnte? Als ob ich stärker und gesünder bin und mehr politische Arbeit leisten kann, umso mehr ich seelisch an dieser Welt kaputtgehe. Kann ich nicht. Und wir können es uns auch nicht leisten, uns selbst kaputt zu machen.“ Ich könnte kotzen!

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

Ich erlebe immer wieder, wie wc-Deutsche Konzepte wie „Selfcare“ dafür missbrauchen, das eigene wc-deutsche Leben bequemer zu gestalten, und damit rechtfertigen, sich aus politischer Verantwortung herauszuziehen. „Selfcare“ ist NICHT dazu gedacht, wc-deutsche Ignoranz zu legitimieren oder gar diese Ignoranz und das Ausblenden von marginalisierten Lebensrealitäten als politischen Akt zu verkaufen. Aber diese ganzen wc-deutschen Giselas glauben ja, sie seien ohnehin die betroffensten Personen auf diesem Planten, und schaffen es sogar, die Realität so zu verdrehen, als würde ein Artikel zum Tod einer Frau of Color ihre Lebensrealität/-qualität verschlechtern.

Dabei ist Nicht-Wegschauen politische Arbeit! Und eine Content-Warnung „Todesfall“ eine absolute Bagatellisierung von Mord an einer Frau of Color! Schon die eingefügte CN „death“ ist es! Es ist frech, das Ausblenden von Mord an PoCs als „politische Handlung“ zu verdrehen und „Selfcare“ vorzuschieben. Wc-Deutsche Giselas nehmen keinen Schaden am Tod von Frauen of Color! Berichte vom Tod von PoCs sind nix, wovor ausgerechnet sie sich „schützen“ müssten! Gleichzeitig ist Aufmerksamkeit schenken, hinschauen, nicht weiterscrollen, teilen, sichtbarmachen ein Weg, PoCs vor Schaden zu schützen oder zumindest zu unterstützen! Was genau wäre der Schaden, den diese wc-deutschen Giselas erleben, wenn sie nicht die Realität von PoCs ausblenden? Was ist mit dem „Schaden“, den PoCs nehmen, wenn alle weißen Menschen sagen würden „vor eurem Tod schütze ich mich“?! Ach ja, das nennt sich Realität! Und sie werden nicht nur weiterhin umgebracht, wc-deutsche Giselas haben auch gleich den perfekten Weg, das zu IHRER Betroffenheit zu machen!

Und deswegen, an all die wc-deutschen Giselas, die jetzt zu Hause sitzen und um ihre Content-Warnungen „Todesfall“ weinen: IHR seid nicht die Geschädigten, wenn eine Frau of Color umgebracht wird! Was für eine verkorkste und luxuriöse Verdrehung! Ach ja und gleich dazu: Ihr Tod IST ein Schlag in die Magengrube!!! Jeder Tod von PoCs ist es!
Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wo Leute nach Trigger- oder Content-Warnungen schreien, um sich selbst zum Mittelpunkt des Geschehens zu machen. Wo Derailing betrieben wird, um den Fokus weg von marginalisierten Lebensrealitäten, hin zum eigenen Betroffenheits-/Trauma-Porn zu bewegen. Egozentrismus ist nicht Selfcare. Egozentrismus ist nicht politisch. Das „Unangenehme“ von euch fernzuhalten ist nicht Community- Aufgabe.

Liebe Giselas, manchmal geht es halt einfach nicht um euch. Deal with it!

Hinweis: Alle Kommentare sind öffentlich auf Facebook einsehbar, weswegen ich sie hier (allerdings ohne Nennung von Namen) wörtlich zitiere.