„Männerkörper sind näher an der Gewalt“
Von
Interview: Christina Mohr
Erstaunt es Sie, dass Ihre Arbeit „Männerphantasien“ heute noch diese Aktualität besitzt – bzw. angesichts erstarkender maskulinistischer Gewalt neue Brisanz erfährt?
Einfache Antwort: Nein, es erstaunt mich nicht. Kompliziertere Antwort: Da die Gewaltformen, in denen bestimmte Männerkörper agieren, in Jahrtausenden entstanden sind – wohin sollten diese in den vierzig Jahren, seit mein Buch besteht, entschwunden sein? Solange es Körper gibt, die zu einem Spannungsausgleich mit sich selbst nur dadurch gelangen, dass sie andere Körper zerstören, wird sich das Gewaltproblem nicht grundlegend ändern. Im Moment ist es so, dass das Phänomen „wandert“: In manchen Gesellschaften/Weltteilen ist die machistische Gewalt rückläufig, in anderen nimmt sie zu.
Wie äußerst sich faschistisches Bewusstsein heute – und ist es nach wie vor eine überwiegend männliche Angelegenheit oder haben Frauen „aufgeholt“?
„Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ – das stimmt auch für die Leute, die man politisch als „Faschisten“ bezeichnet. Was ist ihr „Sein“? Das sind die Körper, mit denen und „in“ denen sie herumlaufen. Im Buch beschreibe ich sie als Fragmentkörper oder auch als Nicht-zu-Ende-Geborene. Fragmentkörper leben in ständiger Angst vor ihrem Zerfall; in der Angst, verschlungen zu werden, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie panzern sich dagegen; d. h. auch, sie üben eine ständige Gewalt aus gegen ihre inneren Prozesse, die sie – aus welchen schrecklichen Gründen immer – psychisch nicht bewältigen können. Alles, was um sie herum passiert, insbesondere alle Formen von Lebendigkeit und Fremdheit suchen sie von sich fernzuhalten, zu kontrollieren, zu unterdrücken, weil diese sie „bedrohen“. Das trifft für männliche wie für weibliche „Faschist*innen“ zu. Die Männerkörper sind dabei aber durch die in Jahrtausenden eingeübte Form des Ausagierens psychischer Spannungen durch körperliche Motorik näher an der Gewalt als die übliche – d. h. auch eingeübte – durchschnittliche weibliche Körperlichkeit, welche psychische Probleme tendenziell eher durch „innere“ Abläufe zu verarbeiten sucht. Das sind historisch gewachsene, nicht „biologische“ Unterschiede. Durchschnittliche weibliche Körperlichkeit schließt den Umgang mit Gefühlen, welcher Art auch immer, eher ein als aus. Für den F-Mann ist das bedrohlich: Alles was „Frau“ und was „Fremdheit“ heißt, bedroht seine Körperlichkeit mit Zerfall. Soll weg oder sich wenigstens unterordnen.
Selbstverständlich haben Frauen hier – wie auf allen gesellschaftlichen Feldern – „aufgeholt“. Es gibt eine Reihe wortführender F-Frauen. Die meisten von ihnen sind allerdings – jedenfalls in Deutschland – führenden F-Männern verwandtschaftlich verbunden; Ehefrauen, Geschwister; sind Familienteile und damit Garanten einer gesellschaftlichen Ordnung, in der traditionelle Hierarchien gelten.
Die zugespitzeste Form der Gewaltausübung – das ist die Zurichtung anderer menschlicher Körper zur halluzinatorisch-befriedigenden Wahrnehmung „blutiger Brei“ durch Terror- oder Kriegsakte – ist aber nach wie vor eine männliche Domäne.
Fühlten Sie sich seinerzeit von Rudolf Augsteins achtseitiger Rezension im „Spiegel“ richtig verstanden?
Im Prinzip ja – soweit ein Buch von über tausend Seiten auf acht Seiten „richtig verstanden“ werden kann. Entscheidend für mich war, dass Augstein das Verfahren des Buchs, bei der Darstellung faschistischen Terrors von einer bestimmten Zurichtung männlicher Körperlichkeit auszugehen und dabei Erkenntnisse aus der Kinderpsychoanalyse zu verwenden, akzeptiert hat. Das war absolut ungewöhnlich; ein Schritt zudem, den viele Angehörige der deutschen Historikerkaste bis heute nicht vollzogen haben.
Werden Sie von Maskulisten/Männerrechtlern kontaktiert resp. verfolgen Sie maskulistische Äußerungen etc.?
Nein, überhaupt nicht. Was allerdings hier oder da über mich im „Netz“ kursiert, weiß ich nicht. Ich schaue da nicht rein.
Derzeit herrscht eine ziemliche Aufregung um gendergerechte Sprache (z. B. die Petition des Verein Deutsche Sprache), regelrechte Lagerbildung lässt sich beobachten. Was denken Sie? Wird die Welt duch Gendersternchen komplizierter/wird Sprache „vergewaltigt“ (O-Ton Dorothee Bär) – oder doch gerechter?
„Komplizierter“ wird die Welt dadurch gewiss. Ob „gerechter“? Das wäre schön, wenn mehr Gerechtigkeit so einfach herzustellen wäre. Mich stört, wenn solche Regelungen Verbindlichkeit beanspruchen. Meinethalben sollen alle so verfahren, wie sie wollen. „Vergewaltigt“? Besondere Sprachqualitäten Dorothee Bärs sind mir bisher nicht aufgefallen. Das Politik-Kauderwelsch fühlt sich „vergewaltigt“? Ein ziemliches Kunststück bei einer Sprache, die tot ist.
Sie hatten/haben stets ein Faible für Popkultur/-musik – gibt es zurzeit Künstlerinnen, die Sie besonders interessant finden?
In der Musik drei ältere Damen: Cassandra Wilson, Diana Krall, Madeleine Peyroux, von den jüngeren Beyoncé, Ariana Grande. Im neuen Nachwort zu den „Männerphantasien“ habe ich Texte von Hito Steyerl verwendet.