Von Sophia Sailer

Mein Handy klingelt an einem Morgen im Februar zweimal. Zuerst als mir mein Exfreund schreibt, nachdem wir uns seit Monaten aus dem Weg gehen und uns ignorieren. Er möchte wissen, wie es mir geht, fragt, was ich mache, und erzählt mir von seinem neuen Job, zu dem er gerade fährt. Small Talk par excellence. Ich antworte auf seine Fragen und denke mir, „Na gut, was soll’s, wird er wohl Streit mit seiner aktuellen Freundin haben“. Dann blinkt mein Handy ein zweites Mal. Eine Nachrichtenanfrage von besagter Freundin: „Ich hätte aus der Geschichte mit dir lernen sollen“, steht da.

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Innerhalb eines kurzen Nachrichtenaustauschs fragt sie mich, ob er mich auch geschlagen habe. Ich zögere, entschließe mich entgegen meiner seltsamen Gefühle für ein „Ja“. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich es noch nicht als das benennen, was es war: Missbrauch. Manchmal kann ich das noch heute nicht glauben. Er hat studiert, ist charmant und würde sich, ohne mit der Wimper zu zucken, als Feminist bezeichnen. Das hat ihn nicht daran gehindert, mich zu schlagen. Es hat ihn auch nicht daran gehindert, mich psychisch an meine Grenzen zu bringen, und scheinbar war es auch kein Hinderungsgrund, nahtlos zur nächsten Frau überzugehen und exakt so weiterzumachen, obwohl er damals angeblich geläutert aus der Beziehung mit mir hervorging.

Es wäre allzu einfach gewesen, ihr damals pampig oder gar nicht zu antworten. Ich kannte bereits jedes ihrer Bilder auf Facebook, wusste, wo sie in letzter Zeit aufgelegt hat und hing auch mal an den Orten rum, wo sie es tat. Es war einfach, eifersüchtig zu sein und sich ersetzt zu fühlen. Nicht zuletzt, weil unsere Gesellschaft Frauen lehrt, dass andere Frauen eine Konkurrenz und Bedrohung darstellen. Oft dachte ich mir beim Durchklicken ihrer Fotos, dass sie wunderschön und supercool ist. Ich erinnere mich auch daran, dass ich verstehen konnte, dass die Beziehung mit ihr wohl im Gegensatz zu der, die ich mit meinem Ex geführt habe, zu funktionieren schien. Ich dachte, es muss an mir gelegen haben, dass meine Beziehung mit ihm so eskaliert ist. Die Selbstzweifel saßen eben tief, das Vertrauen in mich und meine Selbstwahrnehmung war verschwindend gering.

Als N. und ich uns zum ersten Mal treffen, reden wir viel. Währenddessen irren wir durch die Stadt und gehen nur kurz in eine Bar, um schnell ein paar Shots zu trinken. Ich finde an dem Abend heraus, dass all die glücklichen Facebook-Fotos Fassade waren. So wie das eben immer ist mit diesen Sozialen Medien. Sie erzählt davon, wie er sie kleinhielt, von sich abhängig machte, sie schlug. Sie erzählt auch davon, dass er sie mit seinen feministischen Gedanken anfangs um den Finger wickelte und sich am Ende herausstellen sollte, dass er noch nie in seinem Leben eine Frau mit aufrichtigem Respekt behandelt hat. Ich nicke viel und kann oft nicht glauben, was ich da gerade höre. Etwas in mir verändert sich durch dieses Gespräch.

Ich realisiere, was ihr da widerfahren ist, und mir wird auch klar, was er auch mir angetan hat. Zum ersten Mal realisiere ich aufrichtig, was mir rational schon länger klar war: dass es eben nicht an mir lag, nicht ich Schuld an dem trug, was er mir angetan hat. Mir wird bewusst, dass sich sein Handeln systematisch gegen die Frauen richtet, die er vermeintlich liebt. Bis dato habe ich diesen Manipulationen noch immer geglaubt, mit denen er einem einredet, nichts wert zu sein, nicht zu genügen – schuld daran zu sein, dass man diese Verhaltensweisen in ihm hervorruft. Ich habe ihm auch an dem Morgen geglaubt, als ich nach einem betrunkenen Streit mit blauen Flecken aufwachte und er mir erklärte, sie kämen davon, dass ich gestolpert sei. Ich sei betrunken gewesen und hätte übertrieben. Natürlich hatte ich damals ein komisches Gefühl bei der Sache und wusste insgeheim, dass an dieser Erklärung etwas faul war. Ich erinnere mich noch schwammig daran, wie unsere Rangelei aggressiver wurde und ich weiß noch, wie ich gegen die Wand flog. Aber ich glaubte ihm – schließlich war ich betrunken und ich weiß, dass auch ich handgreiflich wurde. Also vielleicht nur eine faire Reaktion?

Gewalt gegen eine körperlich unterlegene Person ist nie eine gerechtfertigte Reaktion. Damals dachte ich, Missbrauch passiert Frauen, die abhängig von ihren Männern sind. Frauen, die Kinder haben und vielleicht mittellos sind, weshalb sie glauben, ihren Mann zu brauchen, auch wenn er sie schlecht behandelt. Ich dachte, Frauen werden missbraucht, weil sie familiäre Ideale so sehr verinnerlicht haben, dass sie denken, diese in jedem Fall zusammenhalten zu müssen. Ja, auch ich fragte mich damals nicht ganz ohne unterschwellige Verurteilung, wieso zur Hölle sie solche Idioten nicht einfach verlassen. Missbrauch, so glaubte ich, passiert anderen, aber nicht mir. Wie falsch diese Gedanken waren, weiß ich heute.

Es müssen nicht immer Schläge oder Ähnliches sein: Gewalt kann sich auch zwischen Nachrichten und Manipulationen verstecken. 43 Prozent der in Europa lebenden Frauen werden innerhalb ihres Lebens einmal Opfer von psychischem Missbrauch in einer Partnerschaft, das zeigt diese Studie. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr über Gewalt innerhalb von Beziehungen sowie deren verschiedene Ausprägungen aufgeklärt werden, wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Formen Missbrauch annehmen kann. Vielleicht hätte es mich davor bewahrt. Gleichermaßen wünschenswert wäre ein Rechtssystem, das Frauen in solchen Situationen tatsächlich schützt.

Was ich jedoch glücklicherweise habe, ist meine Stimme, die ich einsetzen kann, um anderen Menschen zu zeigen, dass Missbrauch nichts ist, das „irgendwo“ passiert. Sondern eben hier, vielleicht deiner Mitbewohnerin, deiner Kommilitonin oder entfernten Bekannten. Unsere Gesellschaft neigt dazu, Frauen Zweifel entgegenzubringen. Nicht zuletzt war es die #MeToo-Debatte, die genau solche Reaktionen hervorgebracht und in die Mitte des medialen Diskurses befördert hat. Umso wichtiger ist es, dass man seine Stimme auch einsetzt, um sich mit solchen Frauen zu solidarisieren, ihnen dort Vertrauen und Sicherheit schenkt, wo sie ansonsten infrage gestellt werden und von staatlicher Seite nur bedingt Rückhalt geboten bekommen.

Ich habe sozusagen am eigenen Leib erfahren, wie dringend man diesen Rückhalt in einer solchen Situation benötigt. Ich habe Solidarität erfahren, als ich nach der 1000. Trennung wieder einmal heulend bei meinen Freundinnen aufschlug und sie dieselbe Story zum vierzigsten Mal ertrugen. So sehr ich auch gelitten habe, auch sie hat meine Beratungsresistenz auf die Probe gestellt.

Seitdem N. und ich uns im Februar zum ersten Mal getroffen haben, sehen wir uns regelmäßig. Wir reden noch immer viel über unsere Erfahrungen und wahrscheinlich wird das noch eine ganze Weile so bleiben. Aber seitdem ich und N. uns gegenseitig Halt geben, habe ich nicht mehr solche Angst vor Begegnungen mit meinem Exfreund jeglicher Art – ihr geht es genauso. Ich erfahre nun nicht mehr bloß, wie gut es tut, von Menschen Halt zu bekommen. Ich merke auch, wie sehr es hilft, sich solidarisch zu zeigen und so Sicherheit zu geben.

Faktisch hat sich natürlich nichts an der Situation geändert, aber trotzdem ist da jemand, der einen zu 100 Prozent versteht. Der weiß, wie es einem geht, und der nachvollziehen kann, wieso einen eine solche Geschichte auch noch nach einem Jahr verfolgt. Wieso man Herzrasen und Schweißausbrüche hat, wenn einem der Exfreund auf der Straße begegnet. Eine Person, die Verständnis zeigt, zuhört, einen unterstützt – und der man all das genauso zurückgibt. Diese Sicherheit gibt mir nicht nur die Form von Kontrolle und Macht über die Situation zurück, die ich zuvor an ihn verloren hatte. Sie ist auch einfach wunderschön.