Interview: Anna Mayrhauser

Alicia, du hast gerade dein Medizinstudium abgeschlossen. Wie bist du mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch während deiner Ausbildungszeit in Berührung gekommen?
Als ich im achten Semester war, habe ich auf einem feministischen Kongress die niederländische Aktivistin und Medizinerin Rebecca Gomperts bei einem Podium zum Thema Abtreibung erlebt. Da habe ich erst erfahren, dass Abtreibung in Deutschland im Strafgesetzbuch steht. Das wusste ich vorher gar nicht, so wie viele Medizinstudierende.

2015 hast du die Gruppe Medical Students for ChoiceBerlin mitbegründet, einen Teil der weltweit existierenden und1993 in den USA gegründeten Organisation Medical Students for Choice. Du kritisierst, dass der Schwangerschaftsabbruch im Medizinstudium nicht gelehrt wird.
Es ist auffällig, dass Abtreibung im Studium nicht vorkommt, vor allem, wenn man vergleicht, dass ähnlich häufige Eingriffe wie etwa Blinddarm- und Mandelentfernungen sehr wohl thematisiert werden. Im Studium sollte man eigentlich die Eingriffe in der Theorie lernen: Welche unterschiedlichen Methoden gibt es? Wie läuft der Eingriff ab? Welche Komplikationen können auftreten? Während meines Studiums war der Schwangerschaftsabbruch hingegen nur in einem Seminar zu Pränataldiagnostik kurz Thema –und zwar in den letzten zehn Minuten der Veranstaltung. Häufig fiel er aus Zeitmangel ganz unter den Tisch. Darüber hinaus entsteht hier ein falsches Bild des Schwangerschaftsabbruchs. Etwa 95 Prozent der Abbrüche passieren sehr früh, weil die Schwangerschaft generell nicht gewollt ist. Spätabtreibungen aus medizinischer Indikation machen jedoch nur etwa vier bis fünf Prozent der Eingriffe aus.

©Julia Kluge

 

Die Gruppe Medical Students for Choice bietet die sogenannten „Papaya-Workshops“ an, ein Fortbildungsangebot für Medizinstudierende, in denen der Eingriff anhand einer Papaya geübt wird. Mit welchen Erwartungen kommen die Studierenden in den Workshop?
Viele sind sehr offen und interessiert. Die meisten meinen, sie hätten bisher nichts Fachliches darüber gelernt und würden vieles nur durch die Medien erfahren, aber kein medizinisches Wissen dazu besitzen. Manche wollen Gynäkolog*innen werden, aber nicht alle. Als wir die Gruppe gegründet haben, war das Wissen zur gesetzlichen Lage unter Studierenden wesentlich schlechter als heute.

Diese Workshops waren medial sehr präsent, wurden allerdings auch stark kritisiert. Warum?
Durch die mediale Präsenz entstand ein hoher öffentlicher Druck auf die Universitätsleitung. Wir wurden vermehrt zu Fakultätrats- und Studienaus…