Von Christian Schmacht

Ich liebe meine Sexworker-Community. Wir sind sehr verschieden und haben unendlich viele unterschiedliche Perspektiven auf unsere Arbeit und teilen dabei Resilienz, Solidarität und einen ganz bestimmten Humor miteinander. Ich habe das Gefühl, in den letzten Jahren haben wir im deutschsprachigen Raum Themen geöffnet, die über die Notwendigkeit, für unsere Existenz zu kämpfen, hinausgehen. Wir müssen nicht mehr überall betonen, dass wir glücklich und empowert sind, und können mehr Dimensionen haben. Perspektiven, die komplexer und schmerzhafter sind, finden nach und nach Platz. 

©Tine Fetz

Es ist nämlich verdammt anstrengend. Der Kunde ist schließlich kein Wurm, der sich unterwirft. Er ist, egal, was wir tun, ein Kunde. Er kommt nicht einfach, wann wir wollen, wie wir wollen und kauft uns schöne Kleider oder putzt unsere Wohnung und zischt brav wieder ab. Nein. Er schreibt elend lange Nachrichten, verhandelt hin und her, kann seine Bedürfnisse kaum in Worte fassen und erwartet, dass wir sie spüren und traumhaft erfüllen. Ich weiß, dass einige Dom*mes, die das hier lesen, sich vielleicht falsch repräsentiert fühlen. Gehört es doch zur Brand und verständlicherweise zum Selbstbild, eben nicht eine normale Dienstleisterin, sondern eher Herrin zu sein.

Ich spreche nicht für andere, schon gar nicht für alle. Wir sind schließlich viele, und in unserer Unterschiedlichkeit liegt unsere Stärke. Wenn wir es schaffen, alle Blickwinkel und Erfahrungen ernst zu nehmen. Pessis Kunde erzählte ihr lang und breit, dass er sich durch sie von seinem harten Job, in dem er seine Angestellten herumkommandiert und wie Dreck behandelt, erholen kann. Das ist ein Klischee, ich weiß. Aber was macht mensch mit einer solchen Information? Ist es dann wirklich noch so genussvoll, diesen miesen Hund zu erniedrigen? Ihm zu zeigen, dass er gesehen wird, heilen darf, einen Raum erhält, in dem er sich fallen lassen kann?

Ich beobachte, dass meine Fähigkeiten der Dominanz viel mit meinen sonstigen Skills der emotionalen und affektiven Arbeit zu tun haben. Ich kann Menschen schnell lesen. Ich spüre, was ihnen gefällt, auch wenn sie ihre Lust nicht zeigen, weil sie gelernt haben, dass es Schwäche bedeutet, komplexer als ein Felsbrocken zu sein. Warum kann ich das so gut? Weil ich Gewalterfahrungen gemacht habe, in denen ich mich in andere Personen, die Macht über mich hatten, hineinversetzen musste. In denen ich lernen musste, was die Gefühlsregungen dieser Personen für mich und mein Wohlergehen bedeuten. In denen ich mich immer wieder in die hineinfühlen musste, die mich und mein Anderssein kritisieren, beschämen und bestrafen. Ich kann das so gut, weil ich ein doppeltes Bewusstsein entwickeln musste – für mich selbst denken und zugleich für die mitdenken, die über mich verfügen. Darum bin ich jetzt ein so einfühlsamer Mensch und talentierter Sexarbeiter. Toll, oder?

Ich empfinde leider auch einen großen Ehrgeiz bei Sessions, in denen ich dominant sein soll. Ich schäme mich sogar, wenn ich es mal nicht so gut hingekriegt habe, den Kunden zu befriedigen. Passt das ins Bild von einer*einem erhabenen Dom*me? Diese Minderwertigkeitskomplexe habe ich beim alltäglichen Bumsficken nicht. Dabei ist das ebenfalls ein Handwerk, das es zu lernen gilt: Einem Gast innerhalb von zwanzig Minuten zu vermitteln, dass er willkommen ist, sich trotzdem ordentlich waschen soll, seine Scheu überwinden muss, in erotische Stimmung kommen sollte, sich fallen lassen und genießen darf und dann, nach dem Orgasmus, bitte schnell verschwinden soll! Wer kann das schon? 

Zurück zum Thema Dominanz. Ich bewege mich hier auf ganz dünnem Eis, wie ein Eisbär auf den schmelzenden Polarkappen. Ist es doch ein Argument von Gegner*innen der Sexarbeit, dass Sexarbeiter*innen nicht empowert sein können, sondern immer Unterworfene bleiben. Pessi Mistress sagt, trotz all dem Geld, trotz der kompletten Make-up-Palette von Chanel, die sie jetzt besitzt, trotz der Luxusmassage, die das Bezahlschweinchen ihr gegönnt hat: War das genug? Hat sie bekommen, was sie verdient? Wer lacht eigentlich zuletzt? Und ich schicke ihr eine richtig lange Sprachnachricht, die der Ausgang für diese Kolumne war: 

Scheiß auf die 350-Euro-Chanel-Produkte. Das ist nicht genug. Es ist harte Arbeit. Und wir erhalten nicht den Lohn, den unsere Arbeit wert ist. Das geht ja auch gar nicht. Diese unglaubliche Arbeit, die wir leisten, lässt sich nicht kompensieren. Denn die Arbeit geht so weit über die tatsächlichen Stunden, die wir mit dem Kunden verbringen, hinaus. Unser ganzes Sein fließt da rein. Unsere ganze Person, als Femme, als jemand, der als Mädchen aufwachsen musste, als queere Person, als Person, die Traumata hat, all das fließt in eine solche Session. Wer soll das bezahlen? Der kann dir die Boutique leerkaufen, und es reicht nicht. Und wenn du fragst, wer lacht zuletzt? Dann sage ich: Es sind nicht wir. Wir reden uns das gerne ein, und es ist ein gängiges Narrativ im Sexarbeitsdiskurs. Wir sind nicht empowert. Wir verbringen Zeit, unsere kostbare Lebenszeit, mit so einem moosbewachsenen Felsbrocken, neben dem wir durchs Einkaufszentrum tingeln und der uns ein Ohr abkaut. Es ist gutes Geld, das wir anderweitig nicht verdienen würden. Das lässt sich nicht verleugnen. Doch diese Stunden unseres Lebens kriegen wir nie zurück. Während dieser Typ erholt zurück in seine Firma geht und seine prekarisierten Angestellten schikaniert. Liebe Grüße vom Kapitalismus, wo Empowerment durch Lohnarbeit ein Lügenmärchen ist.