Guten Abend, verehrte Leser*innen. Wir wurden uns noch nicht offiziell vorgestellt. Also erlaubt mir an dieser Stelle zunächst den – zugegebenermaßen in Anbetracht des Mediums – etwas einseitig ausfallenden Austausch von Höflichkeiten. Mein Name ist Pessi und ich verdiene hin und wieder recht viel Geld als Mistress. Als Herrin. Als Domina. Pessi Mistress ist keine Kunstfigur, keine Haut, in die ich schlüpfe, um mich während meiner sehr physischen Tätigkeit psychisch abzugrenzen. Pessi ist der Anteil in mir, den ich hervorhebe, wenn ich arbeite. Natürlich spiele ich während des Kontakts zu meinen Gästen eine Rolle. Ich biete für eine Stange Geld eine Mischung aus sexy Improvisationstheater und mal amüsanter, mal trauriger Clownerie. Nicht viel anders als zu den Zeiten, in denen ich vornehmlich hinter Tresen stand.

©Tine Fetz

Ich bin der heiße Clown vieler Träume, ich biete eine Show, die passiv konsumiert werden darf. Mit Bier auf der anderen Seite des Tresens oder mit Knebel im Maul zu meinen Füßen. Ich biete Entspannung und Loslassen vom Alltag. Ich biete Fläche zur Projektion. Ich biete meine Titten, wenn ich mich nach vorn beuge, um nachzuschenken. Sterni oder Pisse, wo ist da der große Unterschied?

Im Preis. Und in der Zugänglichkeit. Sterni verkaufe ich an alle Geschlechter, Pisse eher nicht. I piss on the cis. Also cis Typen. Und die bezahlen mich dafür ziemlich gut. Ich würde auch auf alle anderen Gender pinkeln, also an mir soll es nicht liegen. Liegt eher am Patriarchat. Und am Kapitalismus. Und wahrscheinlich auch am Neoliberalismus, weil der ist eh auch wirklich ziemlich oft schuld. Und der hebt ja immer sehr gern das Individuum und dessen Eigenverantwortung hervor. Du kannst alles erreichen, du musst es nur wollen! Jede ist ihres eigenen Glückes Schmiedin und am Ende des Regenbogens kann auch für dich ein Kelch meiner Pisse stehen. Aber genau wie in so vielen Realitäten sehe ich auch in meiner Manege zu allermeist weiße cis Typen mit lechzender Entzückung zugreifen und lostrinken. Restlos. Und nach ihnen die stinkende Sintflut. Denn der Kelch möchte auch noch abgewaschen, desinfiziert, getrocknet und für den nächsten Gebrauch nutzbar wegsortiert werden. Das mache dann wieder ich und danach wird nicht gefragt.

Sexarbeit ist stigmatisiert, quelle surprise und ich bin nicht gerade out and proud mit meiner Tätigkeit. Muss ich auch nicht, weil es eine von vielen bezahlten und unbezahlten Arbeiten ist, die ich in meinem Leben verrichte, und ich habe den Luxus, je nach Situation die passende zu zücken und zu präsentieren. Trotzdem wird meine Tätigkeit innerhalb der Gruppe der Wunschtraumfabrikant*innen immer noch eher wertgeschätzt. Whorearchy nennt sich das. Hierarchien innerhalb der Sexarbeit, teilweise internalisiert und vorangetrieben von den dort Tätigen. Aber Zivilist*innen sehen Anbieter*innen von Fetischdienstleistungen, vor allem Dominas, als irgendwie besser an. Weniger dreckig. Das Narrativ der die Männer beherrschenden, ja sogar angebeteten, strengen und unnahbaren Göttin in Schwarz. Die sind besser, die lassen sich nicht von ekligen Freiern anfassen! Und die haben keinen Sex! Außerdem ist ja so eine Session auch sehr therapeutisch, ach was kathartisch! Wir Dominas helfen dabei, Stress abzubauen, sich Ängsten zu stellen, wir sind Heiler*innen! Und das ist noch nicht mal alles. Bei uns können Geschlechterstereotype über Bord geworfen werden, es gibt Perücken, Strap-ons und viel mehr. Wie queer. Na, bereits überzeugt von meiner Darbietung? Wir Dominas sind nämlich richtig gut darin, dieses Bild auszuschmücken und vor uns selbst herzutragen. Seht uns an, wir machen die wichtige Arbeit!  Oder sind zumindest zum Niederknien glamourös. Ich hab mich selbst gern und lang von innen damit ausgeschmückt. Meine eigene, verinnerlichte Stigmatisierung damit zugekleistert und zu verdecken versucht. Femme und Domme. Das klingt irgendwie doch ganz gut und noch verkaufbar mit dem richtigen Outfit? 

Christian Schmacht

Christian Schmacht, geboren 1989, ist queerer Autor und Sexarbeiter. Seine Novelle „Fleisch mit weißer Soße" erschien 2017 bei der Edition Assemblage. Er mag Geld und Sex, aber am liebsten beides zusammen. Er mag es außerdem sehr, das hart verdiente Geld für Luxusartikel auszugeben. Auf Twitter schreibt er unter @hurentheorie.

Ich selbst fand nie, dass das, was ich mache, besser oder schlechter als andere Formen von Sexarbeit ist. In der Nacht sind alle Katzen schwarz und unter der Schminke alle Clowns noch immer Clowns, nur ohne Make-up. Dominas haben keinen Sex mit ihren Freiern. Eigentlich sind das nicht mal Freier, sondern Kunden, Gäste oder gar Klienten. Was für ein heteronormativer Müll! Wenn ich mir den Strap-on umschnalle und einem Typen in den Arsch bumse, dann ist das kein Sex? Wenn er vor mir kniet und meinen Gummischwanz bläst? Kein Sex? Ach so stimmt, MEINE Löcher werden nicht penetriert, also bin ich rein. Bis ich die Pisse aufwische, die daneben gegangen ist. Irgendwie schon ein bisschen weniger Glam. Und überhaupt, lasst uns doch mal gucken, was sich hinter diesem Vorhang verbirgt. Wenn penetriert werden das Problem ist, an dem alles hängt, was sagt das denn aus? Eine wirklich alte, langweilige und zutiefst sexistische Leier in zwei Akten: 1. Sex ist gleichzusetzen mit Penetration, und zwar mit der Penetration eines Schwanzes in eine Pussy oder vielleicht gerade noch so in einen Arsch. Schön millimetergenau abgrenzbar und passgenau ins Biobuch und Hetenbild. 2. Wer penetriert wird, ist passiv, und in wen eingedrungen (ein Begriff, der ja an sich schon Bände spricht) wird, der*die ist weniger rein als der*die Penetrierende. Penetrieren bleibt so schön und in guter patriarchaler Tradition ein Akt der Dominanz. Der*die penetrierte Person als aktiv, fordernd, steuernd, lustvoll? Scheint schwer vorstellbar.

Wenn ich also als Domme einen Kunden in den Arsch ficke, dann bediene ich genau diese Annahme und führe sie selbst fort. Ich unterwerfe den Kunden auf seinen Wunsch durch die Erniedrigung, selbst penetriert zu werden. Das macht mich jetzt nicht gerade zu der feministischen Held*in unter den Sexarbeiter*innen, zu denen Dommes irgendwie gern unreflektiert erkoren werden, auch in queerfeministischen Communitys. 

Stille in meiner Manege, ich blicke in fragende Gesichter. Warum mache ich denn jetzt meinen Job so schlecht? Ist doch gut für mich, wenn meine Arbeit als besser angesehen wird? Stimmt, ich habe natürlich einen ganzen Strauß voll Privilegien im Vergleich zu Kolleg*innen in anderen Sparten der Sexarbeit. Diese sehe ich und nutze ich. Aber eine Form der Arbeit als besser, moralisch vertretbarer zu bewerten und auf einen Sockel zu stellen führt im Umkehrschluss auch immer zur Abwertung anderer Arbeiter*innen und schlussendlich zur schlimmsten Gefahr aller emanzipatorischen Bewegungen: zur Spaltung. Wenn ich mich also begeistert auf ebendiesen Sockel heben lasse, dann gewinne ich höchstens scheinbar. Was ich mir viel mehr wünsche als halbherzige Akzeptanz, die darauf beruht, meine Kolleg*innen runterzumachen, ist, dass wir uns gegen diese Hierarchisierung stellen. Dass wir uns weiter verbünden und gemeinsam kämpfen gegen Stigmatisierung und für gute und sichere Arbeitsbedingungen. Ich will keinen Applaus für den Moment und Verhöhnung im nächsten. Ich will, dass es irgendwann wir Clowns sind, die zuletzt lachen.