Von Raica Wackes

Wenn ich früher mit meinen Eltern verreist bin, lag meine Mutter immer oben ohne am Strand – sofern es in dem jeweiligen Land erlaubt war. Nicht nur meine Mutter, auch ihre Freundin und andere Frauen genierten sich nicht, ihren Oberkörper komplett unbedeckt zu zeigen. Für mich war es normal, den Busen von Frauen am Strand zu sehen. Oder auch auf unserem Balkon zu Hause. Insgesamt habe ich als Kind sehr viele nackte Brüste gesehen. Interessanterweise konnte das Wissen über deren Vielfalt nicht viel daran ändern, dass ich mich als Jugendliche für meine geschämt habe. Zu klein, nicht rund genug und so weiter. Allerdings lag der Fokus dabei tatsächlich weniger auf der Brustwarze als auf dem Fettgewebe drum herum.

©Raica Wackes

Mit dem sogenannten Nippel habe ich mich erst viel später beschäftigt. Das süße, runde Körperteil in allen denkbaren Hautfarben, das ungefähr in der Mitte unserer beiden Brüste sitzt. Brustwarze, Nippel. Viel mehr gängige Wörter hat der deutsche Wortschatz nicht herzugeben. Beide Begriffe sind nicht gerade positiv konnotiert. Brustwarze scheint vielleicht erst mal rein deskriptiv und damit neutral, allerdings ist eine Warze – im Gegensatz zur Brustwarze – eine Hautwucherung. Aus gesellschaftlicher und ästhetischer Sicht ein Körperzuwachs, den mensch sich entfernen lässt, da er nicht den westlichen Schönheitsstandards entspricht oder auch Gefahr birgt, sich zu vermehren. Das Wort Nippel kann da auch nicht auftrumpfen. Meine erste Assoziation entsteht hier zum Wort abnippeln, was umgangssprachlich so viel bedeutet wie sterben. Schon im Wortklang hat Nippel eher etwas Belustigtes, etwas Unernstes. Es scheint mir, als würde das Wort genutzt, um in einem Moment des Unbehagens die Scham zu kompensieren. Wenn das Wort Brustwarze genutzt wird, habe ich das Gefühl, dass eine Distanz durch das vermeintlich Neutrale, aber auch durch Warze entsteht.

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Der Bewegung #freethenipple gegen die Zensur von Brustwarzen auf Instagram hat mich dazu veranlasst, die Brustwarzen meiner Freund*innen und Bekannten zu fotografieren. „Darf ich ein Foto von deiner Brustwarze machen?“ Die Reaktionen auf meine Frage haben mich dann doch etwas erschrocken: Keine sich als männlich definierende Person hatte ein Problem damit, mir ihre zu zeigen oder fotografieren zu lassen. Nur für die Hälfte, der sich als weiblich definierenden Personen, war es jedoch umproblematisch, sich direkt obenrum frei zu machen. Einige brauchten Bedenkzeit, einige wollten es gar nicht. Sätze wie „Ich finde meine Nippel nicht schön“ und „Kannst du machen, aber ich muss vorher noch diese dunklen Haare weg machen“ hörte ich öfters. Leider konnte ich nicht alle Freundinnen umstimmen, die Haare dran zu lassen, bevor ich das Foto machte.
In einem Artikel in der „Bravo“ hieß es, dass es zwar normal sei, als Mädchen ein paar Haare rund um die Brustwarze zu haben, sollten es aber doch mehr sein, bestehe der Verdacht auf einen erhöhten Testosterongehalt im Körper. Die Frage nach dem „richtigen“ Hormonspiegel ist eine biologische und stützt sich weiterhin auf eine strikt binäre Logik von Frau und Mann. Dazu gehört scheinbar auch die Sicht darauf, wie eine weiblich und männlich gelesene Brustwarze auszusehen hat. Männer mit z.B. großen Brustwarzen oder Fettgewebe erleben oft Diskriminierung, weil ihre Brustwarzen nicht „männlich“ genug aussehen.

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Warum ist es nicht ok, wenn auf Instagram eine weiblich gelesene Brustwarze gezeigt wird? Wird Brustwarze inklusive Brustwarzenhof (auch Areola genannt) jedoch verdeckt , ist es legitim. Und warum darf eine stillende Brust dann unzensiert gezeigt werden oder die einer Frau, deren Brustwarze aufgrund von Krebs entfernt werden musste? Die weibliche Brustwarze wird sexualisiert. Die Brüste einer von Krankheit betroffenen Frau und die einer Mutter entfallen dieser Zensur nur, weil sie den Schönheitsstandards nicht entsprechen oder die einzigen Szenarien sind, in denen die weibliche Brust als etwas nicht Sexuelles gesehen werden kann – aus männlicher Perspektive. In diesem Zusammenhang auch schwierig: Was ist mit einer trans Person? Wer soll sich hier anmaßen, von außen zu definieren, ob diese Brustwarze gezeigt werden darf oder nicht und damit zwangsweise bestimmen, wie diese Person gelesen wird?

Bei meiner Recherche für diesen Artikel bin ich zum ersten Mal auf das Wort „Mamille“ gestoßen. Es spricht sich wie Kamille und ist ein Synonym für die Brustwarze, welches hauptsächlich im medizinischen Kontext genutzt wird. Es leitet sich von dem lateinischen mamma ab „weibliche Brust“, wird aber trotzdem unisex verwendet. Da, wo Begriffe fehlen für ein offenes Miteinandersprechen, müssen wir Wörter finden, die inklusiv sind und uns ermöglichen, das zu sagen, was wir sagen wollen. Brustwarze und Nippel sind inklusiv, jedoch mit Beigeschmack. Mamille dagegen hat eine positive Konnotation: Es ist das Körperteil, von dem wir fast alle ernährt wurden, und klingt dabei auch noch süß. Vielleicht ist es aber auch Zeit für ein ganz neues Wort, ein Kosewort, das unserem Körperteil gerecht wird.

Gleichberechtigung bedeutet keine Wertung, keine Unterschiede. Es ist das Jahr 2019 und während die westliche Welt mit dem Finger auf andere Länder zeigt, wenn es um Themen wie die Emanzipation der Frau oder Rechte für queere Menschen geht, wünsche ich mir zuerst bei uns eine ehrliche und ganzheitliche Auseinandersetzung. Gesellschaftlich, politisch, persönlich. Eine Mamille ist eine Mamille. Egal, an welchem Körper, wie auch immer dieser aussieht oder geformt ist. Ich möchte oben ohne auf meinem Balkon liegen können, ohne zur Projektionsfläche zu werden. Kein Körperteil darf aufgrund von kategorischem Denken zensiert werden. Weder auf Instagram, noch woanders. Alle Mamillen sind schön. Und wenn ich mir meine Fotografien ansehe, dann sehe ich nur sehr verschiedene und individuelle (hier kann dein neues Kosewort stehen), die alle ihre Berechtigung haben.