Von Kristina Kaufmann

„Das mit den Locations war nie einfach“, seufzt Violet und damit stecken wir direkt im Thema. Violet, aka Inês Borges Coutinho, ist eine von vier DJs aus Lissabon, die vor etwa zweieinhalb Jahren das Techno- und Rave-Kollektiv mina gegründet haben. „Die erste Party war in einem früheren Bordell“, zählt Violet auf. „Jetzt ist das eine Gin-Bar.“ Gentrifizierung. In einem Satz perfekt illustriert. Bei der zweiten Location machte der Eigentümer Probleme. „Er hatte was gegen unsere Einstellung zu Sex und Drogen und hat einige unserer besten Raver rausgeschmissen“, erzählt Pedro Marum, ebenfalls einer der Gründer und ein von Berliner Queer-Partys gern gebuchter DJ. Für eine Kollaboration mit Resident Advisor hatten diese dann eine alte Fabrik aufgetrieben. „Wir waren total begeistert. Es wäre das perfekte Setting für uns gewesen. Ein paar Tage vor der Party wurde sie abgerissen.“ Nach weiteren Fehlschlägen und dubiosen kurzfristigen Absagen, zog mina raus aus der Stadt. „Richtig weit draußen“, betont Marum. „Sogar noch weiter entfernt als der Flughafen. Wir hatten schon Angst, dass unsere Leute den Weg erst gar nicht auf sich nehmen würden.“ Die Raver kamen. Sogar so viele, dass ein großer Teil an der Tür abgewiesen werden musste. Am Ende bekam der Eigentümer kalte Füße. „Für eine illegale Party war ihm wohl der Hype zu groß“, mutmaßt Violet.
Und seither? Ist das mina-Kollektiv quasi club(heimat)los.

Mina Techno Kollektiv
© Odete Ferreira

Das Ringen des Kollektivs um einen angemessenen Veranstaltungsort spiegelt generelle Probleme der portugiesischen Hauptstadt wider. Wie viele europäische Städte hat Lissabon mit Gentrifizierung zu kämpfen. Während wohlhabende Tourist*innen sich hier günstig ihre Altersresidenz einrichten, leben vor allem junge Kreative in prekären Umständen. „Es ist die gleiche Geschichte wie überall“, meint Violet. „Die Mieten steigen, aber die Gehälter bleiben auf dem gleichen Level. Die Leute hier können sich die Räume für kulturelle Projekte nicht leisten. Das kreative Potenzial dieser Stadt ist riesig, aber es wird einfach nicht unterstützt.“
Die Ursache dafür sehen Marum und Violet in der generell schwachen Wirtschaft Portugals, die zudem noch immer unter den Folgen der großen Rezession während der Wirtschaftskrise leidet. „Das Defizit ist einfach noch zu groß“, erklärt Marum. „Auch wenn die Regierung mittlerweile okay ist, schlägt sich das in der Stadt nicht nieder. Alle Gelder werden in Projekte gesteckt, von denen man sich den größtmöglichen Profit verspricht: AirBnB, Sharing Economy, Tourismus. Die Stadt verkauft sich quasi selbst.“ Wobei sich einige Aspekte etwas gebessert haben, wie Violet eingesteht. Etwa die Arbeitslosenzahlen, die nach unten gegangen sind. Die Strategie der Politik ist in ihren Augen dennoch die Falsche. „Es ist wahnsinnig kurzsichtig“, stimmt Marum zu. „Tourismus hat ein Ablaufdatum. Irgendwann ist der Hype vorbei und Lissabon ist eine ausgehöhlte Stadt.“

Besonders bitter sieht es zudem für das Nacht- und Clubleben aus. Die Lärmschutzmaßnahmen gehörten zu den striktesten in Europa. Die strengen Vorschriften erschweren es besonders jungen Menschen, eigene Bars, Clubs oder Partys zu betreiben. Für die Anschaffung teurer Soundsysteme und angemessene Künstlerhonorare fehlt ihnen einfach das Geld. „Das Nachtleben wird als Bedrohung für den Tourismus angesehen. Es ist etwas Dreckiges, Lautes, das die Touristen verschreckt.“ Dabei ließe sich einiges rausholen. Mit seinen queerfeministischen Raves hat das Kollektiv auch international einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Institutionen der Clubkultur wie Resident Advisor und Boiler Room haben über das kulturelle und politische Engagement der Gruppe berichtet. Während in Berlin die Bedeutung der – zugegebenermaßen historisch prominenten – Clubszene und des damit verbundenen Umsatzes bekannt ist, wird das Nachtleben in Lissabon nicht nur nicht gefördert, sondern sogar eher ausgebremst. „Dabei haben wir so gutes Wetter“, sagt Marum und grinst.

Und mit seiner besonderen Mischung aus Genderpolitik und Rave hat das mina-Kollektiv insbesondere in der jüngeren, queeren Generation einen Nerv getroffen. Zwar gab es vorher bereits einige Partys für elektronische Musik und einige queere Veranstaltungen. „Aber das war eher bunt“, meint Violet. „Was gefehlt hat, war etwas, das ein bisschen mehr Rave inspiriert ist und eine klare Botschaft hat. Ich glaube wirklich, dass die Leute sich danach verzehrt haben. Auch wenn es einigen vielleicht nicht klar war.“
Mit den Raves wollte das Kollektiv vor allem einen Ort für queere und Trans*-Personen schaffen, an dem sie sich willkommen fühlen, tanzen, sich kennenlernen und im Idealfall auch über die Party hinaus gegenseitig unterstützen können. Und das, sagt Marum, habe es in Lissabon so zuvor nicht gegeben. „Die Leute sind vorher eher zu Hause geblieben, weil es an Treffpunkten für diese Communitys in Lissabon gemangelt hat.“ Die Raves sollten hingegen wie eine Art Begegnungszentrum fungieren, in dem man sich gehen lassen oder auch einfach nur abhängen kann. Trotzdem gab es auch unerwarteten Backlash. Die feministische Politik sei nur ein Trend, dem das Kollektiv hinterherrenne, so der Vorwurf. Violet schüttelt den Kopf. „Dabei ist es doch so rum: Der Trend setzt sich durch, weil es eine gute Entwicklung ist.“

Solange mina mit den Raves pausieren muss, widmen sie ihre schier unermüdliche Energie neuen Projekten. Nach und nach haben sich weitere Kollektive herausgeschält, wie z. B. der Ableger mina suspension oder die Schwesterparty Kit Ket. Und Violet ist sowieso beschäftigt. Neben DJ-Gigs führt sie auch ihr eigenes Label naive, organisiert Workshops und andere Partys, steht mit ihrem Debütalbum „Bed of Roses“ kurz vor der Veröffentlichung und führt gemeinsam mit Marco Rodriguez alias photonz den Community-Sender Rádio Quântica. Damit wollen sie vor allem junge Talente fördern. „Weiße Typen, die seit zwanzig Jahren auflegen, haben einfach keine frische Perspektive“, sagt Violet ungerührt. „Wir wollen die Stimmen der Menschen verstärken, die man sonst nicht hört.“
Wie beim ersten Quântica-Festival Ano 0, das in einigen Tagen zum ersten Mal stattfinden wird.
„Quântica und mina, das bedeutet frische Talente und cutting edge music!“