Du kommst dir vor wie eine schöne Prinzessin oder vielleicht ein sehr schönes aber armes Mädchen aus einem alten Märchen. Jahre über Jahre über Jahre warst du eingesperrt in einem Verließ namens Elternzeit. Eines Tages hat man dir dann erzählt, dass wenn du sehr weit läufst, weiter als jemals ein Mensch in der Geschichte der Menschheit gelaufen ist (bis zum Jugendamt in Lichtenberg, okay, du darfst auch die Straßenbahn nehmen) du eine sehr alte weise Dame, die vielleicht eine Fee ist, oder eine gute Hexe (die Tante vom Amt), in einer Höhle (Kindertagesaustattungskostenübernahmehilfeprozessstelleabteilung) besuchen kannst  und sie dir einen sehr wertvollen Edelstein (Kitagutschein) gibt und dann wirst du aus deinem Verließ befreit!

Aber wie es in Märchen dann immer so geschieht: Bevor man befreit wird, muss man noch eine letzte Hürde überstehen. Und diese letzte Hürde heißt: Eingewöhnung. “Für dreißig Tage noch musst du leiden, mein Kleines”, sagt dir die nette Hexe. “Du musst dieses Leid einfach akzeptieren, ohne jemandem zu offenbaren, dass du genervt bist. Weil dann wird es möglicherweise länger dauern…und länger….und länger……diese letzte Hürde musst du ganz allein schaffen. Und du musst deine Last in Schweigen tragen.”

Kolumne Jacinto
©Dakota Corbin/unsplash

Mein Sohn wird eingewöhnt! Ich werde mich nie wieder über irgendetwas in Deutschland jemals beklagen, versprochen, denn das hier ist ein Paradies für die Mütter, wenn es überhaupt so etwas wie ein Paradies für uns gibt. Jeden Tag eine Stunde länger, und ich lächele und nicke, und tue so, als ob er eingewöhnt werden müsse. Heimlich denke ich, dass mein jüngstes Kind zu dem einen Prozent der Kinder gehört, die auch mit einem britischen/amerikanischen/russischen Eingewöhnungssystem klar kommen würde: Zur Kitatür bringen, Tschüss sagen und schnell abhauen. Der hat bis jetzt nicht ein einziges Mal geheult, das kleine Arschloch (ich liebe ihn mehr als ihr, deswegen darf ich ihn Arschloch nennen und…

Jacinta Nandi

Jacinta Nandi schreibt über Hausarbeit und Carearbeit, Männer verlassen und alleine erziehen. Ihr letztes Buch hieß „50 Way To Leave Your Ehemann“ und erschien beim Nautilus Verlag.