Von Sibel Schick

„Unser Haus brennt“, sagt die Aktivistin Greta Thunberg, und sie hat recht. Alle, die sich nicht auf Verschwörungstheorien, sondern auf Fakten verlassen, wissen: Wir haben ein Problem und uns läuft die Zeit davon. Viele katastrophale Folgen der Erderwärmung, von denen der globale Norden noch nicht betroffen ist, sind bereits Realität für viele Menschen im globalen Süden. Viele andere fragen sich, was sie persönlich gegen die Klimakrise tun können, und suchen Wege, um ihre eigene CO2- Emission zu senken.

©Tine Fetz

Persönliche Verantwortung und politische Veränderung müssen Hand in Hand gehen – ohne das eine ist das andere verdammt zu scheitern. Während für 71 Prozent aller Emissionen seit 1988 lediglich 100 Energieunternehmen verantwortlich sind, variieren inzwischen die Emissionsunterschiede innerhalb von Ländern mehr als zwischen den Ländern, wie die viel zitierte Studie von Lucas Chancel und Thomas Piketty von 2015 zeigt. Klimakrise hat also ihren Ursprung im Kapitalismus und in der Klassengesellschaft.

Eine der größten Umweltsünden heutzutage ist das Fliegen. Umweltaktivist*innen fordern, dass nur noch aus Notwendigkeit geflogen wird, aber nicht für private Reisen. In meinem Leben bin ich mehr geflogen, als ich mich erinnern kann – als ich Grundschülerin war, bekam meine Mutter einen Job als Flugbegleiterin. Es war groß – sie hatte keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung, und trotzdem hatte sie ihren Kindheitstraum erfüllt und war Stewardess geworden.

Sibel Schick

ist 1985 in der Türkei geboren und wohnt seit 2009 in Deutschland. Seit 2016 arbeitet sie als freie Autorin, Journalistin und Social-Media-Redakteurin. In ihren Texten provoziert sie gern und bezeichnet sich als ein "offenes, peinliches Buch". Auf Twitter und Instagram ist sie als @sibelschick unterwegs.

Das war für meine Mutter und mich ein klarer und steiler Aufstieg, unsere Lebensbedingungen haben sich plötzlich verbessert. Schon als Kind wurde das Fliegen zum festen Bestandteil meines Lebens, und es war für mich gratis. Ich fand fliegen stressig, und musste eh immer bei der Crew oder im Cockpit fliegen. Aber was die vielen Flüge für die Umwelt bedeuten, habe ich bis vor Kurzem kaum reflektiert.

Dieses Jahr bin ich nicht in den Urlaub geflogen, sondern gefahren, und zwar mit dem Zug von Leipzig nach Cassis. Die Tickets haben zwar weniger gekostet, als ich dachte, Flüge wären allerdings günstiger gewesen. Viel wichtiger aber noch ist die Zeit, die man für den Weg aufbringen muss: Zugfahren dauert nämlich viel länger.

Zwei ganze Tage habe ich auf dem Weg verbracht. Das muss man sich leisten können. Anspruch auf Urlaubsgeld habe ich erst, seitdem ich einen festen Job habe, den ich neben meiner freiberuflichen Tätigkeit als Autorin ausübe. Ich habe eine Zeit lang gekellnert, und auch damals habe ich kein Urlaubsgeld bekommen, obwohl ich fünf Jahre im selben Betrieb gearbeitet habe. Allerdings bin ich da keine Ausnahme: Laut einer Umfrage bekommen in Deutschland nur 47 Prozent aller Beschäftigten Urlaubsgeld. Später als ich anfing, freiberuflich zu arbeiten, gab es auch kein Urlaubsgeld. Nicht arbeiten zu gehen hieß, de facto Geld zu verlieren. Urlaub hieß, nur noch Geld ausgeben, ohne einzunehmen.

Während wir über Menschen, die einigermaßen festes Einkommen haben, nachdenken, gibt es andere, die unter prekären Bedingungen leben müssen. Über 4 Mio. Menschen in Deutschland bekamen 2018 ALG II. 2019 wurde der Satz zwar auf 424 Euro erhöht, aber die Summe bleibt sehr niedrig. Für andere, die keinen Anspruch auf ALG II haben, dennoch aus unterschiedlichen Gründen nicht arbeiten können, kann die Situation schlechter aussehen. Aber auch arme Menschen müssen konsumieren. Da kann man ihnen nicht vorhalten, wenn sie sich für einen günstigen Flug, einen Primark-Pulli oder einfach Billigfleisch entscheiden.

Die Diskussion um Flüge, Umwelt und unser Konsumverhalten ist existenziell wichtig. Allerdings kommen in dieser Diskussion nicht alle gleichermaßen zu Wort und nicht alle Lebensrealitäten werden sichtbar.

Während Aktivist*innen im globalen Süden schon seit Jahren versuchen, Aufmerksamkeit auf die Klimakrise und ihre realen Folgen zu lenken, geben die Medien ihre volle Aufmerksamkeit Greta Thunberg und blenden alle anderen aus. Thunberg ist eine der wichtigsten Stimmen unserer Zeit, dennoch müssen wir uns auch die Frage stellen, wem nie die Möglichkeit gewährt wird, zu Wort zu kommen, und woran das liegt. Und vor allem müssen wir uns fragen, wie wir Arbeit neugestalten müssen, damit wir diese Krise überleben können.