Von Josephine Apraku

21.19 Uhr. Ich stehe in meinem Badezimmer vor einem Spiegel, den mir meine Mama aus Kamerun mitgebracht hat. Der schmale orangefarbene Rahmen ist grob gezimmert und die Fläche ist nicht ganz eben. Seinen Dienst leistet er dennoch und so beobachte ich mich in der Stille, während ich ruhig meine Zähne putze. Erst gestern haben wir, mein Freund und ich, uns elektrische Zahnbürsten gekauft. Mit Schall, weil ich gelesen habe, dass die besonders gut die Zähne reinigen.

©Tine Fetz

Seit knapp einer Woche schläft das Baby, das bald – viel zu schnell – keines mehr ist, zuverlässig um acht ein. Ich unterstelle ihm, dass es müde von all den neuen Erfahrungen ist. Es krabbelt und versucht inzwischen, sich an allem hochzuziehen und zu stehen. Außerdem erzählt das neue Menschlein viel und winkt unterwegs Hunden, Bäumen und Menschen zu. Das stelle ich mir anstrengend vor, alles zum ersten Mal zu sehen, so anstrengend, dass es am Abend völlig ohne Widerstand, dafür an mich geschmiegt, einschläft. So habe ich ein wenig Zeit für mich.

Mein Luxus an diesem Abend ist das Testen der neuen Zahnbürste mit ihren verschiedenen Programmen „Clean“, „White“, „Sensitive“ und „Massage“. Ich wähle per Knopfdruck das erste Programm und freue mich darüber, wie glatt sich meine Zähne unter meiner Zunge anfühlen, als ich fertig bin. Ich möchte noch ein wenig hier sein – für mich selbst, und gehe noch einen Schritt weiter: Zahnseide. Und noch einen: Interdental-Bürste. Und noch einen: Mundwasser. Und noch einen: Fluorid-Gel.

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.

Diese Minuten mit mir, nur für mich, sind in diesem Jahr, dem ersten des Babymenschen, selten und deshalb kostbar. Ich muss nicht stillen, Unterlagen ausfüllen, füttern, keine emotionale Arbeit für andere leisten, Mails schreiben, wickeln, Vorträge schreiben, beruhigen oder wahlweise eine Kombination aus diesen Dingen. Ich muss nichts. Kann mich treiben lassen. Die Liebe, die ich fürs Baby empfinde, möchte ich nie mehr missen, aber insbesondere als Frau ist es mir wichtig, Zeit für mich zu haben, die niemandem gehört außer mir selbst, die ich nicht sinnvoll nutzen muss. Zeit ist, das ist mir inzwischen anders gewahr als noch ohne Kind, ein zentrales feministisches Thema.

Durch das Babyphone höre ich die Flugzeuge rauschen, die über die Dächer meiner Wohngegend hinwegziehen. Das Baby schläft friedlich und so wasche ich mir mit eben dieser Ruhe mein Gesicht, verwende ein Gesichtsgel und eine Creme, die sich wohlig anfühlt auf meiner erfrischten Haut. Als ich aufblicke und in den Spiegel schaue, erinnere ich mich an Episoden aus diesem ersten Jahr mit Kind, in denen sich meine Zähne nicht so glatt und meine Haut nicht so befeuchtet angefühlt haben. Das waren Zeiten – Tage und Wochen –, in denen ich vor einer meiner meist kurzen nächtlichen Schlafphasen gehetzt ob der kostbaren Minuten Schlaf ins Badezimmer gegangen bin und nicht so gründlich war.

Es ist das Zusammenspiel aus Zeithaben, Alleinsein und nicht produktiv sein müssen, die diese Abendstunden so besonders für mich machen. Ich lerne in diesen Momenten, präsent zu sein und sie entstehen zu lassen, sie nicht mit Erledigungen zu füllen und mich dadurch nicht selbst der Gelegenheit zu berauben, ein- und auszuatmen und einfach nur zu sein. Mit mir allein für mich ist es schön. Diese Augenblicke der Ruhe machen mich zu einer besseren Mutter.