Liebe Feminist*innen!

Sexarbeiter*innen haben es vorausgesagt: Das Prostituiertenschutzgesetz von 2016 ist eine Gesetzgebung, die die Kriminalisierung der Sexarbeit in Deutschland vorbereitet. Es schützt uns nicht, sondern überwacht und unterdrückt uns. Aktuell bringen sich Politiker*innen von SPD und CDU/CSU in Position für weitere Gesetzesverschärfungen. Sie kündigen an, für die sogenannte Freierkriminalisierung kämpfen zu wollen. Das bedeutet, dass das Kaufen von sexuellen Dienstleistungen verboten wird, das Verkaufen der Dienste jedoch nicht.

In der Realität schadet diese Gesetzgebung den Sexarbeiter*innen, wie wir in Schweden beobachten können. Dort werden Sexarbeiter*innen abgeschoben oder ihnen wird die Wohnung gekündigt oder der Umgang mit ihren Kindern verboten. Oder in Irland, wo diesen Sommer zwei rumänische Sexarbeiter*innen dafür verhaftet wurden, dass sie gemeinsam gearbeitet haben. Ihnen wurde das Führen eines Bordells zulasten gelegt. Sie wurden im Juni zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, eine der beiden Frauen ist schwanger.

Christian Schmacht

Christian Schmacht, geboren 1989, ist queerer Autor und Sexarbeiter. Seine Novelle „Fleisch mit weißer Soße" erschien 2017 bei der Edition Assemblage. Er mag Geld und Sex, aber am liebsten beides zusammen. Er mag es außerdem sehr, das hart verdiente Geld für Luxusartikel auszugeben. Auf Twitter schreibt er unter @hurentheorie.

Oder in Frankreich, wo am 16. August 2018 die trans Sexarbeiterin Vanessa Campos ermordet wurde. Sexarbeit erlaubte ihr, zu leben und ihre Familie in Peru zu unterstützen. Vanesa wurde ermordet, während eine Gruppe von Männern versuchte, ihren Kunden zu berauben. Sie wurde mit einer Polizeipistole getötet. Korrupte Bullen und ein Gesetz, das Kunden und Sexarbeiter*innen schutzlos lässt, sind verantwortlich für ihren Tod.

Sexarbeiter*innenorganisationen, sei es in Deutschland, in den USA, in Thailand, Indien oder Australien, in Frankreich oder Schweden, fordern die Entkriminalisierung unserer Arbeit. Das heißt, sowohl der Kauf als auch der Verkauf und auch unsere Arbeitsplätze müssen legal und sicher sein. Gesetzliche Regulierungen, die nur für Sexarbeit gelten, folgen einer Zuhälterlogik.

Ein Zuhälter ist der Mittler zwischen Sexarbeiter*in und Kunde, der einen Teil der Einnahmen einstreicht. Wenn die Erlaubnis, Sexarbeit auszuüben, an Bedingungen geknüpft ist, gibt es immer jemand, der diese Bedingungen für Geld erfüllen kann. Seien es die Bordellbetreiber*innen, die davon profitieren, dass ein Großteil der Sexarbeiter*innen sich kein eigenes Bordell leisten kann. Seit dem Gesetz 2017 gibt es nämlich so viele teure, bauliche Auflagen, dass die kleinen, unabhängigen Bordelle schließen mussten. Bordellbetreiber*innen erheben eine Zimmermiete von bis zu fünfzig Prozent der Einnahmen und verdienen an unserer Bevormundung durch das neue Gesetz.

Oder seien es die großen Pornoseiten, die ihren Gewinn daran haben, dass wir von Social Media wie Twitter, Instagram, Tumblr & Co mit unserem Indie-Porn vertrieben werden. Oder seien es die Ämter, die Geldbußen einkassieren, sollten Sexarbeiter*innen ohne Hurenpass oder zur falschen Zeit und am falschen Ort arbeiten. Niemand soll aus unserer Arbeit Profit schlagen! Das gilt für Sexarbeit, aber auch für alle andere Arbeit!

Wenn man unter CDU/CSU.de nachliest, was die Partei von Horst Seehofer & Co mal wieder für Abwege zum Thema Sexarbeit plant, erscheint im Header ein Foto, das wohl drei Prostituierte symbolisieren soll. Die Bildbeschreibung lautet: „Drei Frauen an der Theke.“ Und darum geht es – Frauen an der Theke, ob sie dort beim Saufen Geld ausgeben oder es sich verdienen, soll es nicht geben.

In Interviews behaupten Konservative, die Masse der Sexarbeiter*innen empfange 15 bis vierzig Freier pro Tag und sei überhaupt nicht empowert. Ich persönlich frage mich, wer diese 15 bis vierzig Freier sind und wo ich sie kennenlernen kann. Im Bordell sind wir ja schon froh, wenn sich vierzig Kunden auf zehn Arbeiter*innen verteilen. Wo sind die mysteriösen Fließbandpuffs, vor denen die Gäste in der Schlange um den Häuserblock stehen? Wo die Sexarbeiter*innen gar nicht mehr das Bett verlassen? Wo sie nach jedem dritten Schwanz das Gleitgel neu auftragen? Und im Fünf-Minuten-Takt vögeln und damit den Durchschnitt an Freiern so weit nach oben ziehen?

Liebe CSU, ich wünschte, ich hätte am Tag zwanzig Kunden. Ich könnte selbst bei niedrigen Preisen sehr gutes Geld verdienen und müsste nicht Tag für Tag herumsitzen und auf Gäste warten. Okay, Spaß beiseite. Zu eurem anderen Argument: Wir Sexarbeiter*innen seien ja gar nicht so empowert, wie wir es immer behaupten!

Wer behauptet denn, wir sind empowert? Ich hasse den Empowerment-Mythos. Ich bin nicht empowert! Denn Sexarbeit ist Arbeit und Arbeit nervt! Es gibt in jeder Branche die Streber*innen, die ihren Job lieben. Und gerade in der Sexarbeit müssen wir betonen, dass wir mit der Arbeit glücklich sind. Sonst werden wir Hals über Kopf gerettet. Aber wir dürfen unseren Job hassen, eklig oder nervig finden und trotzdem für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.

Wir verlangen trotzdem, dass unsere Arbeit entkriminalisiert wird. Wir verlangen eure Solidarität, egal, ob wir viel oder wenig verdienen! Egal, ob wir uns für unsere Arbeit schämen oder stolz darauf sind! Egal, ob ihr uns zum Abendessen zu euren Eltern nach Hause einladen würdet oder nicht!

Für Feminist*innen ist Sexarbeit in den letzten Jahren wichtiger geworden. Sie disktuieren darüber und überlegen, wie sie Sexworker*innen unterstützen und in ihre Kämpfe einbinden können. Viele Feminist*innen sind sogar selbst Sexarbeiter*innen. Aber selbstverständlich ist das Bündnis zwischen Feminismus und Hurenbewegung nach wie vor nicht.

Vor zwei Wochen war das Feminist Futures Festival in Essen. Ein linkes, feministisches Festival mit über hundert Veranstaltungen, Filmen, Workshops, Diskussionen und Vorträgen. Kein Einziger davon hatte Sexarbeit zum Thema. Weder als progressive Position aus der Hurenbewegung noch konservativ verpackt in den Menschenhandel-Diskurs. Zu Sexarbeit wurde geschwiegen. In einzelnen Veranstaltungen waren Sexarbeiter*innen anwesend, denn wir sind unter euch!

Aber wir vermuten, dass das Festival bewusst auf uns als feministische Akteur*innen verzichtet hat. Denn vielleicht hätte es Streit gegeben. Das wäre auf einem Festival, das die Verschiedenheit feministischer Kämpfe zusammenführen will, doch gar nicht so schlimm? Ich streite mich lieber, als dass ich verschwiegen werde. Vielleicht wäre auch kein Streit aufgekommen, sondern eine Diskussion?

Reden, zuhören, lernen? Vielleicht sogar Solidarität? Wir Huren hätten die Solidarität von 1500 linken und linksradikalen Feminist*innen auf diesem historischen Kongress in Essen gut gebrauchen können.

Liebe Feminist*innen auf dem What-The-Fuck-Marsch! Positioniert euch für uns Huren! Kämpfen wir gemeinsam für die Selbstbestimmung über unsere Körper! In der Sexarbeit, beim Sex unter Freund*innen, in der Schwangerschaft, bei der Abtreibung, bei der Pflege, bei der Assistenz, bei der Transition, bei der Migration. Weg mit dem Prostituiertenschutzgesetz!