Von Anna Barbieri

Endlich italienische Popmusik, die nicht kitschig romantisch klingt. Kein C-Teil à la Eros Ramazotti, sondern ein Bruch mit der männlichen Dominanz im Italo-Latino-Rap/Trap-Musikmix, der die Radiostationen ab Udine einnimmt. M¥SS KETA, aus Mailand, nach eigener Beschreibung eine Rapper*in mit Punk-Attitüde, Performer*in, maskiert und gleichzeitig sehr präsent, sorgt für Furore.

Begleitet wird sie von den Ragazze di Porta Venezia – Cha-Cha, Miuccia Panda, Dolly Donatella, Colette, La Iban  e La Prada. Gemeinsam erobern sie den Stadtraum und die Afterhours um die Via Melzo; die Charts und das Scheinwerferlicht auf Instagram. Dazu M¥SS KETAs Sounds, die in ihren schonungslosen Texten kein Klischee der Schickeria und des überbordenden Lebensstils in Porto Cervo, der Costa Esmeralda oder der Lombardei unkommentiert lassen. Ob Mode, Party, Drogen – Konsum im Überfluss –, Flirten, Sex und Begehren; sie präsentiert ein Bild Mailands, ein Bild Italiens, das dem Stereotyp der ausufernden Dolce Vita gerecht wird und der vorherrschenden Macho-Männlichkeit den Kampf ansagt. Im Exzess M¥SS KETAs liegt die Entfremdung, die den westlich-patriarchalen Lifestyle dechiffriert. Die Italianità in Großbuchstaben – EIN LEBEN IN CAPSLOCK: M¥SS KETAs Affirmation ist so intensiv und übertrieben, dass über Absurdität Raum für eine Gegenstrategie geschaffen wird.

Okay, okay. Ich habe sie lange als Geheimtipp gefeiert, „Xananas“ auf Partys rauf und runter gespielt. Ich habe meine Freund*innen mit den hypnotisierenden Beats des Tracks bezirzt, bis sie endlich aufgesprungen sind zum Tanzen. Mittlerweile hat M¥SS KETA viel Musik veröffentlicht und mit ihrem neuen Album „Paprika“ eine erfolgreiche Sommertour absolviert. Ihr Besuch im Berghain Mitte Oktober hat weiter dazu beigetragen, dass es mit ihrem Undercover-Status vorbei ist. Gut so! Denn es kann nicht genug Musik mit feministischer und queerer Agenda geben, die zum Befreiungsschlag aufruft. Danke Pino D’Angio, dass du auf Partys mit „Ma Quale Idea“ den Wunsch nach Italo-Pop gestillt hast. Danke Giorgio Moroder, dass du italienische Synthie-Sounds und das Cocorico in Rimini groß gemacht hast. Den ironisch-biografischen Angaben zufolge wurde M¥SS KETAs in dieser Großraumdiskothek gezeugt, bevor das Projekt offiziell 2013 in einer heißen Mailänder Nacht <…