Von Katrin Gottschalk

Ein Mann, 27, Wohnort: Benndorf bei Halle an der Saale. Er lebte mit seiner Mutter, besuchte regelmäßig seinen Vater. Niemand im Ort habe den Mann richtig gekannt. Mittlerweile kennt ihn ganz Deutschland. Anfang Oktober versuchte derselbe Mann in Halle an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in eine voll besetzte Synagoge einzudringen und die Menschen darin zu töten. Eine Tür hielt dem Angriff stand, zwei Menschen starben trotzdem. Seine Tat streamte er live ins Netz. Das Video beginnt mit einem sehr knappen Statement: Den Holocaust habe es nie gegeben und Juden seien am Übel der Welt schuld – u. a. am Feminismus, der zu niedrigeren Geburten und somit zu „Massenimmigration“ führe.

Der Inhalt seiner Worte und die Art, wie er seine Tat vorbereitete und filmte, veranlassten Kenner*innen der Szene wie die Journalistin Veronika Kracher, ihn im Kreis der „Incels“ zu verorten. Incels, das sind Männer, die laut Eigenauskunft im „involuntary celibate“ leben,

dem „unfreiwilligen Zölibat“. Sie sind international in Online-Communitys vernetzt, ihr sexueller Frust ist zum Teil tödlich. Etwa 2018, als in Toronto ein Mann mit einem Kleintransporter zehn Menschen totfährt und ein anderer auf sechs Menschen in einem Yoga-Studio schießt. Der Mangel an weiblichen Geschlechts- und Beziehungspartnerinnen taucht als Problembeschreibung nicht nur bei diesen radikalen Maskulinisten auf, sondern auch in wissenschaftlichen Beschreibungen über Ostdeutschland. Viel ist immer wieder von den zurückgebliebenen ostdeutschen Männern zu lesen, zurückgeblieben ohne Frauen.

Der Täter von Halle – ist das so einer? Und könnten die abgehängten Männer nicht auch ein Erklärungsmuster für das gute Abschneiden der AfD in ostdeutschen Wahlen sein – gerade unter männlichen Wählern? Dahinter steckt eine ungewollte Schuldzuweisung: nämlich die an die fehlenden Frauen. Der Gedanke klingt abwegig, wird aber zum Teil ganz wissenschaftlich zwischen den Zeilen angedacht. Denn wenn es um schrumpf…