Von Sibel Schick

Innerhalb der letzten zehn Jahre bin ich insgesamt neun Mal umgezogen bzw. habe in neun unterschiedlichen Wohnungen gewohnt. Und in meinem Leben habe ich bisher an fünf unterschiedlichen Orten gewohnt, Länder sowie Städte. Das ist nicht sonderlich viel, aber vor allem die vielen Umzüge in meiner Kindheit könnten die Ursache sein, dass es mir heute schwerfällt, Wurzeln zu schlagen. Allerdings ist das nicht das Thema dieser Kolumne.

Von einer künstlerisch begabten Person habe ich 2016 zu meinem 31. Geburtstag ein selbstgezeichnetes Porträt von Saddam Hussein bekommen. Ich habe nicht nachgefragt, wieso man einer Kurdin ein Bild gerade jenes Diktatoren schenkt, der für den Tod Tausender Kurd*innen durch Giftgaseinsatz verantwortlich ist. Ich war geschockt, aber auf eine ungewohnte Weise: Saddam Hussein war auf dem Bild nämlich geschminkt, trug große Ohrringe und hatte eine Blume im Haar. Er war als Frau dargestellt.

©Tine Fetz

Als ich das Bild sah, fing ich an zu lachen. Sicher kennen das viele, dieses hilflose Lachen als Bewältigungsstrategie. Ich hielt das gerahmte Bild in der Hand, habe es der Freundin gezeigt, die neben mir saß, und habe gelacht. Sie sagte nichts.

Sibel Schick

ist 1985 in der Türkei geboren und wohnt seit 2009 in Deutschland. Seit 2016 arbeitet sie als freie Autorin, Journalistin und Social-Media-Redakteurin. In ihren Texten provoziert sie gern und bezeichnet sich als ein "offenes, peinliches Buch". Auf Twitter und Instagram ist sie als @sibelschick unterwegs.

Das Bild stand eine Weile auf einem Beistelltisch in meinem Zimmer, heute weiß ich nicht, was ich damit machen soll. Seitdem ich es bekommen habe, bin ich vier Mal umgezogen und habe dabei fast jedes Mal die Stadt gewechselt. Das Bild hat jeden Umzug überlebt. Es liegt inzwischen versteckt in einem Regalfach. Ich kann mich aber nicht dazu bringen, es wegzuwerfen, weil ich offenbar einen ungesunden Bezug zu Kunst habe. Oder zu Geschenken. Wer weiß.

Dieses Jahr an meinem Geburtstag (ich weiß nicht, warum das immer an meinem Geburtstag passiert) sind mein Freund und ich in eine Gin-Bar gegangen, in der man auch fancy essen kann. An den Wänden hingen Porträts von Donald Trump und Kim Jong Un, ebenso geschminkt. Dieses Mal aber lachte ich nicht. Dieses Mal kann ich artikulieren, was daran falsch ist.

Diese Bilder werden gemacht, also, verhasste Männer werden in Bildern von Künstlern geschminkt und als Frauen dargestellt, weil, haha, das ja so lustig ist, wenn sich ein Mann schminkt, weil, haha, das machen ja sonst nur Frauen oder queere Leute, und, haha, es ist lustig, wenn ein Diktator auf ihr Niveau herabgelassen wird, denn, haha, genauso schlimm ist er ja und verdient nichts Besseres.

Es gibt natürlich auch cis Männer, die sich schminken. Mit cis Mann sind jene Männer gemeint, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen männlichen Geschlecht identifizieren. Die Realität, was Schminken angeht, ist aber so, dass Schminke bei cis Männern u. U. eher toleriert wird, je nach Milieu, während es bei Frauen die Norm und manchmal gar Pflicht ist. Es gibt Berufe, in denen Schminkpflicht für Frauen gilt, beispielsweise bei Flugbegleiterinnen oder Messe-Hostessen. Diese Pflicht gilt natürlich auch für jene Personen, die auf der Arbeit als Frau auftreten oder eingeordnet werden, jedoch keine sind.

In ihrem Buch „Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung“ erzählt die Autorin Felicia Ewert vom gesellschaftlichen Druck auf transgeschlechtliche Frauen, feminin aufzutreten, weil ihr Geschlecht ständig unter Beweispflicht gestellt wird. Wenn sie gemäß den Wünschen und Vorstellungen der cisgeschlechtlichen Mehrheitsgesellschaft nicht feminin genug auftreten, würde ihnen ihr Geschlecht aberkannt und abgesprochen. Transgeschlechtliche Frauen seien von dieser inoffiziellen Schminkpflicht unter Druck gesetzt, weil man ihnen sonst unterstelle, sie würden es nicht ernst meinen mit dem Frau Sein. Aber gleichzeitig würden sie von cis Feministinnen und anderen cisgeschlechtlichen Menschen für das Aufrechterhalten der stereotypen Geschlechterrollen verantwortlich gemacht, sobald sie sich schminken und feminin auftreten. Schminke und Kleidung werden missbraucht als Unterdrückungsmechanismen, auch wenn sich die Verwendungsweisen der unterschiedlichen Gruppen unterscheiden.

Wenn ein verhasster Diktator, der ein cis Mann ist, geschminkt porträtiert wird, und es „lustig“ und gar „kritisch“ sein soll, dann funktioniert das nur, weil dieser cis Mann durch die Schminke erniedrigt wird. Und diese Erniedrigung wiederum funktioniert nur, weil es in der Regel Frauen sind (und andere, die keine cis Männer sind), die sich schminken (müssen). Diese werden gesellschaftlich cis Männern unterordnet und als minderwertig betrachtet. Ohne diese Realität funktioniert die Erniedrigung verhasster Diktatoren und Arschlöcher durch Schminke nicht.

Ich ziehe um, hänge das Saddam-Porträt nicht an die Wand. Es liegt in einem Regalfach, weit weg von meinen Augen, aber wegwerfen kann ich es auch nicht. Ich dekoriere mein Zimmer ohne dieses Bild. Ich bin nicht sauer auf die Person, die es mir geschenkt hat. Ich bin sauer auf mich, weil ich damals nicht artikulieren konnte, was daran so schlimm ist, was mich bei dem Bild so irritiert hat. Aber jetzt kann ich es. Zum Glück.