Nicht ganz koscher
Kolumnist*in:
Von Debora Antmann
Als ich die Mail bekam, war mir gleich klar, dass da etwas nicht ganz koscher sein kann und ich habe direkt zum Telefon gegriffen. Das neue Projekt des Zentralrats der Juden heißt „Schalom Aleikum“. Stolz wird der Projektname in der Mail präsentiert, die mich als „Botschafter“ werben will. Dass der Zentralrat nicht viel von gendergerechter Sprache hält, ist nicht neu. Aber was er hier gemacht hat, geht noch weiter. Er hat sich auf ein Frauenprojekt draufgesetzt. „Schalom Aleikum“, das ECHTE „Schalom Aleikum – als Freundin hinzufügen“ ist ein Projekt des Frauen-Onlinemagazins „AVIVA-Berlin“.
Ein Dialogprojekt, das jüdische und muslimische Frauen unterschiedlichen Alters zusammengebracht und ihnen die Möglichkeit gegeben hat, in journalistischen Workshops ihre Erfahrungen gemeinsam festzuhalten. Neben den Artikeln auf „AVIVA-Berlin“ ist auch ein toller kleiner Band entstanden. Außerdem ein Song von zwei Teilnehmerinnen und Freundinnenschaften. Es ist ein wundervolles Projekt, das viele noch kennen und lieben, obwohl es schon ein paar Jahre her ist. Sharon Adler, die Gründerin und Herausgeberin von „AVIVA-Berlin“, hat damals in mühevoller Arbeit die Förderung durch die Heinrich-Böll-Stiftung aquiriert und die Frauen in ihrem eigenen Wohnzimmer gematcht. Wie Sharon das damals neben allem anderen geschafft hat, weiß ich nicht, aber dieses Projekt war ihre Herzensangelegenheit. Wer braucht da schon Schlaf …
Natürlich habe ich sie sofort angerufen. Verwirrt und schon das schlimmste ahnend. Und es bestätigte sich: Der Zentralrat hat sie für sein Prestigeprojekt natürlich nicht mit ins Boot geholt, nicht mal angefragt oder überhaupt informiert. Stattdessen ohne jeglichen Verweis auf Sharons Vorreiterinnenprojekt ein Projekt mit dem gleichen Namen aufgezogen. Und nicht nur der Name ist gleich, auch die Beschreibung: ein jüdisch-muslimisches Dialogprojekt. Einmal alles mitgenommen, das erspart Arbeit. Reicht ja auch, wenn Sharon die hatte (Sarkasmus off). Auf der Facebook-Seite des Knock-off-Projekts: jede Menge Männer in Anzügen. Schicke Konferenzen. Fancy Buffets. Gut durchfinanziert. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Auf der einen Seite eine engagierte einzelne jüdische Feministin mit kleiner Förderung durch eine Stiftung, auf der anderen Seite die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration als Förderin und die Mittel des Zentralrats dazu.
Das klassische Schicksal von Frauenprojekten: von männerdominierten Institutionen geschluckt. Das passiert auch in jüdischen Kontexten nicht anders. Und so stellt sich ein konservativer Zentralrat hin und lässt sich feiern für ein Projekt, wo weder dessen Idee noch dessen Name aus der eigenen Feder stammt. Ich verzichte auf Begriffe wie „geklaut“, weil wir schon immer noch von einer jüdischen Institution sprechen und ich hier keine antisemitischen Debatten befeuern muss. Aber ich kann euch versichern, ohne öffentliche Verantwortung hätte ich weniger diplomatische Dinge zu sagen, denn der Move ist und bleibt beschissen. Da passt es auch perfekt ins Bild, dass der Zentralrat sich auch für dieses Projekt weigert, auf das generische Maskulinum zu verzichten und feministische Millennials in unpersönlichen Mails als „Botschafter“ anfragt, um die eigene Reichweite zu pushen.
Es macht mich so wütend, weil der Zentralrat – der dafür bekannt ist, durchaus antimuslimischen Rassismus zu befeuern, extrem konservativ ist und in der Vergangenheit weder Frauen, geschweige denn Feminismus oder LGBTQ-Themen auf der Agenda hatte – mit seinem Counterfeit-„Schalom Aleikum“ das Toleranzfähnchen schwingt und dabei auch gleich ein paar Millennials abstauben will (sehr erfolglos hoffentlich, weil die wenigsten sich sonderlich von Typen in Anzügen beeindrucken lassen). Und das Ganze auf Kosten eines feministischen Dialogprojekts einer lesbischen Jüdin, die uns mit ihrem jahrelangen Engagement TATSÄCHLICH die Türen zu einem diverseren und intersektionaleren jüdischen Dialog geöffnet hat. Es ist das jüdische Abziehbildchen von Gesellschaftsverhältnissen.
Und ja, natürlich habe ich das Fake-„Schalom Aleikum“ Projekt angeschrieben und die Antwort war so lächerlich, dass mir die Person auf der anderen Seite fast leid getan hat, die mir versichert hat, dass sie persönlich „AVIVA-Berlin“ ganz toll findet. Hm. Okay.
Ich habe Sharon versprochen, dass wir das nicht so stehen lassen. Das zeichnet uns als Feminist*innen schließlich aus – dass wir unbequem sind. Auch gegenüber einem Zentralrat, der es offensichtlich okay findet, für die öffentliche Wirksamkeit feministische Grassroots-Projekte zu vereinnahmen. Die Herausforderung wird sein, den Frust und die Wut öffentlich zu machen, ohne sich Antisemitismus mit ins Boot zu holen. Und wer sagt, wir können „unseren eigenen Leuten nicht ans Bein pinkeln“: Der Zentralrat ist eine Institution, die beschlossen hat, sich an der Arbeit in der eigenen Community zu bedienen, ohne auch nur Credits dafür zu benennen. Das unkommentiert stehen zu lassen, wäre der eigentliche Verrat an der Community. Aktivist*innen wie Sharon brauchen wir mindestens genauso dringend wie einen Zentralrat der Juden. Projekte wie das Orginal-„Schalom Aleikum“ könnten aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte so viel mehr bewirken als das sterile „Schalom Aleikum“-Imitat. Das Problem sind die Ressourcen und wer am Ende die Lorbeeren bekommt und wer vergessen und verdrängt und übermalt wird. Es ist unsere Aufgabe, Community-Arbeit sichtbar bleiben zu lassen. Egal, wie schnieke das Branding des Fake-„Schalom Aleikum“s ist. Und wir müssen den Zentralrat öffentlich dafür kritisieren, wie er mit dem Engagement in der eigenen Community umgeht und wie er in diesem Fall jüdisch-feministisches Engagement sogar erased.
Gibt man bei Google nur „Schalom Aleikum“ ohne den Zusatz „als Freundin hinzufügen“ ein, erscheint nur noch das Projekt des Zentralrats. Well done …
Deswegen für euch noch mal die wichtigsten Links zu „Schalom Aleikum – als Freundin hinzufügen“: