Von Bahati
Illustration: Lisa Tegtmeier

Ich sitze im Zug nach Zwickau und mit mir fährt meine Anspannung. Der einzige Grund für mich als Schwarze Frau, eine vierstündige Bahnfahrt durch Sachsen in Kauf zu nehmen, ist meine Oma, die in einer vogtländischen Kleinstadt lebt. Dort habe ich 18 Jahre meines Lebens verbracht, bei meinen Großeltern bin ich aufgewachsen. Mein Vater musste nach seinem Studium die DDR unverzüglich verlassen und ging in sein Heimatland Tansania zurück. Meine Mutter hat sich nach einem missglückten Ausreiseversuch bis heute nicht erholt. 
Mein Opa war Akkordeonbaumeister und arbeitete in der DDR in der Werkstatt, die sich in unserem Haus befand, als Zulieferer für einen Volkseigenen Betrieb. Meine Oma

erledigte Büroarbeiten und schmiss den Haushalt. Da mein Opa als Akkordeonbaumeister sowie als Mitglied des Kirchenvorstands ein bekannter und respektierter Mann im Ort war, behandelten mich die meisten Leute mit Respekt. Ich war nicht die „Schwarze“, sondern die Enkelin von Herrn G. Dieselben Kleinstadtstrukturen, die mich so vor Rassismus schützten, schützen ebenso Nazis, die in ostdeutschen Provinzen nicht-weiße Menschen angreifen. Denn wer würde schon seinen Nachbarn verpfeifen?

Banden Bilden, Missy Magazine 06/19
©Lisa Tegtmeier

Als ich 14 Jahre alt war, starb mein Opa. Es war für mich völlig surreal, dass er plötzlich nicht mehr da war und mit ihm auch die Musik in unserem Haus verschwunden war. In dieser Zeit setzte ich mich oft ans Klavier und begann, Lieder nachzuspielen. Irgendwann entstand eine eigene Melodie, zu der ich einen Text schrieb. Ich betrachte die Musik als ein Geschenk von ihm an mich und sehe mich als diejenige, die die Familientradition fortsetzt.
Für mich war die Musik jedoch auch ein Weg, meinen Ärger rauszulassen. Dazu gehörten auch die Konflikte mit meiner Mutter, die meine Großeltern nicht schlichten konnten, da sie sich selbst in einem Dilemma befanden: Zwar war ihnen das problematische Verhalten meiner Mutter bewusst, doch waren sie rechtlich nicht meine Erziehungsberechtigten und hielten mich dazu an, den Kontakt zu ihr zu pflegen. Als eine Klassenlehrerin einmal klagte, dass die Eltern der Schüler*innen wenig Interesse an der Schule hätten und die Einzige, die sich kümmere, meine Oma sei, war mir das peinlich. Heute bin ich meinen Großeltern sehr dankbar und mir ist bewusst, wie sehr sie mich geprägt haben.

Bahati ist eine afrodeutsche MC, Sängerin, Poetinund Pädagogin, die in Berlin lebt, liebt und arbeitet. Seit Jahren ist Bahati in der antirassistischen und feministischen Musikszene unterwegs, tritt auf und veröffentlicht Texte und Songs.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/19.