Von Chantal Kaufmann

Kürzlich hatte ich ein Erlebnis: Ein Freund von mir öffnete an der Uni, inmitten unserer Unterrichtsräume, eine Tür, hinter der sich ein persönlicher Nachlass mit über 4000 sorgfältig ausgesuchten Büchern und Katalogen befand. Dabei handelt es sich um Arbeitsmaterial einer Kuratorin, ein offenbar frei zugängliches Konvolut interessantester Literatur. Ich war erstaunt, dass weder ich noch alle anderen, die ich darauf angesprochen habe, jemals vom Raum oder der Urheberin gehört hatten.

Cathrin-Pichler-Archiv für Kunst und Wissenschaften ©Chantal Kaufmann

Ich studiere an einer Kunstakademie, die sich als queerfeministisch positioniert. Trotz der klaren Ausrichtung der Institution mit ihrem Lehrplan, den darin geführten Diskursen und ihren dekolonialen Ansprüchen, ist der Stoff für die Wissensvermittlung auch hier nach wie vor in einer eurozentristischen, patriarchalen Perspektive verhaftet. Das oben genannte Erlebnis hat in mir nicht zum ersten Mal folgende Überlegung ausgelöst: Welch tiefgreifende Mechanismen müssen überwunden werden, damit einer Arbeit die Sichtbarkeit zukommt, die ihr gebührt?

Es war ein Mitstudent, der im Zuge seines Diploms die Tür öffnete, zum Vermächtnis der mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichneten Kuratorin, Denkerin, Autorin und Lehrenden. Ihre Arbeit war in vielen Fällen durch eine enge Verknüpfung von Kunst, Wissenschaft und politischer Intervention gekennzeichnet und verkörpert somit vieles, was innerhalb unseres Studiengangs angestrebt wird.
Cathrin Pichler, so ihr Name, hat Pionier*innenarbeit geleistet.

Sie hat Kunst als Werkzeug genutzt, um Wissenschaft neu bzw. anders zu denken, und daraus Publikationen geschaffen. Sie hat als Reaktion auf eine umstrittene Regierungsbeteiligung der FPÖ zusammen mit einem Kunstverein reagiert und die Plattform „TransAct: Transnational activities in the cultural field/Interventionen zur Lage in Österreich“ gegründet, in der hundert anerkannte Künstler*innen, Intellektuelle und Wissenschaftler*innen an einer Medienserie teilnahmen (wovon in Auflistungen des Projekts meist ein paar der bekanntesten männlichen Teilnehmer gelistet werden). Sie war die erste Kuratorin für Bildende Kunst des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst und war Chefkuratorin der Kunsthalle Wien.

Dies ist nur ein bescheidener Teil ihres beruflichen Wirkens. Zu ihrem Tod im Jahr 2012 schreibt der Standard, in dem auch die Medienserie erschien: „Wien – Nur Vordergründigkeit: das war Cathrin Pichler, einer Kuratorin …