Von Christian Schmacht

Winter ist Kinozeit. Was ist schöner, als sich zwei Stunden lang in einem warmen Sessel mit Süßigkeiten vollzustopfen, von niemandem angesprochen zu werden und dabei bespaßt zu werden. Ich habe mir „Hustlers“ angesehen, den Film über eine Gruppe Stripperinnen, die nach der Wirtschaftskrise 2008 ihr Geschäftsmodell erweitern, indem sie Kunden mit Drogen bewusstlos machen und ihre Kreditkarten ausreizen. Was mir als größter Irritationsmoment hängen blieb, war die Weihnachtsfeier der Tänzer*innen, die mit Kindern und Oma familiär und liebevoll unter dem glamourösen Tannenbaum sitzen, beziehungsweise grinden. Ich dachte die ganze Zeit (auch wenn mensch Filme nicht an ihrem Realitätsgehalt messen sollte, da sie nicht dazu dienen, die Realität abzubilden, sondern eine Geschichte zu erzählen), das ist doch unrealistisch. So was gibt’s nicht. Diese Harmonie ist für mich unheard of. Alle feiern entspannt ein religiöses Fest miteinander? In meinem Puff kannst du keinen lockeren Witz erzählen, ohne dass Fascho-Kathi reingrätscht und den Klimawandel leugnet oder von ihrem Boyfriend in Wurzen oder Dortmund oder einer anderen Nazihochburg erzählt, geschweige denn friedlich einen Feiertag begehen.

Fascho-Kathi, weiß und deutsch wie ich, hat übrigens eine erstaunliche Resistenz. Nichts kann ihre arische Solidarität brechen. Auch wenn ich mit Antifa-T-Shirt aufkreuze, möchte sie mit mir noch bonden, denn sie vermutet, eines Tages werde auch ich die Seiten wechseln. Und wieso sollte sie sich das auch nicht erhoffen? Das haben schon viele getan. Im Puff hat sie viel zu viele Freund*innen. Ich verstehe es, wenn sich andere nicht auf die Solidarität von Weißen verlassen wollen. 

©Tine Fetz

Filme über Sexarbeit sind so eine Sache. Es gibt unzählige, und die meisten sind scheiße. Auch darum freue ich mich über „Hustlers“, weil dafür immerhin eine echte Stripperin (Jacqueline Frances) konsultiert wurde. Es lohnt sich sehr, die kritischen Kommentare zu dem Film zu recherchieren, denn nach dem Kinostart in den USA im September wurde viel dazu veröffentlicht. U. a. ein Essay von Aya de Leon, welche wiederum selbst eine unterhaltsame, liebevolle  Buchreihe über räuberische Sexarbeiter*innen geschrieben hat („Justice Hustlers“). 

Christian Schmacht

Christian Schmacht, geboren 1989, ist queerer Autor und Sexarbeiter. Seine Novelle „Fleisch mit weißer Soße" erschien 2017 bei der Edition Assemblage. Er mag Geld und Sex, aber am liebsten beides zusammen. Er mag es außerdem sehr, das hart verdiente Geld für Luxusartikel auszugeben. Auf Twitter schreibt er unter @hurentheorie.

Es ist einfach, Filme über Sexarbeit zu verkaufen. Darstellungen von uns und Geschichten über uns sind sexy. Sie sind eine Einladung, Haut, Körper und Erotik zu zeigen. Pornografie ohne Altersbeschränkung. Rührselige Plottwists, in denen wir „gerettet“ werden oder aber für unsere Kinder oder kranken Familienmitglieder aufopfernd in Sünde leben, sind wiederum Porno fürs Herz. Auch in den Schilderungen von extremen Gewalterfahrungen findet sich bei den nicht betroffenen Erzähler*innen und ihrem Publikum immer eine Wollust, ein Gruseln oder ein Kitzeln. Die Geschichten laden zum Träumen ein: Was, wenn mir das widerführe? Was, wenn ich der Täter wäre? Was, wenn meine Freundin, Tochter, Schwester dies erleben müsste? 

Es ist sehr schwer, gute Filme über Sexarbeit zu machen. Vielleicht kann es keine guten Filme über uns ohne uns geben. Kürzlich wurde ich gefragt, ob ich nicht bei einem Film mitmachen will, der in einem Bordell spielt. Die Geschichte kam mir allzu bekannt vor und ich dachte, Moment mal, hab ich genau darüber nicht 2017 ein Buch veröffentlicht? Wieso hat mir keine*r was gesagt? Ich kam mir vor wie in der „Truman Show“. In diesem Film lebt der Protagonist Truman ohne sein Wissen in einer Vollzeit-Big-Brother-Show, und die Entscheidungen, die er trifft, sind immer schon vorab vom Sender beschlossen und in die Wege geleitet worden. Seine Existenz dient allein der Unterhaltung.

Ein bisschen „Truman Show“-Gaslighting sehe ich auch in dem momentanen Struggle unentschlossener und solidarischer Feminist*innen. So versuchte sich Katharina Schipkowski in der „taz“ an einem differenzierten Artikel über feministische Positionen zur Sexarbeit. Sie bemüht sich, Sexarbeiter*innen Agency zuzugestehen, und macht doch den gleichen Fehler, den alle machen, die unkritisch die misogyne Story von der Heiligen und der Hure gefressen haben. Auch in Schipowskis Text wird unterschieden zwischen den Prostituierten als Opfern, die nicht sprechen können (dafür Heilige sind), und den privilegierten Sexarbeiter*innen, die viel zu viel und das Falsche sprechen (also Huren).

Eine solche Position verharrt in der Binarität, die auch SWERFs vertreten: die wenigen Privilegierten vs. die Massen der Ausgebeuteten. 

Sobald eine*r von uns was sagt, gehört er*sie nicht mehr zu denen, die authentisch für uns sprechen können. Denn authentische Sexarbeiter*innen sind so marginalisiert, dass sie sich weder für sich selbst einsetzen können noch wollen. Das heißt: Niemals können wir für uns sprechen. Es können und dürfen immer nur andere für uns sprechen. Wir können uns nicht repräsentieren, da die, die sich repräsentieren können, durch das Repräsentieren zu Falschen werden, nicht mehr alle anderen repräsentieren. Es geht mir natürlich nicht um symbolische Repräsentation, sondern um viel mehr: um Macht und darum, Selbstbestimmung zu erkämpfen. So können wir niemals selbst für uns entscheiden oder kämpfen, sondern immer nur die anderen. Ein Grund, warum es so leicht ist, über uns für uns zu sprechen und zu entscheiden, ist die große finanzielle Förderung von (oft christlichen) SWERF-Projekten, die sich angeblich gegen Menschenhandel einsetzen, und die gleichzeitige Marginalisierung und Kriminalisierung unserer Selbstorganisation. Letzten Endes haben dann Sozialarbeiter*innen, Berater*innen, Polizist*innen und manchmal einfach nur cis Frauen, die selbst weder gezwungen werden, noch sich freiwillig dafür entscheiden, Sexarbeit zu machen, mehr Autorität über das Thema als jemand, der wie ich vielleicht keinem Zuhälter, aber doch realen finanziellen und gesundheitlichen Zwängen ausgesetzt ist, die ihn in der Sexarbeit halten. Heute ist der Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen. Solidarische Grüße gehen raus an alle, die immer wieder zu Token gemacht werden. An alle, die sich Jahr für Jahr bemühen, differenziert und kritisch und stark zu sein, und doch jedes Mal aufs Neue zu Opfern oder Objekten gemacht werden. An alle, die manchmal, so wie ich, nach oben gucken, um die „Truman Show“-Kameras zu entdecken, weil das eine logische und erträgliche Erklärung wäre für die andauernde Objektifizierung, der wir ausgesetzt sind.