Von Jennifer Beck
Nein, ich habe noch kein Kind geboren, aber man hat ja Vorstellungen. Jedenfalls ist das, was ich regelmäßig rauspresse, deutlich mehr als nach drei Mahlzeiten und einem Kaffee das Licht der Welt erblicken sollte. Es schmerzt, es suppt, es stülpt sich was aus. An okayen Tagen will der Pfropf nur mal frische Luft schnappen und zieht sich danach von alleine in seine Höhle zurück. An allen anderen muss ich groß. Dann hängt er da rum und will gedrückt werden, also packe ich drei Lagen softes Klopapier zwischen uns und geleite ihn mit zärtlicher Gewalt über die Schwelle Richtung heimwärts. Aber eigentlich hört er auch dann nie auf zu klopfen.

Ja, ich habe eine Hämorrhoide. Es könnten auch drei sein, die irgendwann beschlossen haben: Gemeinsam sind wir stärker. Auf jeden Fall ist sie groß, sehr groß, ein echtes Rolemodel, was das angeht, denn sie fragt nicht höflich, sie nimmt sich einfach: Platz zum Wachsen. Und manchmal, beim Sex, guckt sie sich frech um im Raum, will hallo sagen, will: dabei sein. Ich rede mir dann ein, dass er ohnehin zu woanders ist in diesen Momenten, um den Dreier zu bemerken. Aber ich kann nicht ausblenden, dass sie immer mitperformt, die rosa Blüte aus Blut, sich in ihrem besten Licht zeigen will, in voller geschwollener Pracht. Also drehe ich meinen Hintern weg von der Lampe.
Wir sprechen über alles. Wirklich alles und damit meine ich am liebsten über Stellen, die wir alleine nicht sehen können: Pusteln, Knubbel, „wildes Fleisch“, was uns gerade juckt eben, und wo, über dermatologische Altlasten und Neuentdeckungen aller Spielarten, und immer finden wir uns danach noch ein bisschen schöner. Nur: Hämorrhoide. Allein das Wort. Da stecken die Hemmungen ja schon drin und irgendwas mit Diarrhoe. Und wo ich gerade so einen Lauf habe: Ich plane keine Urlaube, aber Stuhlgänge. Es dauert, es tut weh. Ich fühle mich danach immer schmutzig, und ich fühle mich immer sehr allein damit.
Die Wartezeiten beim Prokto-Doc sagen das Gegenteil. Sogar schon mehrfach bekannten Gesichtern in der Terminschlange begegnet und offen über alles geplaudert, ungefähr so:
„Haha, hier trifft sich das Kulturprekariat also. Wir sind ja alle am A.“
„Haha, ne, bin wegen Eisenmangel da. Aber musst dich wirklich nicht schämen.“
Und einen Anus-Smalltalk weiter auf der Pritsche gleich noch mehr gelacht und noch mehr gelogen: Haha, ob er eine intime Frage stellen dürfe. Nein, keine Nüsschen gegessen, kein Alkohol seit Monaten und immer schön feucht abgeputzt, aber Gegenfrage: Sie haben zwei Drittel Ihrer Hand im Arsch, wie intim kann’s denn noch werden? Analverkehr. Na sicher! Also nein, also doch, also einmal, aus Versehen, war ja dunkel, da habe ich geweint und das Höschen konnte ich wegschmeißen danach.
Weil die validen Zahlen fehlen („nahezu die Hälfte kennt das Problem“, „das heimliche Volksleiden“, Quelle: AOK), habe ich mich im Bekanntenkreis umgehört: Er ist durchsetzt von Stadium 3. Irgendwas zwischen einmal wöchentlich Spritze in den Hintern also und vielleicht doch mal über Schnippeln nachdenken, auch Lichttherapie möglich, im Reißverschlussprinzip, aber in jedem Fall: Donut-Sitzkissen für mehrere Wochen. Mit anderen Worten: Beziehungspause oder Po zur Lampe.
Also: Termin gemacht zum Über-ALLES-Reden. Klar, immer gerne und über alles, nur morgen sei es schlecht, da müsse er einen Freund zur Op begleiten, eine Fistel am Po.
„Mmh, unangenehm. Wünscht man ja auch niemandem, aber gut, dass dein Freund jemanden hat, der da so offen ist.“
„Wär’ ja noch schöner, wenn man sich dafür schämen müsste.“ „Mmh ja, echt das Letzte!
Weißt du, apropos.“
„Klar du, weiß ich. Manchmal sagen wir uns hallo.“