Von Debora Antmann

Zunächst einmal nachträglich an alle: Happy Hanukkah!
Aber weil es euch vermutlich nicht entgangen ist und auch ich mich dem christlichen Kalender nicht entziehen kann: Zeitgleich war auch dieses nervenaufreibende Fest namens Weihnachten. Und wie jedes Jahr scheint dieses Event nicht denkbar ohne erheblichen emotionalen Rummel.

Weihnachten am Rande des Nervenzusammenbruchs
Alle Jahre wieder pilgern alle wie selbstverständlich zu ihren Familien, als sei es eine Art gottgegebener Zwang. Egal, wie schwierig das Verhältnis ist. Und die Sozialen Medien sind dann voll von diesem Leid. Der Rest, der sich das nicht antut, hält sich wahrscheinlich bis 31.12. raus oder so. Und ich will nicht sagen, dass der Struggle nicht real ist. Ich weiß, dass z. B. gerade für Queers Familienzusammenkünfte die normative Hölle sein können, aber diese Weihnachtsselbstkasteiung hat noch mal eine ganz andere Qualität: 
Dieses ganze Weihnachtsdrama, das sich innerhalb und außerhalb der Sozialen Medien aufbaut, dass besondere Hilfsangebote konzipiert werden, dass alle durchdrehen, weil sie zur Familie „müssen“ oder weil sie nicht gehen und deswegen nervlich am Ende sind, das alles, diese ganze Überhöhung von Weihnachten und wie wir das in feministischen und queeren Kontexten reproduzieren, ist – falls ihr das noch nicht wusstet – christlich-normativer Bullshit! Wie gesagt, ich sage nicht, dass der Schmerz nicht real ist, aber ich sage schon, wir befeuern ihn auch mächtig und reproduzieren hier gleichzeitig ordentlich. Ich habe noch nie erlebt, dass für Pessach oder Opferfest reihenweise DMs auf Twitter geöffnet wurden, aber dazu später mehr. Dieser Ausnahmezustand jedes Jahr ist Teil christlicher (Leidens-)Kultur. Auch die damit einhergehende Überhöhung von „biologischer Familie“ ist ein sehr weißes und sehr christliches Konzept.

©Tine Fetz

Gesellschaftskritik an Weihnachten ist für wc*-Deutsche Volksverhetzung
Doch das ist nur ein Teil des (emotionalen) Problems. Denn wenn marginalisierte Positionen, die nicht christlich sozialisiert sind, um die Weihnachtszeit herum darauf hinweisen, wie belastend genau diese Zeit ist, weil man mit christlicher Normativität quasi erschlagen und emotional unter Druck gesetzt wird, werden wc-Deutsche rasend. Erzählt eine Jüdin, wie belastend Nikolaus als Kind für sie war, weil im Gegensatz zu Weihnachten zu diesem Zeitpunkt noch alle Kids in der Schule sind und nix abgefangen wird: WUT. Wird darauf hingewiesen, vielleicht lieber „fröhliche Feiertage“ statt „fröhliche Weihnachten“ zu wünschen: WUT. Weist man auf die Überemotionalisierung von Weihnachten hin: WUT. Das Problem, abgesehen davon, dass hier die Dominazkultur ordentlich kickt, ist vor allem, dass wir hier in eine Schiene geraten, der sich auch die Rechte bedient: die Verteidigung „der abendländischen Kultur“. Gerade die Panik um Weihnachten wird genutzt für rechte Propaganda. Hier hervorragend zusammengetragen von den „Belltower News“. Weihnachten nicht als Norm zu setzen und damit nicht ständig ohnehin schon marginalisierte Menschen zu othern, nimmt niemandem etwas weg. Im Gegenteil, es schafft mehr Raum statt weniger. Niemand muss auf Weihnachten verzichten.

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

Universalisierung von Trauer und Schmerz
Natürlich wird Menschen, die nicht christlich sozialisiert sind und die auf die Überemotionalisierung von Weihnachten (und ja, hat bestimmt nix damit zu tun, dass Jesus an dem Tag geboren wurde) hinweisen, seit Jahrzehnten unterstellt, sie hätten nie Verluste und Schmerz erfahren (jede Person, die meine Arbeit ein bisschen verfolgt, weiß, dass das weit weg von meiner Lebensrealität ist) oder ihnen wird vorgeworfen, sie seien empathielos, gefühlskalt, arrogant. Und ich wiederhole noch mal: Ich spreche niemandem den eigenen Schmerz ab. BUT: Es muss Teil feministischer Praxis werden, diesen Weihnachtsschmerz kritisch zu reflektieren. Denn auch wenn der Schmerz natürlich ein individueller ist und valide, in seiner Form ist er das nicht, auch wenn das schwer zu ertragen ist. Denn natürlich ist es Teil christlicher Narrative, dass wir davon ausgehen, dass Leid, Trauer, Schmerz, Einsamkeit an Weihnachten besonders zum Tragen kommen. Deswegen wird an diesen Tagen mehr gespendet als im restlichen Jahr. Das Problem ist die Annahme, dass dies in irgendeiner Form universell wäre. Und wc-Deutsche ertragen den Gedanken einfach nicht, dass es nicht so ist.
Leute, die nicht christlich sozialisiert sind, drehen zu Weihnachten nur nicht so emotional ab, vielleicht tun sie es nicht mal an anderen Feiertagen, weil der Umgang mit Tod, Trauer, Verlust, Schmerz, Familie, Entfernung ein anderer ist und eine andere Tradition hat. Das heißt, nicht nur die Überemotionalisierung von Weihnachten ist ein christliches Ding, vielleicht sogar die Überemotionalisierung von Feiertagen generell. Weil man es sich leisten kann. Schon mal darüber nachgedacht? Wir haben andere Dinge, bei denen wir emotional abgehen – versprochen, aber das was ihr an Weihnachten empfindet, ist nicht universell. It’s not our cup of tea. Und ihr müsst aufhören, so zu tun, denn wenn uns die Geschichte eines gelehrt hat, dann, dass der Glaube an christlichen Universalismus vor allem eines ist: toxisch.

The Pressure is High!
Jetzt könntet ihr natürlich sagen, dann ignoriert uns doch einfach, zwingt euch ja keiner. Habt ihr schon mal versucht Dominanzkultur zu ignorieren? Sie wäre keine Dominanzkultur, wenn sie das zulassen würde. Und das Gemeine mit dem Weihnachtsemo-Drama ist, dass es so selbstverständlich, raumerfüllend, übergriffig ist – selbst in unseren feministischen Communitys, dass du dich nicht entziehen kannst. Es fängt mit der Frage an, was du an Weihnachten machst, und wenn du „nix“ sagst, alle dich zu sich einladen wollen, weil es gar keine Vorstellung davon gibt, dass es dir nicht doch zumindest in der hintersten Ecke deines Herzens ein kleines bisschen wehtut, dass du Weihnachten alleine verbringst. Und wenn dir das über fünf, sechs Jahre 20 bis 25 Mal passiert, bist du dir irgendwann selbst nicht mehr so sicher, weil der (Assimilations-)Druck so hoch ist, dass es dich gefälligst zu schmerzen hat. Wenn deine Bubble erfüllt ist von Support-Angeboten und Zuspruch und du dich plötzlich schlecht fühlst, dass du an Weihnachten nicht deine helfende Hand für all die leidenden Queers ausstreckst, die gezwungen werden, die Feiertage mit ihren Familien zu verbringen, und du die Qualen quasi schmecken kannst und dir erst dann auffällt, wer diese leidenden Queers sind, weiße christlich sozialisierte Queers, die an Weihnachten nach Hause fahren. Und niemand fragt: „Warum?“. Scheinbar ein Naturgesetz. Es ist legitim, das zu tun, zu Eltern und Familie zu fahren, sich den Mist zu geben, aber diese Leidenserzählung dazu ist halt ein krasses christliches Narrativ, denn offensichtlich wäre es noch schlimmer, Weihnachten alleine zu Hause zu verbringen, und das ist ja mal christlicher Bullshit. Aber es produziert diesen wabernden (Leidens-)Druck, der so allumfassend ist, dass es selbst für nicht-christlich Sozialisierte manchmal schwer ist zu verstehen, was da gerade passiert und warum man bestimmt Dinge gerade tut, die nix mit einem selbst zu tun haben, die sich eher ritualisiert als emotional anfühlen, aber der Druck ist hoch und Weihnachten ist ein Minenfeld, in dem man sowieso nur alles falsch machen kann, wenn man als nicht-christlich sozialisiertes, als „fremdes“ Kind hier aufwächst.

Weihnachten ist ein toxischer wc-Zirkus, der zur Raubtier-Show wird, wenn man wagt, das laut auszusprechen!

*wc= weiß, christlich sozialisiert