Von Julian Volz

Das Jahr 1972 muss aufregend gewesen sein für Guy Hocquenghem. Nachdem er der radikalen Pariser Homosexuellengruppe Front homosexuel d’action révolutionnaire (FHAR) kurz nach ihrer Gründung beigetreten war, machte er in der Zeitschrift „Le Nouvel Observateur“ seine Homosexualität öffentlich. So avancierte er schlagartig zum Gesicht der neulinken französischen Schwulenbewegung. Zudem publizierte er 1972 – mit gerade einmal 25 Jahren – sein erstes Buch „Das homosexuelle Begehren“.

Typenparade,Der geschlechtslose Anus, Missy Magazine 06/19
©unbekannt

Dass das Buch auch heute noch wichtige Argumente im Kampf gegen Homonormativität, Familienideologie und Zweigeschlechtlichkeit liefert, davon kann man sich nun dank seiner deutschen Neuauflage selbst überzeugen. Begleitet wird sie von einem umfangreichen Essay der beiden Herausgeber, der auf die Aktualität Hocquenghems eingeht. Hocquenghem

zeichnet in seinem Buch nach, wie (homosexuelles) Begehren im Zuge der Herausbildung des Kapitalismus ödipalisiert und dadurch in eine perverse Homosexualität umgewandelt wurde. Eine herausragende Bedeutung spielten bei diesem Prozess die Justiz und die Psychoanalyse. Erstere machte aus der Homosexualität eine zu bestrafende Kategorie, während Zweitere bei der Verinnerlichung dieser „Schuld“ half und das Begehren den ödipal-familiären Kategorien unterwarf. Wenn die Homosexualität aber als ein Produkt der Repression begriffen wird, dann bewegt sich der Kampf um ihre Anerkennung innerhalb der Logik einer familiär- ödipalen Gesellschaft. Hocquenghem stellt dem den homosexuellen Kampf um die Zersetzung aller sexuellen und geschlechtlichen Normen entgegen. Eine besondere Bedeutung misst er dabei dem Anus zu. Denn dieser kenne keine Geschlechtsunterschiede und fordere somit den patriarchalen Phallus heraus. Die von Hocquenghem geforderte libidinöse Besetzung des Anus durch die Homosexuellenbewegung untergrabe die Macht des…