Von Sascha Linde

Um 9.50 Uhr an einem Freitag im November 2019 öffnet sich mit fast einstündiger Verspätung der Gerichtssaal. Viele Bewohner*innen warten schon lange in der Kälte. Heute soll die Verhandlung in der Räumungsklage zur Liebigstraße 34 stattfinden, einem anarcha-queer- feministischen Hausprojekt in Berlin-Friedrichshain. Nach einer Bombendrohung war das Gericht zunächst abgesperrt, die Fassade des mehr als hundert Jahre alten Gebäudes mit lilafarbenen „L34 stays“ beschmiert, es gab Festnahmen und Einlasskontrollen.

In Berlin gibt es jedes Jahr Tausende Räumungsklagen, nur bei wenigen stehen Kamerateams und Journalist*innen Schlange. Doch das Eckhaus in der Liebigstraße – die 34 – ist kein gewöhnliches Haus. Es ist ein Hausprojekt ohne cis Männer mit einer fast dreißigjährigen Geschichte, dessen Besetzung wie bei vielen anderen Häusern in Berlin

später legalisiert wurde. Der Pachtvertrag des feministischen Hausprojekts ist Ende 2018 ausgelaufen, der Eigentümer Gijora Padovicz will ihn nicht verlängern. Dem Investor eilt sein Ruf voraus, ihm gehören zahlreiche Häuser in Berlin. Immer wieder werfen Mieter*innen ihm vor, dass er mit seinen Immobilienunternehmen Häuser aufkauft, modernisiert und Bewohner*innen dann verdrängt. Zum Termin ist er nicht anwesend.

Missy 01/20 Reportage Liebig34
©Cihan Cakmak

Als es endlich losgeht, bricht eine der Bewohner*innen im Raum zusammen, wieder wird die Verhandlung unterbrochen. Als es weitergeht, der nächste Zwischenfall: Menschen im Saal beginnen, sich die Kleider vom Leib zu reißen, schreien, ihre Oberkörper sind mit etwas beschmiert, das aussieht wie Blut. Sie werden aus dem Saal gezerrt, zusam…