Nur Pornografie ist Pornografie!
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Content Note: In diesem Text geht es um sexualisierte Gewalt und um den aktuellen Fall des Festivals Monis Rache, also um Videos, die heimlich von Betroffenen aufgenommen und veröffentlicht wurden.
Eine Frau rennt nackt in den Aufenthaltsraum des Bordells, in dem ich arbeite. Sie ruft: Er hat mich gefilmt! Mehrere Sexarbeiter*innen, die bis eben noch rauchten, Kaffee tranken und sich über ihre Boyfriends unterhielten, springen auf und rasen in das Zimmer, in dem ihre Kollegin bis eben geackert hat. Eine versperrt die Tür, die anderen bedrohen und verprügeln den Typen mit ihren High Heels oder was sie sonst so zur Hand haben. Sie löschen die Filmaufnahmen und der Täter versichert halbwegs glaubhaft, dass es keine weiteren Kopien in der Cloud oder sonst wo gibt. Erst dann lassen sie ihn ziehen.
An diesem gloriosen Tag der Rache war ich gerade krank. Als ich am nächsten Tag auf die Arbeit kam, erzählten mir die anderen brühwarm, was passiert war. Wir diskutierten lange über den Fall und auch wenn ich jetzt noch daran zurückdenke, steigen mir ein paar Tränen in die Augen, weil mich die spontane Solidarität, die sich dort entfacht hatte, so bewegt. Manche von uns ließen sich für Geld beim Sex filmen, meist wollten die Kunden die Aufnahmen für sich privat haben, in jedem Fall schlossen wir schriftliche Vereinbarungen und machten aus, inwieweit wir uns anonym filmen lassen würden.
Dass jemand ohne unser Wissen eine Kamera aufstellen könnte, war ein Übergriff und eine Gefahr, mit der wir rechnen mussten. Denn nur weil ich mit einer Person Sex habe, heißt das nicht, dass die Person mich dabei filmen darf. Wir brachten uns gegenseitig Tipps bei, wie wir eine solche Spycam erkennen könnten, und besprachen, dass wir in jedem Fall wieder so direkt agieren und uns für die geschädigte Sexarbeiterin einsetzen würden.

Im Januar kam durch eine Reportage von Strg+F heraus, dass beim linksalternativen Festival Monis Rache ein Mann heimlich Menschen beim Toilettengang auf den Dixiklos gefilmt und die Filme v. a. von Frauen oder welche er als solche bestimmte, auf der Pornoseite xHamster hochgeladen hatte. Die Journalistin Patrizia Schlosser hatte die Orga-Crew des Festivals im Herbst 2019 über den von ihr aufgedeckten Fall informiert, zwischenzeitlich hatte der Täter bereits 2018 erneut Aufnahmen machen und online stellen können. In der Reportage versucht er, sich herauszureden, indem er die Gewalt als seine sexuelle Präferenz, als eine Art Fetisch, darstellt. Wir wissen, dass ein Mensch sich in seiner Fantasie alles vorstellen kann, doch Fantasien gegen den Willen anderer Menschen auszuleben, das ist Gewalt.
Die Betroffenen und ihre Unterstützer*innen haben viele Fragen: Wieso hat eine kleine Gruppe der Festival-Orga die Taten verheimlicht? Wieso hat die Gruppe einen Prozess der transformative Justice eingeleitet, ohne dass die Betroffenen davon wussten? Wieso hat Patrizia Schlosser die Orga nicht früher informiert, sodass der Täter noch im Jahr 2018 heimliche Aufnahmen machen konnte? Wie viele haben ihn gedeckt, wie viele weitere Täter*innen gibt es?
Einige Konsequenzen konnten sie bereits erwirken: Der Täter wurde geoutet, aus seinem Leipziger Hausprojekt rausgeschmissen, Betroffene haben sich vernetzt und in Leipzig und Berlin zwei feministische Demos unter dem Motto „My Body is not your porn – still loving my choice“ organisiert.
Für mich als Sexarbeiter, der von diesem Fall nicht betroffen ist, gilt es, die gesamte Matrix der Taten zu durchleuchten. Denn der Täter hat nicht allein agiert. Er vernetzte sich (mindestens) auf der Pornoseite xHamster mit vielen weiteren, die entweder selbst solche Videos gegen den Willen der Betroffenen aufnehmen und veröffentlichen, oder mit Menschen, die diese gerne konsumieren, durchaus im Bewusstsein, dass das ebenfalls eine nicht konsensuelle sexuelle Handlung ist. Es sind also viele Täter*innen Teil des Netzwerks von Hfraenklin1, so sein Profilname bei xHamster. Doch auch die Tatorte sind unter die Lupe zu nehmen. Die Toiletten auf dem Festival sind ein Tatort, doch ein entscheidender, weiterer Tatort ist die Seite xHamster selbst.
In deren Nutzungsbestimmungen lässt sich zwar lesen, dass Release-Formulare der Pornodarsteller*innen von Content-Ersteller*innen verlangt würden, doch in der Praxis ist das offensichtlich nicht der Fall. Denn diese Release-Formulare gibt es schlicht und einfach nicht, wenn Menschen gegen ihr Wissen und gegen ihren Willen gefilmt worden sind. Nicht nur der einzelne Täter, der enttarnt werden konnte, muss zur Verantwortung gezogen werden. Auch die Plattform xHamster. Sie ist sowohl zweiter Tatort als auch Enablerin für Täter*innen, welche sich dort vernetzen, nicht konsensuell erstellte Videos teilen und damit sogar Geld verdienen. xHamster ist es egal, dass User*innen, die nach Fetischpornos suchen, auch Videos, die sexualisierte Gewalt zeigen und in ihrer Veröffentlichung selbst ein sexualisierter Übergriff sind, zu sehen bekommen. Dadurch trägt die Plattform dazu bei, die Grenzen zwischen Sexualität und Gewalt zu verwischen, sodass die Ausrede des Täters, er habe „seine Neigung“ ausgelebt, von anderen nachvollziehbar erscheint.
Die Plattform versuchte, sich in der Reportage von Strg-F aus der Verantwortung zu ziehen mit der Aufforderung an Betroffene, die Videos, die sie zeigen, jeweils zu melden und um deren Löschung zu bitten. Doch im Fall heimlicher Videoaufnahmen wissen die meisten Betroffenen gar nicht, dass es diese Aufnahmen gibt. Noch dazu muss sich eine Person, welche sich in einem solchen Film wiedererkennt, outen und dann alleine mit einem Chatroboter oder einer E-Mail-Adresse diskutieren, dass ihr sexualisierter Übergriff bitte nicht mehr für Werbeeinnahmen zur Verfügung stehen soll. xHamster macht nämlich selbst Geld mit sexualisierter Gewalt, obwohl sie als Plattform die Verbreitung und Normalisierung von erzwungenen Spy-Videos verhindern könnte. Bspw. indem sie die Model Releases, also Formulare, in denen sich die Darsteller*innen schriftlich äußern, dass sie volljährig sind und die Filme freiwillig drehen, konsequent einfordern würden. Das würde übrigens auch verhindern, dass gestohlener Porno-Content auf der Plattform auftaucht. Denn für einen gestohlenen Film besitze ich die Releases nicht und kann sie dementsprechend nicht vorweisen.
Unsere Körper sind nicht eure Pornografie – denn nur Pornografie ist Pornografie. Und wann wir einen Porno drehen, wem wir diesen zur Verfügung stellen und ob wir damit Geld verdienen, entscheiden wir immer noch selbst. Ich hoffe sehr, dass sich viele Sexarbeiter*innen mit den Betroffenen von Videos, die sexualisierte Gewalt zeigen, solidarisieren. Ich hoffe genauso, dass Vanilla-Feminist*innen uns als Expert*innen solcher Erfahrungen anerkennen und wir solidarisch miteinander gegen das Patriarchat kämpfen können.